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Fairclough hatte inzwischen an der Ufermauer ein großes Feuer angezündet hatte, das Deborah mit allem in Gang hielt, dessen sie habhaft werden konnte: Holzscheite, Zweige, Zeitungen, Zeitschriften, alte Möbel. Das Feuer hatte nicht nur die Aufmerksamkeit der Küstenwache, sondern auch der Bürger von Arnside auf sich gezogen, die dabei halfen, die Flammen am Lodern zu halten, in der Hoffnung, dass sie Alatea den Weg nach Hause wiesen.

Aber das Feuer war eher eine Beschäftigungstherapie als eine nützliche Maßnahme, das wusste Lynley. Denn wenn Alatea sich draußen in der Bucht befand, würde sie der Flut nicht entkommen können. Aus dem Grund hatte er die Küstenwache informiert.

Der Mann auf Walney Island sagte:»Sir, ich kann ein Boot rausschicken, aber ich will Ihnen nichts vormachen. Die Sichtweite beträgt keine sieben Meter. Die Bucht hat eine Größe von mehr als dreihundert Quadratkilometern. Bei dem Nebel, der da draußen herrscht, und bei der Flutwelle, die da anrollt … Ich schicke meine Leute nicht wegen einer fixen Idee da raus.«

«Ich versichere Ihnen, das ist keine fixe Idee«, entgegnete Lynley.»Wenn Ihre Leute Kurs auf Arnside nehmen, können Sie vielleicht …«

«Also gut, wir versuchen es«, unterbrach ihn der Mann.»Aber sie hat keine Chance, Sir, das wissen wir beide. Will sagen, rufen Sie den Rettungsbootdienst an, vielleicht können die uns unterstützen. Und Sie sollten den Wattführer um seine Meinung bitten.«

Der Wattführer hatte seinen Stützpunkt auf der anderen Seite der Bucht, südlich von Grange-over-Sands, in einer kleinen Enklave namens Berry Bank. Er klang sehr liebenswürdig, als Lynley ihn anrief. Seit fast fünfzig Jahren, so erklärte er Lynley, führe er jetzt schon neugierige Urlauber über die Bucht, und seit er denken könne, sammle er Muscheln im Hafen des Fischerdorfs Flookburgh und fange Krabben im River Leven, daher kenne er die Bucht und sei mit dem Sand vertraut, und wenn eine Frau aus welchen Gründen auch immer bei dem Nebel da rausgelaufen sei, dann sei sie dem Tod geweiht,»so leid es mir tut, Sir.«

Ob man denn gar nichts tun könne, wollte Lynley wissen. Die Küstenwache von Walney Island habe ein Boot rausgeschickt, und er werde als Nächstes die Royal National Lifeboat Institution um Entsendung einer Rettungsmannschaft bitten.

«Kommt drauf an, nach wie vielen Leichen Sie suchen wollen, wenn der Nebel sich verzieht«, antwortete der Mann und erklärte, dass er sich auf keinen Fall einem Trupp von Leichtsinnigen anschließen werde, die sich auf die Suche nach der vermissten Frau machten.

Ebenso wenig waren die Helfer vom RNLI gewillt, sich auf eine riskante Rettungsaktion einzulassen. Sie seien alle Freiwillige, erklärte man Lynley am Telefon. Sie seien dazu ausgebildet, Leben zu retten, und sie seien auch jederzeit gern bereit zu helfen, aber um mit ihren Booten rauszufahren, bräuchten sie Wasser, und derzeit herrsche nunmal leider Ebbe. Zwar habe die Flut bereits eingesetzt, und sie würden hinausfahren, sobald der Wasserstand es zulasse, doch es sei zwecklos, sorry, Sir. Die Frau werde nicht überleben, denn sie werde entweder ertrinken oder erfrieren.

Und so wurde das Feuer geschürt. Jemand hatte ein Megafon herbeigeschafft, mit dem immer wieder Alateas Name gerufen wurde. Inzwischen kam die Flutwelle näher. Der Anblick allein sei schon furchterregend, hörte Lynley jemanden murmeln. Aber von ihr erfasst zu werden, bedeute den sicheren Tod.

WINDERMERE — CUMBRIA

Die Alarmanlage war laut genug, um Tote aufzuwecken, und sie konnten sich nur schreiend verständigen. Mit aller Kraft schoben sie die Mülltonne so weit in den Laden, dass sie sich Zugang verschaffen konnten. Dann schrie Freddie:»Warte hier!«Aber natürlich dachte Manette gar nicht daran.

Er rüttelte an der Tür zum Hinterzimmer. Sie war verriegelt.»Aufmachen! Polizei!«, brüllte Freddie. Und:»Tim! Tim Cresswell!«Nichts rührte sich.

«Ich muss sie aufbrechen«, sagte Freddie. Zumindest glaubte Manette, das von seinen Lippen ablesen zu können.

«Womit denn?«, schrie sie, denn auch wenn Freddie viele Qualitäten besaß, so war er doch nicht der Typ, der über die rohe Kraft verfügte, eine Tür aufzubrechen. Und das hier war keine Bühnentür, die zwar stabil aussah, sich aber ganz leicht mit einem einzigen Tritt eintreten ließ, nein, das war eine Tür, die einen Zweck erfüllte, nämlich den, Eindringlinge fernzuhalten.

Trotzdem legte Freddie sich ins Zeug. Zuerst trat er zu. Dann warf er sich mit der Schulter gegen die Tür. Dann wechselten sie sich ab. Und die ganze Zeit über schrillte die Alarmanlage. Nach mehreren Minuten gab die Tür endlich nach. Freddie schrie:»Manette, du bleibst da!«, und stolperte vorwärts.

Auch diesmal ignorierte sie seine Anweisung. Wenn er sich in Gefahr begab, würde sie ihn nicht allein gehen lassen.

Sie befanden sich in einem Fotolabor, von dem aus man durch eine Tür in einen Lagerraum gelangte. Zwei Gänge führten zwischen Regalreihen hindurch, an deren Ende helle Lampen brannten. Der vordere Teil des Raums lag im Dunkeln. Ein kühler Luftzug, der ihnen entgegenwehte, verriet ihnen, dass die Vögel durch die Hintertür ausgeflogen waren. Sie hofften inständig, dass sie Tim zurückgelassen hatten.

Am Ende des Lagerraums, wo das Licht am hellsten war, entdeckten sie den Filmset: drei Betten, ein Fenster, Big Ben im Hintergrund, ein Plüschhund. Dann bemerkten sie eine Gestalt in einer Art Nachthemd, die auf der Seite lag. Aber das Nachthemd hatte man der Gestalt über den Kopf gezogen und mit einer grünen Strumpfhose zugebunden wie einen Sack. Der Junge lag auf der Seite, die Hände vor dem Körper gefesselt, die Genitalien entblößt. Sein Penis war eregiert. Ein X auf dem Boden vor dem Bett ließ erkennen, wo die Kamera gestanden hatte.

«O Gott«, flüsterte Manette.

Freddie packte sie an den Schultern.»Bleib hier!«, schrie er.»Bleib hier

Diesmal blieb sie, wo sie war, denn sie war vor Angst wie gelähmt. Wenn Tim tot war, würde sie den Anblick nicht ertragen.

Freddie trat an das Bett. Er blutet!, las Manette von seinen Lippen ab. Und: Tim, mein Junge! Tim, hörst du mich!, während er die Strumpfhose aufknotete, die das Nachthemd über Tims Kopf hielt.

Tim zuckte zusammen und wehrte sich. Freddie redete beruhigend auf ihn ein, und schließlich gelang es ihm, das Nachthemd herunterzuziehen und den Körper des Jungen damit zu bedecken. An Tims Augen und an seinem Gesichtsausdruck erkannte Manette sofort, dass er unter Drogen stand, und dafür war sie dem Himmel dankbar, denn es bedeutete vielleicht, dass er sich nicht an das erinnern würde, was ihm hier widerfahren war.

Ruf die Polizei an!, schrie Freddie.

Aber das brauchte sie nicht, denn in dem Moment verstummte die Alarmanlage, und sie hörte eine Stimme im Vorraum.

«Verdammter Schlamassel«, sagte jemand.

Wie wahr, dachte sie.

MORECAMBE BAY — CUMBRIA

Was man tun musste, um im Treibsand zu überleben, so hatte ihr Nicky erklärt, widersprach jedem Instinkt. Sobald man hineingerät, erstarrt man intuitiv, weil es den Anschein hat, als würde man, je mehr man sich wehrt, umso schneller darin versinken. Aber du musst dir ein paar wichtige Dinge merken, Darling. Erstens kann man nicht wissen, wie tief der Sand ist. Du steckst nur in einer Mulde, und auch wenn es welche gibt, die ein Pferd oder einen Traktor oder sogar einen kompletten Bus verschlucken können, sind die meisten ganz seicht, und man versinkt nur knietief oder höchstens bis zu den Hüften darin. Trotzdem darfst du nicht einmal bis an die Hüften und erst recht nicht bis zur Brust im Sand versinken, denn wegen der Sogkraft ist es unmöglich, dich da rauszuziehen, wenn die Retter eintreffen. Dann kommst du nur noch mit Hilfe von Wasser wieder da raus, entweder durch Wasser, das mit Hilfe eines Feuerwehrschlauchs in den Sand gepumpt wird, oder mit Hilfe der Flut, die den Sand wegspült. Du musst also schnell handeln, wenn du in Treibsand gerätst. Wenn du Glück hast, ist er nicht tief, und du schaffst es, darüber wegzulaufen oder umzukehren, ehe er deine Schuhe ansaugt und nicht mehr freigibt. Wenn das nicht geht, musst du dich hinlegen. Du wirst sofort merken, dass du nicht tiefer einsinkst. Und dann kannst du dich von der Stelle wegrollen.