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Im Altersheim

Langsam biegt unser schwerer, langer Volvo in den Hof des Altersheims ein, die Räder knirschen auf dem Kies, und das Auto gleitet mehr, als dass es fährt. Der Fahrer lenkt es zum Hintereingang, fährt einen leichten Bogen, setzt etwas zurück und stoppt. Majestätisch schwingt die hydraulische Heckklappe auf. Fahrer und Beifahrer steigen aus, sie tragen schwarze Tuchhosen, geputzte schwarze Schuhe und weiße Halbarmhemden mit dunkelgrauen Krawatten.

Aus dem Laderaum ziehen sie die Fahrtrage hervor, das Gestell mit den Rädern klappt herunter.

Die beiden Männer schieben die Trage zur Hintertür, klingeln und werden eingelassen. Mit dem Aufzug geht es in den dritten Stock, Zimmer 317 soll es sein, eine Frau Müller ist verstorben.

Kaum eine Stunde ist vergangen, seit die diensthabende Schwester das Bestattungsinstitut verständigt hat. Der Arzt hat die Leichenschau durchgeführt, und aus den Patientenakten hat sich ergeben, welcher Bestatter verständigt werden soll und dass die Angehörigen später auf dem Friedhof oder beim Bestatter Abschied nehmen wollen.

Frau Müller liegt in ihrem Bett auf dem Rücken, ihre Hände hat man gefaltet. Außer den beiden Bestattern und der Toten ist niemand im Zimmer. Die Männer kontrollieren die Sterbepapiere, die auf dem Nachttisch liegen, alles scheint in Ordnung. Dann ziehen sie sich Latexhandschuhe über. Der eine öffnet den Reißverschluss der blauen Abdeckung aus Cord, die die Fahrtrage oben bedeckt. Der andere schiebt das Bettzeug der Verstorbenen zur Seite.

Die Bettdecke ist noch warm, Frau Müller kann noch nicht sehr lange tot sein.

Die Fahrtrage ist vorbereitet, die Cordabdeckung entfernt, die faltbaren Abdeckungen aus Kunststoffplane zur Seite geklappt, die Gurte geöffnet. Auf der Trage liegt ein weißes langes Papiertuch. Mit einem Handgriff stellt einer der Männer die Fahrtrage auf die Höhe des Bettes ein, dann blicken sich die Männer kurz an, der andere nickt. Einer von beiden tritt an das Kopfende, der andere an das Fußende des Bettes. Der mit den Füßen hat es einfacher, deshalb wechseln sich die Männer dabei ab. Der Mann am Kopf fasst sie, vorsichtig den Kopf stützend, bei den Schultern; ein kurzer Blick zum Kollegen, und keine zwei, drei Sekunden später liegt Frau Müller auf der Trage. Nicht mal die gefalteten Hände sind auseinandergeglitten.

Der eine legt ein weiteres weißes Papiertuch über die Verstorbene, der andere schnallt sie fest.

Die Gurte ähneln den Sicherheitsgurten im Flugzeug, einer über den Unterschenkeln, einer über dem Bauch, und der dritte umfasst Arme und Oberkörper. Von beiden Seiten werden die grauen Kunststoffplanen über die Tote geschlagen und mit Klettverschlüssen fixiert.

Die blaue Cordabdeckung verhüllt alles, der Reißverschluss wird hochgezogen. Mit einem ratschenden Geräusch wird die Fahrtrage hochgefahren, damit sich die Männer beim Schieben nicht bücken müssen.

Während einer der beiden das Bett halbwegs in Ordnung bringt, schaut der andere sich um, ob nichts liegengeblieben ist, nicht einmal die Gummihandschuhe lassen die Männer zurück. Die Leichenschaupapiere haben sie eingesteckt.

Bis jetzt haben die Männer kein Wort gewechselt, alle Handgriffe sind hundertfach geübt, es gibt nichts zu sprechen. Zügig, aber würdevoll schieben sie die Fahrtrage über den menschenleeren Gang. Die Verwaltung hatte darum gebeten, dann zu kommen, wenn die anderen Bewohner beim Mittagessen sitzen.

Die Trage mit Frau Müller wird in den Leichenwagen geschoben, mit einem Sicherheitsbolzen fixiert und die Hecklappe heruntergeklappt, ein Servomotor übernimmt lautlos das letzte Schließen.

Insgesamt haben die beiden Männer nur fünfzehn Minuten gebraucht, als sie sich wieder in den Stadtverkehr einordnen.

In der Zwischenzeit im Büro des Bestattungshauses.

Zwei Leute sind zu mir gekommen, ein Ehepaar in mittleren Jahren. Es ist die Tochter der Verstorbenen mit ihrem Mann. Ich habe da so meine Reihenfolge, meine erprobte Methode und weiß eigentlich jetzt schon genau, wie alles ablaufen wird, was ich sagen werde, was sie fragen werden und was ich darauf antworte. Dennoch lasse ich mir nicht anmerken, dass das alles Routine ist; für diese Leute ist es eines der bedeutsamsten Ereignisse in ihrem Leben.

Ich heuchle keine Anteilnahme, oftmals wünsche ich nicht einmal Beileid. In all den Jahren habe ich dafür einen siebten Sinn entwickelt und weiß, wann das angebracht ist, wann die Leute das erwarten und wann es sie nur noch mehr aufwühlen würde.

Zuerst bitte ich sie in den Beratungsraum, nehme die Personalien der Verstorbenen auf, die Daten der Auftraggeberin und frage nach den Vorstellungen. Erdbestattung oder Feuerbestattung? Hieraus ergibt sich vieles andere.

Die Leute sind etwas hilflos, wissen nicht, was die Mutter wollte. Der Vater ist schon lange tot, das Grab längst abgelaufen. Nein, sie wollen kein großes Grab, sie kommen von außerhalb. Eine Feuerbestattung und ein kleines Urnengrab schlage ich vor; ja das wäre das Richtige, finden sie. Ob man da eine Steinplatte draufmachen kann, damit man keine Grabpflege betreiben muss, ich nicke. Anonym, nein das wollen sie nicht, aber keine Arbeit und doch ein Platz, zu dem man ein-, zweimal im Jahr fahren kann.

Eine Mitarbeiterin bringt Kaffee und Wasser, der Mann würde gern eine Zigarette rauchen. Darf er. Wir plaudern, die Verkrampfung lockert sich. Das ist gut so, denn jetzt geht es in den Ausstellungsraum. Eingeschüchtert stehen sie vor den Särgen, der Mann schaut nach den Preisen, sie nestelt an ihrer Handtasche. Ich sage: »Keine Bange, da liegt niemand drin.« Ein blöder Spruch, aber er entspannt die Leute immer.

Ich zeige die verschiedenen Modelle, der Mann will nicht den billigsten Sarg, sie tendiert zu einem geschnitzten Eichensarg. Ich empfehle Modell Nr. 3, der heißt bei uns »Frankfurt«, alle Särge haben Städtenamen. nebeneinander stehen Barcelona, Washington, Rom, Stuttgart, Frankfurt und Berlin. Die große Truhe heißt »Adenauersarg«, der Klappsarg »Modell Kennedy«; seitdem im Fernsehen die Serie Six feet under sehr erfolgreich lief, wollen den immer mehr.

Frankfurt ist ein schlichter, aber sehr schöner Sarg, ihn gibt es in Hell, Dunkel, Grau und Naturfarben gebeizt. »Ach, der ist ja günstig!«

Ja, ist er, aber ich sehe es auch nicht ein, denen eine schwere Truhe zum Verbrennen zu verkaufen. An manchem hochwertigen Sarg ist mehr Holz dran als an einer Wohnzimmereinrichtung aus dem Möbelmarkt.

Nur ein schlichtes weißes Hemd, das da drüben mit den Rüschen, »Mutter hat Rüschen geliebt«. Okay, machen wir. Die blaue Urne soll es sein, das ist mir recht, da verdienen wir was. Ich zeige den Leuten eine Aschenkapsel, weise darauf hin, dass man keine Überurne braucht, aber sie wollen lieber doch eine; jetzt soll es sogar die aus Ton sein, die ist besonders teuer. Soll ich sie hindern? Nein, arm scheinen sie nicht zu sein, und sie stehen vor einem Regal mit vierzig Urnen in allen Preisklassen. Ach komm, ich zeige ihnen doch noch die ganz günstigen Modelle rechts. Nein, es soll bei der Tonurne bleiben, gut.

Eine Decke suchen sie aus, mit passendem Kissen, auch wieder weiß mit Rüschen, nicht teuer, aber schön. Auch recht.

Mir ist es ja lieber, wenn die Menschen sich das im Ausstellungsraum aussuchen und nicht aus dem Katalog, den haben wir natürlich auch, wenn man uns zu einem Hausbesuch bestellt. In der Wirklichkeit sieht aber doch alles ein bisschen anders aus.

Drüben im Beratungszimmer notiere ich sogleich die Wünsche, wiederhole alles noch einmal Stück für Stück, damit es hinterher keine Missverständnisse gibt.

Dann kläre ich den Rest: Traueranzeige, Pfarrer, Blumen, Totenbriefe und vieles mehr. Ich muss alles ansprechen. Manchmal sieht das so aus, als wolle ich den Leuten tausenderlei Sachen aufschwatzen, aber das will ich gar nicht. Jetzt ist der Zeitpunkt, wo alles besprochen werden muss, ein Später gibt es nicht, in drei Tagen ist alles zu spät!