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Coldmoon ließ den Blick jetzt nicht mehr durchs Zimmer schweifen, sondern richtete ihn wieder auf Pendergast. »Mir wäre es lieber, ich würde bei Ihnen bleiben.«

Pendergast war überrascht. »Aber das wäre eine Verschwendung von Arbeitskraft.«

»Wir sind Partner, und unsere Anweisungen lauten, dass wir zusammenarbeiten. Apropos Anweisungen, ADC Pickett hat mich gebeten, Ihnen dieses Memo auszuhändigen.« Coldmoon nahm die Hand aus der Hosentasche und hielt Pendergast einen verschlossenen Umschlag hin, gefaltet und ziemlich zerknittert vom vielen Herumtragen.

Wortlos nahm Pendergast den Umschlag entgegen, riss ihn auf und zog das einzelne Blatt heraus.

SA Pendergast:

Gemäß meinen Anweisungen von gestern Nachmittag haben Sie eng und unmittelbar mit Agent A. B. Coldmoon zusammenzuarbeiten und ihn persönlich in sämtliche Ermittlungen einzubeziehen, wohin diese auch führen, sowie ihn in alle Ihre Schlussfolgerungen oder Vermutungen einzuweihen, die sich aus besagten Ermittlungen ergeben. Jede Abweichung von dieser Arbeitsweise wird als Insubordination betrachtet werden.

ADC Pickett

New York Field Office

Mit ausdrucksloser Miene faltete Pendergast den Brief sorgfältig zusammen, schob ihn in den Umschlag zurück und steckte diesen in eine der Taschen seines schwarzen Anzugs.

6

Als sie gemeinsam das Haus verließen, fragte Coldmoon: »Wie sind Sie eigentlich hergekommen? Haben Sie einen Wagen gemietet?«

Pendergast zeigte auf den weißen Nissan, der vor dem Haus parkte. »Ja, leider. Aber ich habe wirklich Glück, dass Sie vorbeigekommen sind – auf den Straßen hier in Miami herrscht unglaublich dichter Verkehr, und das Straßennetz ist ein derartiges Labyrinth, dass es geradezu kafkaesk anmutet. Wir haben einen Termin in einer Dreiviertelstunde, außerdem bin ich wirklich ein sehr schlechter Autofahrer – und überzeugt, dass Sie uns besser durch den Verkehr lenken, als ich das könnte. Würden Sie uns fahren? Außerdem ist Ihr Wagen mehr nach meinem Geschmack.« Mit einem Nicken wies Pendergast auf den aufgemotzten Mustang Shelby GT 500, den Coldmoon am Bordstein abgestellt hatte.

»Ich habe versucht, einen Wagen vom örtlichen FBI zu bekommen, aber die haben mich zu den Drogenfahndern geschickt. Nachdem ich jede Menge Formulare ausgefüllt habe, hat man mir dann dieses konfiszierte Fahrzeug überlassen. Die haben gemeint, etwas Besseres könne man mir kurzfristig nicht anbieten. Ich bin mir bloß nicht sicher, ob es sich hierbei um einen Gefallen oder einen Scherz handelt.«

»Vielleicht hat man dort geglaubt, dass der Wagen in dieser Umgebung nicht so auffällt.«

Coldmoon warf einen Blick auf den gemieteten Nissan. Wie’s aussah, wollte Pendergast ihn dort stehen lassen. Er zuckte mit den Schultern und ging um den Mustang herum zur Fahrerseite. Pendergast wollte die hintere Tür öffnen – offenbar eine gewohnheitsmäßige Bewegung –, erkannte, dass da keine war, und zog stattdessen die Beifahrertür auf.

»Wohin geht’s?«, fragte Coldmoon.

»Zum Friedhof Bayside, bitte. In Bal Harbour.« Während Coldmoon die Adresse in sein Mobiltelefon eingab, machte Pendergast es sich so bequem wie möglich in dem Schalensitz. Dann schielte er zu Coldmoon hinüber und schnüffelte dabei ziemlich laut und vernehmlich. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir die Fenster öffnen? Klimaanlagen reizen meine Nasengänge.«

»Meinetwegen.«

»Vielen Dank.« Pendergast ließ das Beifahrerfenster herunter und fuhr fort: »Da wir Partner sein sollen, ziehen Sie es vermutlich vor, dass wir uns mit Vornamen anreden. Mein Vorname lautet –«

»Coldmoon ist schon in Ordnung.« Er fuhr an.

»Ausgezeichnet. Natürlich«, erwiderte Pendergast.

Der Mustang fuhr sich wie ein typischer tiefergelegter Wagen; der Motor heulte mehr, als dass er schnurrte, und jeder Huckel in der Fahrbahn, jeder Riss im Asphalt, über den sie fuhren, wurde um das Mehrfache verstärkt. Während der Fahrt informierte Pendergast Coldmoon über das, was die Polizei Miami Beach unternommen hatte. Er hatte sich mit einem gewissen Lieutenant Sandoval zusammengetan, dem Leiter der Mordkommission, der bereits Mengen an Beweismitteln zum Mord an Montera zur Verfügung gestellt hatte; weitere Laborberichte würden in Kürze folgen. Offenbar sei der Mord zufällig und auch hastig ausgeführt worden, doch der Modus Operandi sei auffällig: Die überfallartige Attacke weise auf einen planlosen Mörder hin, aber das hohe Maß an Kontrolliertheit und der Mangel an Beweisstücken, die am Tatort zurückgelassen worden waren, legten das Gegenteil nahe.

Coldmoon stellte fest, dass Pendergasts Schilderung des Straßenverkehrs zutraf. Er war zwar in der Lage, den ärgsten Ecken in der Innenstadt auszuweichen, indem er sich auf der Route 1 hielt und dabei die Staumeldung-Features seiner Smartphone-App nutzte, aber sobald er den Intracoastal Waterway auf die Insel überquert hatte, entwickelte sich das Ganze zu einem unausweichlichen Albtraum: die Autos von Gästen, die an der Beachfront in dritter Reihe vor ihren Hotels parkten, ahnungslose Touristen und ältere Autofahrer, die hinterm Steuer nichts verloren hatten. Sie brauchten die gesamten fünfundvierzig Minuten, die Pendergast für die gut dreißig Kilometer zum Bayside Cemetery eingeplant hatte.

Schließlich bogen sie in die Collins Avenue und fuhren weiter Richtung Westen. Der Friedhof wirkte klein und vergleichsweise ruhig: circa fünf Hektar groß, bestanden mit Palmen, Magnolien und Weißgummibäumen, dazu Reihen von Grabsteinen, die hübsch angeordnet im sonnengesprenkelten Schatten der Bäume lagen. Coldmoon fuhr durchs Tor und hielt auf einem kleinen, unbefestigten Parkplatz, der von weißen Paradiesvogelsträuchern eingefasst war. Auf dem Parkplatz standen mehrere Autos, einige davon amtliche Fahrzeuge.

Pendergast stieg aus und deutete mit einem Nicken zu einem Polizisten, der in einem der Wagen saß und den Shelby neugierig beäugte. Schließlich machte Pendergast, statt direkt zum Grab zu gehen, auf dem Monteras Herz abgelegt worden war – Coldmoon sah das Grab in der Ferne, ein großes helles Rechteck –, einen scheinbar planlosen Spaziergang über den Friedhof. Da und dort blieb er stehen, um die Umgebung in Augenschein zu nehmen oder sich irgendwas im Rasen genauer anzusehen. Coldmoon folgte ihm wortlos. Pendergast spazierte im schwarzen Anzug in Schlangenlinien zwischen den Grabsteinen und nickte gelegentlich einem Friedhofsbesucher zu, als sei er ein ortsansässiger Bestatter, bis er sich schließlich einem kleinen Friedhofsgärtner-Schuppen näherte. Er ging zur Rückseite, wobei er sich weiterhin wie nebenbei umschaute, dann setzte er seinen Spaziergang fort. Schließlich ging er auf das Grab von Elise Baxter zu. Jetzt, da sie sich in der Nähe befanden, sah Coldmoon eine kleine Gruppe von Leuten, die unweit des Tatort-Absperrbands eng beieinanderstanden. Insgesamt fünf Personen, die verwirrt und verärgert wirkten. Nach ihrer Kleidung und dem Gebaren zu urteilen, handelte es sich um Einheimische. Coldmoon hatte bereits gelernt, die Touristen von den ständigen Bewohnern Miamis zu unterscheiden. Hinter dem Absperrband standen zwei Polizeibeamte beisammen, unterhielten sich leise und sahen hin und wieder zu der Gruppe hinüber.

»Guten Morgen«, begrüßte Pendergast die kleine Versammlung. »Special Agent Pendergast, mein Partner hier ist Special Agent Coldmoon. Danke, dass Sie gekommen sind.«

Einige nickten, andere traten etwas nervös von einem Fuß auf den anderen. An der Körpersprache konnte Coldmoon ablesen, dass sie einander nicht kannten und wohl nicht damit gerechnet hatten, Teil einer Gruppe zu sein.

»Der Grund, warum ich Sie gebeten habe, hierherzukommen«, sagte Pendergast, »– außer natürlich der Gelegenheit, Ms Baxter die Ehre zu erweisen –, besteht darin, dass Sie, wie ich erfahren habe, jene Menschen aus dem näheren Umfeld sind, die außerhalb der Familie Ms Baxter am besten gekannt haben. Ich möchte verstehen, ob einer von Ihnen sich einen Grund vorstellen kann, warum ihr Grab, ähm, auf diese Weise ausgewählt wurde, und hören, wieso Ihrer Meinung nach Ms Baxter sich das Leben genommen hat.« Er wandte sich an die Person, die ihm am nächsten stand, eine korpulente Frau in mittleren Jahren im Blümchenkleid und mit blonden Strähnen im Haar. »Könnten Sie sich bitte vorstellen, Ma’am?«