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Die Frau blickte sich unter den anderen um. »Claire Hungerford.«

»Und wie waren Sie mit Ms Baxter bekannt?«

»Ich habe mit ihr zusammen bei Sun and Shore Realty gearbeitet.«

»Vielen Dank.« Pendergasts Mischung aus Südstaaten-Vornehmheit und Charme war beinahe unwiderstehlich. »Und wie haben Sie sich kennengelernt?«

»Wir hatten uns beide auf Immobilien im Stadtteil Coral Gables spezialisiert. Ich bin immer noch in dem Viertel tätig. Wir waren die beiden Immobilienmaklerinnen der Firma, die in zwei aufeinanderfolgenden Jahren die Silberne Palme bekommen haben.«

»Die Silberne Palme?«

»Das ist ein Preis des Franchise-Unternehmens für die Makler mit der höchsten Steigerung des Verkaufsvolumens in dem betreffenden Jahr.«

»Verstehe. Und ist das auch der Grund, weshalb Sie beide damals zu jener Konferenz in Maine eingeladen wurden?«

Die Frau nickte.

»Wenn Sie von heute aus zurückblicken, welchen Eindruck hatten Sie von Elise Baxters Gemütszustand zur Zeit dieser Tagung?«

Die Frau griff sich nervös ins Haar. »Mir ist nichts aufgefallen. Sie war wie immer.«

»Sie hat sich nicht in irgendeiner Weise ungewöhnlich verhalten? War nicht zum Beispiel besonders still oder schlecht gelaunt?«

»Nein. Aber sie war ja immer recht ruhig. Ich meine, ich habe zwei Jahre lang das Büro mit ihr geteilt, aber ich kannte sie immer noch nicht besonders gut. Sie war nie das, was man eine Stimmungskanone nennt, obwohl –«

»Ja?«, hakte Pendergast nach.

»Na ja … ich glaube, sie könnte an jenem Abend etwas zu viel getrunken haben.«

»Und warum glauben Sie das?«

»Weil sie das Bankett ein bisschen zu früh verlassen hat. Vor den letzten Reden. Sie hat noch kurz mit mir gesprochen, als sie ging, und da ist mir aufgefallen, dass sie etwas wacklig auf den Beinen war.«

»Worüber hat sie denn mit Ihnen gesprochen?«

Die Frage verunsicherte die Frau. »Sie hat mich gefragt, ob ich mit ihr am nächsten Morgen mit dem Bus zu L. L. Bean fahren will, Outdoor-Bekleidung kaufen.«

»Verstehe. Und danach haben Sie sie nicht mehr gesehen?«

»Richtig.«

Die nächsten drei Befragungen verliefen ähnlich. Eine Zimmergenossin im Studentenwohnheim, eine Jugendfreundin aus der Nachbarschaft, ein Mann, mit dem sie oft im Arthur-Murray-Tanzstudio getanzt hatte. Die Leute alle hatten, wie Coldmoon auffiel, relativ vage und unauffällige Erinnerungen an Elise Baxter. Sie war eine sympathische junge Frau gewesen, ehrgeizig, aber zurückhaltend. In ihrem Verhalten hatte sich nichts gezeigt, was auf Selbstmordneigungen hindeutete, aber auch nichts, was diese ausschloss.

Am Ende dankte Pendergast allen überschwänglich und wünschte ihnen einen guten Tag. Während die Gruppe auseinanderging, hob er die Hand, um die fünfte Person zu stoppen, die bisher geschwiegen hatte: ein Mann von vielleicht sechzig Jahren, etwas ungepflegter als die anderen. Er trug einen verwitterten Sonnenhut, ein weißes T-Shirt und eine verschossene grüne Jogginghose.

»Carl Welter?«, fragte Pendergast.

»Ja, der bin ich.« Die heisere Stimme ließ darauf schließen, dass der Mann jahrelang filterlose Zigaretten geraucht hatte.

»Wissen Sie, warum man Sie hierhergebeten hat?«

Der Mann blickte weiter von Pendergast zu Coldmoon und wieder zurück. »Ich war nicht mit der Toten befreundet.«

»Nein. Aber Sie waren vorgestern der Wachmann der Mitternacht-bis-acht-Schicht – als das Objekt auf dem Grab der Frau zurückgelassen wurde.«

»Ich habe bereits gestern mit der Polizei darüber gesprochen. Zweimal.«

»Ich kenne Ihre Aussage. Und Sie haben gegenüber den Beamten ausgesagt –«, hier griff Pendergast in die Anzugjacke, zog ein offiziell aussehendes Blatt Papier heraus und las, »– dass Sie sich in der Nähe des Gärtnerschuppens aufgehalten und ein Rasenmäherscherblatt geschliffen hätten, als Sie ein quietschendes Geräusch hörten – so, als würde ein Metalltor geöffnet. Das war –«, erneut las er das übertrieben deutlich ab, »– morgens zwischen zwei und Viertel nach zwei. Sie hätten natürlich nachgeschaut, aber es sei eine dunkle Nacht gewesen, der Mond verhangen, das vordere Tor geschlossen, weshalb Ihnen nichts aufgefallen sei.«

»Stimmt, das habe ich gesagt«, sagte der Mann ein wenig streitlustig. Um die Aussage zu unterstreichen, nickte er.

»Und das war eine Lüge«, sagte Pendergast in unverändert sanftem Tonfall.

»Was zum –?«, sagte der Mann mit krächzender Stimme, dann verstummte er.

»Und zwar eine Lüge, die leicht zu durchschauen ist. Mehr noch, es wundert mich, dass Sie infolgedessen nicht einen dritten Besuch seitens der Polizei bekommen haben. Aber, Mr Welter, wenn Sie aufrichtig zu mir sind, kann ich Ihnen versprechen, dass wir alle Ihre Unaufrichtigkeit übersehen werden.«

Der Mann machte den Mund auf, um zu protestieren, aber Pendergast faltete das Blatt zusammen, steckte es wieder ein und fuhr fort. »Bitte vergeuden Sie Ihre Zeit nicht mit Einwänden. Ich bringe das alles nur der Form halber zur Sprache – um sicherzugehen, dass uns dieser Friedhof nicht noch mehr zu erzählen hat. Schauen Sie, das Herz wurde nicht um zwei Uhr morgens auf dem Grab von Elise Baxter zurückgelassen – und zwar wegen der schlichten Tatsache, dass es zu dem Zeitpunkt noch in der Brust seiner Besitzerin schlug. Ms Montera wurde erst um vier Uhr morgens getötet.« Er hielt inne und beobachtete die Reaktion des Wachmanns. »Tatsächlich haben Sie in jener Nacht nichts gehört. Die einzig wichtige Frage lautet daher: Warum haben Sie gelogen?«

Erneut blickte der Mann zwischen Coldmoon und ihm hin und her, jedoch wirkte sein Gesichtsausdruck jetzt panisch.

Pendergast wartete, eine bedeutungsschwangere Pause entstand. Plötzlich rief Coldmoon, gerade als der Wachmann Luft holte, um etwas zu sagen, dazwischen: »Weil Sie Ihren Rausch ausgeschlafen haben.«

Welter und Agent Pendergast wandten sich zu ihm um.

Coldmoon redete weiter. »Ihre Schicht begann um Mitternacht. Angesichts der beiden Sechserpacks Pabst Blue Ribbon, die Sie getrunken haben, dürfte Ihre Blutalkoholkonzentration um die zwei Promille betragen haben, sodass Sie nicht in der Lage waren, irgendwelche Störungen zu bemerken, erst recht nicht, ihnen nachzugehen.«

»Sie –«, setzte der Wachmann erneut an, verstummte dann aber ein weiteres Mal.

»Fest steht, dass Sie in einer Sache gelogen haben, und zwar weil die Geschäftsführung nicht erfahren sollte, dass Sie während der Arbeitszeit betrunken waren.«

Keiner bewegte sich.

»Nicken Sie einfach, wenn das stimmt, Mr Welter«, sagte Coldmoon. »Einmal reicht.«

Nach kurzem Zögern nickte der Wachmann kaum wahrnehmbar.

»Prima«, sagte Coldmoon und sah kurz zu Pendergast. »Gibt’s sonst noch etwas, was Sie fragen wollen?«

»Nein danke«, erwiderte Pendergast.

Auf der Fahrt im Auto nach Süden sagte keiner von ihnen ein Wort. Als sie North Beach passierten, fragte Coldmoon schließlich: »In welchem Hotel wohnen Sie?«

»Im Fontainebleau. Und Sie?«

»Holiday Inn.«

»Herzliches Beileid.«

»Also – ich muss Sie das fragen – übernimmt das Bureau Ihre Hotelrechnung?«

»Nein. Da ich annehme, dass Ihr Hotel weiter südlich liegt als meines – könnten Sie mich bitte vorher absetzen? Ich sage Lieutenant Sandoval, er soll Ihnen eine zweite Kopie der Ermittlungsakte herüberschicken, damit Sie sich die anschauen können, zusammen mit allen neuen Laborberichten. Wir können uns dann am Nachmittag wieder treffen. Ist Ihnen das recht?«

»Natürlich.«

Nachdem wieder ein, zwei Minuten vergangen waren, hatte Coldmoon das Gefühl, Pendergast würde ihn ansehen. »Ahnen Sie, warum ich diese Leute gebeten habe, als Gruppe am Grab mit uns zu sprechen statt einzeln?«