»Setzt den Kahn in Bewegung, Mr Enders«, bellte Hunter.
Wie als Antwort darauf schoss das spanische Kriegsschiff eine zweite Breitseite ab, die gezielter war. Etliche Kugeln trafen die El Trinidad, ließen Holz splittern und Leinen reißen.
»Verdammt«, sagte Enders, mit so viel Schmerz in der Stimme, als wäre er selbst verwundet worden.
Doch jetzt kam Hunters Schiff in Bewegung und schob sich langsam außer Reichweite, sodass die Kugeln der nächsten Breitseite in einer beeindruckend schnurgeraden Linie von Platschern harmlos im Wasser landeten.
»Die haben gute Leute an Bord«, sagte Enders.
»Manchmal«, sagte Hunter, »zeigt Ihr für meinen Geschmack zu viel Wertschätzung für gute Seemannskunst.«
Inzwischen war es fast dunkel; die vierte Breitseite war als Muster roter zuckender Blitze von den schwarzen Umrissen des Kriegsschiffes zu sehen. Sie konnten zwar kaum etwas erkennen, hörten aber das Platschen der Kugeln in ihrem Kielwasser.
Und dann verdeckte das niedrige geschwungene Hügelland den Blick auf das feindliche Schiff.
»Anker werfen«, rief Enders, doch es war zu spät. Im selben Augenblick lief die El Trinidad mit leisem Knirschen auf dem sandigen Grund der Monkey Bay auf.
In der Nacht saß Hunter allein in seiner Kajüte und schätzte seine Lage ein. Dass er auf Grund gelaufen war, beunruhigte ihn nicht im Geringsten. Das Schiff war bei Ebbe aufgelaufen, und er würde es mühelos wieder flott bekommen, wenn in ein paar Stunden die Flut einsetzte.
Fürs Erste waren die beiden Schiffe in Sicherheit. Die Bucht war nicht ideal, aber sie war durchaus zweckdienlich. Das Trinkwasser und die Vorräte an Bord reichten für über zwei Wochen, ohne dass seine Besatzung darben musste. Falls sie an Land Nahrung und Wasser fänden – und davon ging er aus –, könnten sie monatelang in der Monkey Bay bleiben.
Zumindest so lange, bis ein Sturm aufzog. Ein Sturm könnte sich verheerend auswirken. Die Monkey Bay lag auf der Luvseite einer Ozeaninsel und hatte keine große Wassertiefe. Ein schwerer Sturm würde seine Schiffe innerhalb weniger Stunden zermalmen. Es war Hurrikanzeit, daher konnte er nicht auf allzu viele sturmfreie Tage hoffen, und wenn einer aufzog, musste er die Bucht verlassen.
Bosquet würde das wissen. Wenn er ein geduldiger Mensch war, konnte er einfach die Ausfahrt aus der Bucht versperren, im tiefen Wasser ausharren und auf schlechtes Wetter warten, das die Galeone zwingen würde, ihre geschützte Position aufzugeben.
Doch Bosquet war anscheinend kein geduldiger Mensch. Ganz im Gegenteiclass="underline" Alle Anzeichen sprachen dafür, dass er einfallsreich und waghalsig war, ein Mann, der lieber in die Offensive ging, wenn er konnte. Und er hatte gute Gründe für einen Angriff, ehe das Wetter umschlug.
Bei jedem Seegefecht sorgte schlechtes Wetter für einen Ausgleich, den der Schwächere herbeisehnte und der Stärkere fürchtete. Ein Sturm setzte beiden Schiffen zu, verminderte aber die Schlagkraft des überlegenen Schiffes unverhältnismäßig. Bosquet musste wissen, dass Hunters Schiffe unterbesetzt und leicht bewaffnet waren.
Während er allein in seiner Kajüte saß, versetzte Hunter sich in den Kopf eines Mannes, dem er nie begegnet war, und versuchte, dessen Gedanken zu erraten. Bosquet würde mit Sicherheit am Morgen angreifen, befand er schließlich.
Der Angriff würde entweder vom Land oder vom Meer oder von beidem aus erfolgen, je nachdem, wie viele spanische Soldaten Bosquet an Bord hatte und wie groß ihr Vertrauen zu ihrem Befehlshaber war. Hunter erinnerte sich an die Soldaten, die ihn im Frachtraum des Kriegsschiffs bewacht hatten. Es waren junge Männer gewesen, unerfahren, mit einer schlechten Disziplin.
Auf sie war kein Verlass.
Nein, so befand er, Bosquet würde zuerst von seinem Schiff aus angreifen. Er würde versuchen, in die Bucht vorzudringen, bis er in Sichtweite der Galeone war. Er ging vermutlich davon aus, dass die Freibeuter sich in flachem Wasser befanden, was das Manövrieren erschweren würde.
Im Augenblick hatten sie dem Feind das Heck zugewandt, den verwundbarsten Teil des Schiffes. Bosquet konnte bis knapp in die Mündung der Bucht hineinsegeln und so lange Breitseiten abfeuern, bis beide Schiffe sanken. Und das konnte er ohne Gefahr für den Schatz auf der Galeone tun, denn der läge dann in flachem Wasser, wo er ihn von einheimischen Tauchern bergen lassen konnte.
Hunter ließ Enders kommen und befahl, die spanischen Gefangenen sicher einzusperren. Dann gab er Befehl, alle tauglichen Freibeuter mit Musketen zu bewaffnen und unverzüglich an Land zu setzen.
Ein sanfter Morgen tagte über der Monkey Bay. Es wehte nur ein leichter Wind und der Himmel war mit zarten Wolken geschmückt, die rosa im ersten Tageslicht schimmerten. An Bord des spanischen Kriegsschiffs verrichtete die Besatzung die Morgenarbeiten träge und lustlos. Die Sonne stand schon ein gutes Stück über dem Horizont, ehe die Befehle zum Segelsetzen und Ankerlichten ertönten.
In diesem Augenblick eröffneten die Freibeuter, die sich entlang des Ufers auf beiden Seiten der Fahrrinne in die Bucht versteckt hatten, aus allen Rohren das Feuer. Die spanische Besatzung wurde völlig überrumpelt. In den ersten Sekunden wurden alle Männer an der Winde des Hauptankers getötet. Auch alle Männer, die dabei waren, den Heckanker zu lichten, starben oder wurden verwundet. Sämtliche Offiziere, die an Deck zu sehen waren, wurden erschossen, und die Männer in der Takelage wurden mit erstaunlicher Zielsicherheit getroffen und stürzten schreiend aufs Deck.
Dann hörte das Feuer genauso unvermittelt wieder auf. Bis auf einen grauen Pulverschleier, der am Ufer in der Luft hing, war keine Bewegung zu sehen, kein Blätterrascheln zu hören, nichts.
Hunter hatte an der Spitze der Landzunge Posten bezogen und beobachtete das Kriegsschiff zufrieden durch sein Fernrohr. Er hörte die verwirrten Rufe und sah die halb gerefften Segel in der Brise flattern und knattern. Etliche Minuten verstrichen, bis wieder Männer der Besatzung in die Takelage kletterten und sich an den Ankerwinden zu schaffen machten. Sie fingen zunächst zaghaft an, wurden jedoch wagemutiger, als eine weitere Salve ausblieb.
Hunter wartete.
Er hatte einen deutlichen Vorteil, das wusste er. In einer Zeit, in der weder Musketen noch Musketiere sich durch besondere Treffsicherheit auszeichneten, waren die Freibeuter hervorragende Schützen. Seine Männer konnten selbst bei unruhigem Wellengang Seeleute an Deck eines fliehenden Schiffes erschießen. Vom Ufer aus zu feuern war für sie ein Kinderspiel.
Es war nicht einmal eine Herausforderung.
Hunter wartete ab, bis er sah, wie die Ankerleine sich bewegte, dann erst gab er das Zeichen zum Feuern. Eine weitere Salve peitsche auf das Kriegsschiff, mit der gleichen verheerenden Wirkung. Dann wurde es wieder still.
Bosquet war gewiss inzwischen klar geworden, dass ihn die Einfahrt in die Korallenpassage, die ihn noch näher ans Ufer bringen musste, ungeheure Verluste kosten würde. Er könnte es wahrscheinlich durch die Passage und bis in die Bucht schaffen, aber dann würden Dutzende, vielleicht Hunderte seiner Männer getötet. Noch bedrohlicher war das Risiko, dass wichtige Männer in der Takelage oder sogar der Steuermann selbst erschossen würden und das Schiff dann in gefährlichen Gewässern führerlos wäre.
Hunter wartete. Er hörte, wie Kommandos gerufen wurden, dann trat erneut Stille ein. Und auf einmal sah er die Hauptankerleine ins Wasser fallen. Sie hatten sie gekappt. Gleich darauf wurden auch die Heckleinen gekappt, und das Schiff trieb langsam vom Riff weg.
Sobald sie außer Reichweite der Musketen waren, tauchten wieder Männer an Deck und in der Takelage auf. Die Segel wurden ausgerollt. Hunter wartete ab, ob das Kriegsschiff Richtung Ufer drehen würde. Aber nein. Es glitt vielleicht hundert Yards nach Norden und warf dort wieder einen Anker aus. Die Segel wurden eingeholt und das Schiff dümpelte sanft vor Anker, unmittelbar vor den Hügeln, die die Bucht schützten.