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Oder auch innerhalb weniger Jahrhunderte.

»Panorama-Ansicht wählen.«

Der Computer hörte ihre Worte und passte die Darstellung entsprechend an. Der Planet schrumpfte bis auf Erbsengröße zusammen, war nur noch ein heller Punkt auf der Mitte des Bildschirms. Nun war deutlich der Nimbus zu erkennen, der von ausgedehnten Konstruktionsarbeiten im All rings um den Planeten zeugte: ein schimmerndes, wie Perlmutt glänzendes Gerüst, von dem der Planet eingehüllt wurde wie eine Perle von der Auster. Dünne Fäden, ihrerseits Gerüststränge, erstreckten sich schier endlos weit ins All, wurden dünner und dünner, bis sie so zart waren, dass die Auflösung der beobachtenden Sensoren sie nicht mehr darzustellen vermochte.

»Die sind nicht von uns, Tamara«, stellte der Mann leise fest, »die sind nicht von uns!«

Das war nicht die Arbeit von Menschen; nicht einmal die ringförmig angelegten Straßen, die den Planeten Erde umspannten, kamen dem, was sie hier sahen, in Größe und Komplexität auch nur ansatzweise nahe. Manche dieser spiralförmig verlaufenden Filamente mussten mehr als vierhunderttausend Kilometer lang sein, und dabei mehrere Kilometer breit. Sie hätten eigentlich aufgrund der Gravitationskräfte des Planeten selbst instabil sein müssen, ebenso aufgrund der Gezeiten-Perturbationen und auch aufgrund von den Wechselwirkungen dieser Kräfte untereinander. Doch das war eindeutig nicht der Fall.

»Es wird Zeit, die anderen zu wecken«, meinte Tamara.

»Und dann?«

»Und dann …« Sie seufzte. »Und dann … ich weiß nicht, was wir dann machen sollen. Wir haben es endlich geschafft, Damon! Wir haben eine andere intelligente Spezies gefunden! Und dann auch noch eine technisch höher entwickelte als wir. Aber wenn die das hier bauen konnten …«, sie deutete auf die gleißende Struktur auf dem Bildschirm, und ihre Stimme war auf einmal sehr heiser, »… warum haben die dann nicht uns gefunden? Na ja, ich denke, in ein paar Tagen werden wir die Antwort auf diese Frage kennen.«

Drei Wochen später durchstreiften die Pinassen des Schiffes die Venen und Arterien dieses Weltraum-Artefakts. Fünfzehn Tage lang hatte das Mutterschiff sich regungslos in fünf Kilometern Entfernung aufgehalten; sie warteten auf einen Kontakt mit dem Planeten, zu dem sie Radio- und Laser-Signale hinuntergeschickt hatten, rechneten fest damit. Die Antwort allerdings war völliges Schweigen. Schließlich hatten sie sich weiter angenähert und mit der unmittelbaren Erkundung begonnen.

Die nebelschwadenartigen Filamente auf dem Bildschirm entpuppten sich als ein verzahntes Gerüst, aus dem das ganze Artefakt bestand. Diese Filamente reichten bis zur Oberfläche des Planeten selbst hinunter, einer unbewohnten Welt, die für die Kolonisierung durch Menschen äußerst geeignet schien. Aber diese Filamente reichten auch weit in den Weltraum hinaus, und über ihren Zweck vermochte die Besatzung nicht einmal Vermutungen anzustellen.

Und diesen Zweck konnten sie auch nicht von den Bewohnern des Artefakts in Erfahrung bringen. Wie der Planet war auch dieses Artefakt unbewohnt.

Tamara und Damon Savalle führen mit ihrer Pinasse an einem dieser Filamente entlang, einer Röhre aus einem Metall-und-Polymer-Verbund, die drei Kilometer breit war und etwa fünfzigtausend Kilometer lang. Wartungsmaschinen bewegten sich entlang der inneren Oberfläche, dies jedoch so langsam, dass es schwer war, die Bewegung überhaupt auszumachen. Die kleine Pinasse ignorierten diese Maschinen vollständig.

Tamara saß am Kommunikations-Tastfeld und hielt Kontakt mit dem Mutterschiff. »Das bestätigt unsere Analyse bezüglich der Meteoriteneinschläge«, meinte sie. »Mindestens zehn Millionen Jahre alt, seit mehr als drei Millionen Jahren unbewohnt. Und ich weiß nicht, was es da zu grinsen gibt!«

»Tut mir leid.« Aber danach sah Damon nicht aus. »Ich habe nur gerade an das alte Paradoxon aus der Prä-Expansions-Zeit gedacht: Wenn es Außerirdische gibt, wo sind die denn dann? Vor zwanzig Jahren dachte ich, endlich die Antwort zu kennen: Es gibt keine Außerirdischen. Jetzt können wir mit der Frage wieder von vorne anfangen. Wo sind sie, Tammy? Wer hat dieses ganze Zeug hier gebaut? Und wo sind diese Baumeister jetzt?«

Sie zuckte mit den Schultern. Damons Frage sollte für mehr als dreitausend weitere Jahre unbeantwortet bleiben.

Doch während Tamara und Damon das Artefakt anstarrten und anstaunten, erreichte ein schwaches Signal das Mutterschiff, ausgesendet von einer kleinen, kaum überlebensfähigen Kolonie auf Eta Cassiopeiae A. Sie berichtete von einer faszinierenden neuen Theorie aus der Physik, in der es um die Bose-Einstein-Statistik ging, und unterbreitete zugleich einen Vorschlag für ein raffiniertes, schwieriges Experiment, durchzuführen im Tiefenraum, das weit über die begrenzten Möglichkeiten und Ressourcen der kleinen Kolonie hinausging.

Da sich nun alle, die sich im Lacoste-System befanden, so sehr auf die Baumeister konzentrierten, blieb diese neu eingetroffene Nachricht vollständig unbeachtet.

Doch die Baumeister waren schon lange fort, während der Superluminal-Transport bereits auf dem Wege war.

ARTEFAKT: KOKON.

UKA-Nr.: 1

Galaktische Koordinaten: 26.223,489 / 14.599,029 / +112,58

Name: ›Kokon‹

Sternen-/Planetenassoziation: Lacoste / Savalle

Bose-Zugangsknoten: 99

Geschätztes Alter: 10,464 ±0,41 Megajahre

Erforschungsgeschichte: ›Kokon‹ ist eine Besonderheit in der Geschichte der Menschheit, da es das erste Artefakt war, das von menschlichen Raumerkundern entdeckt wurde, so wie Cusp (vgl. Eintrag 300) das erste Artefakt war, das die Cecropianische Clade entdeckt hat. ›Kokon‹ wurde im Jahre 1.086 E. von einem Kriechraum-Kolonistenschiff entdeckt, das im Lacoste-System nach bewohnbaren Planeten suchte.

Technische Beschreibung: ›Kokon‹ besitzt die Form einer dreidimensionalen Weiterentwicklung der vertrauten Ringstädte, die sich auf vielen bewohnten Welten finden. Allerdings geht ›Kokon‹ weit über die Standard-Bauweise auf der Äquatorialebene hinaus, sowohl was das Ausmaß wie auch die mutmaßliche Funktion betrifft. Dieses Artefakt weist achtundvierzig Basal-Stiele auf, die ›Kokon‹ mit der Oberfläche des Planeten auf dessen Äquator verbinden und bis zu kontinuierlichen Ringstruktur auf stationärer Höhe hinaufragen. 432 Tausend externe Filamente erstrecken sich, von der Oberfläche des Planeten ausgehend, fünfhunderttausend Kilometer weit in den Raum. Identische Filamente konnten nicht gefunden werden, doch üblicherweise weisen die hohlen, zylinderförmigen Röhren einen Außendurchmesser von zwei bis vier Kilometern auf. Von zahlreichen Winkeln aus wird dem Betrachter der Blick auf die Oberfläche von Savalle vollständig durch ›Kokon‹ genommen.

Die Korridore des Inneren von ›Kokon‹ werden ausgiebig von Phagen (vgl. Eintrag 1067) patrouilliert. Forscher müssen kontinuierlich auf deren Anwesenheit achten.

Physikalische Eigenschaften: Beim Bau von ›Kokon‹ wurden die üblichen überstarken Polymere eingesetzt, die bei den meisten Artefakten der Baumeister Verwendung fanden. Das Fehlen eines zweiten natürlichen Satelliten des Planeten Savalle, auch wenn die Fossilfunde deutlich zeigen, dass bis vor zwölf Millionen Jahren Gezeiten aufgetreten sind, die auf die Anwesenheit zweier Satelliten schließen lassen, legen die Vermutung nahe, dass ein jetzt nicht mehr vorhandener Mond als Hauptrohstoffquelle für das Filamentmaterial von ›Kokon‹ genutzt wurde.