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»Flayley wurde kürzlich exhumiert und obduziert, weil Sie darauf bestanden haben, und die Assistentin des Rechtsmediziners, deren Meinung Sie offenbar so sehr schätzen, hat erklärt, dass es sich bei Flayleys Tod um Selbstmord handelt!«

»Darüber bin ich mir im Klaren. Es gibt da irgendeine Art Verzögerung, das Obduktionsgutachten zu Mary Adler zu erhalten, das, sobald es zur Verfügung steht, möglicherweise unterstützendes Beweismaterial liefert. Aber sicherlich sind wir nicht nur hier, um Worte zu wechseln. Sie haben mich gefragt, welche Aspekte des Falls ich mir ›anschauen‹ würde, und diese Frage habe ich beantwortet.« Pendergast trank noch einen Schluck Espresso. »So viel zum Thema hypothetische Fragen. Ja, mehr noch: Es sind nutzlose Spekulationen, da ich mich in Kürze auf den Weg in den Bienenkorb-Staat machen werde. Also, wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gern mein Versetzungsschreiben lesen.«

Pickett saß wohl eine Minute lang ganz still da. Dann griff er langsam in sein Jackett und zog ein Kuvert hervor. Pendergast streckte die Hand danach aus.

Pickett packte den Umschlag mit beiden Händen und riss ihn entzwei. Dann steckte er die Stücke wieder ein.

»Sie haben meine Erlaubnis, in der Richtung, die Sie eben skizziert haben, weiterzuermitteln.«

Pendergast reagierte darauf nur, indem er leicht eine Braue hochzog. Er setzte sich zurück und zog seine Hand zurück.

»Und jetzt möchte ich, dass Sie mir sehr gut zuhören, Special Agent Pendergast«, sagte Pickett und verschränkte die Hände. »Ich bin dorthin gekommen, wo ich bin, weil ich an das System und seine Regeln glaube. Ich verfüge zudem über gute Kenntnisse in der Psychologie der menschlichen Motivation und Belohnung. Aber ich bin nicht so geblendet von Ego-Überlegungen, um zu bezweifeln, dass ich noch ein, zwei Dinge lernen kann. Sie sind ein Bilderstürmer – und haben Freude daran. Ihre Arbeitsweise verletzt so gut wie jedes Prinzip, auf das ich Wert lege, bis auf eines – und das sind Zahlen. Sie erzielen Resultate. Wie zum Beispiel, dass Sie auf die Obduktion dieser Baxter gedrängt haben, obwohl alle das für eine Sackgasse gehalten haben.«

Statt zu antworten, trank Pendergast einfach nur seinen Espresso aus.

»Aber Ergebnisse zu erzielen, ändert nichts an der Tatsache, dass Ihre Methoden ungewöhnlich sind. Wenn man unkonventionelle Methoden anwendet, gibt es allerdings kein Auffangnetz bei Misserfolg. Was ich damit sagen wilclass="underline" Diejenigen von uns, die sich an die Vorschriften halten, können sich sicher fühlen, selbst wenn wir etwas vermasseln. Aber wenn man gegen die Regeln verstößt, wird der Misserfolg gesteigert. Und jetzt erkläre ich Ihnen, was passiert: Sie und Coldmoon werden hierbleiben und die Ermittlungen zu Ende bringen – und zwar auf Ihre Weise. Selbstverständlich will ich, dass Sie mich über wichtige Fortschritte auf dem Laufenden halten. Wenn Sie Hilfe benötigen, lassen Sie es mich wissen. Ansonsten will ich nichts davon hören, dass Sie irgendwelche ungewöhnlichen Sachen machen. Halten Sie den Ball flach … und liefern Sie Ergebnisse. Ich werde Ihnen Raum zum Arbeiten geben, im Austausch gegen eines: Wenn dieser Fall in Flammen aufgeht wegen Ihrer Methoden, übernehmen Sie dafür die volle Verantwortung. Nicht Coldmoon. Nicht ich. Und garantiert nicht die Außenstelle New York. Und in einer Hinsicht können Sie ganz sicher sein – ich werde Sie im Regen stehen lassen.« Er hielt inne. »Abgemacht?«

Pendergast nickte knapp.

Pickett fuhr fort: »Noch etwas. Keine Alleingänge. Das ist hier ein riesiger, ausufernder Fall, und deshalb werden Sie Unterstützung benötigen. Sie haben Commander Grove ja kennengelernt. Er wird dafür sorgen, dass Sie alles bekommen, was Sie von der Polizei Miami brauchen. Diese Strafverfolgungsbehörde verfügt über einige der besten Ressourcen im Land. Sie kann Ihnen die Akten und die Falldaten besorgen, hundert Cops auf jedes Problem ansetzen, das Sie lösen wollen, Überwachungsmaßnahmen einleiten, an Türen anklopfen, sie kann jeden Bewohner in einem ganzen Häuserblock vernehmen, wenn’s sein muss. Sie müssen Grove nicht unbedingt auf dem Laufenden halten, aber sagen Sie ihm, was Sie brauchen, und er wird das erledigen.«

»Er macht auf mich einen recht kompetenten Eindruck«, sagte Pendergast.

»Er hat einen verdammt guten Ruf. Und schätzen Sie ihn nicht gering, nur weil er einen administrativen Posten bekleidet – er war früher mehr als genug auf den Straßen unterwegs.« Es entstand eine Pause. »Haben wir uns verstanden, Agent Pendergast?«

»Vollkommen, Sir.«

»Aber vergessen Sie nicht: Wenn die Dinge den Bach runtergehen, dann tragen Sie die volle Verantwortung – und zwar nur Sie allein.«

»So ist es mir immer am liebsten«, sagte Pendergast.

Pickett streckte die Hand aus, Pendergast ergriff sie kurz, dann erhob sich Pickett, drehte sich um, ging um den Swimmingpool herum und verschwand im Dunkel der Rooftop-Bar.

29

Um vier Uhr morgens lag Charlotte Fauchet im Bett und starrte auf den schwachen roten Lichtschein an der Decke, den ihr digitaler Wecker warf. Um zwei Uhr hatte ein Albtraum sie geweckt. Sie hatte eine Leiche präpariert, dabei war ihr Skalpell immer wieder abgeglitten, bis sich die Leiche schließlich aufrichtete und sie der Unfähigkeit schalt. Seitdem lag sie wach, unsicher wegen der Flayley-Obduktion.

Albträume zu haben, sich unsicher zu fühlen, das sah ihr gar nicht ähnlich. Dank Moberly, diesem Vollidioten von einem Chef, hatte sie ein ziemlich dickes Fell entwickelt. Was Agent Pendergast – der so nett und freundlich wirkte – mit dem Mann gemacht hatte, war beängstigend und doch auf abartige Weise schicksalhaft. Er kam ihr vor wie die Art Racheengel, in dem man einen unerschütterlichen Freund haben würde – oder einen unerbittlichen Feind.

Fauchets Gedanken schweiften zurück zu ihrem Traum. Ganz offensichtlich hatte die Baxter-Autopsie ihr Selbstvertrauen erschüttert. Sie hatte bestätigt, dass es sich um Mord handelte. Aber hatte sie recht damit? Und was war mit Flayley? Hatte sie das Zungenbein der Frau gründlich genug untersucht? Und während Fauchet über jenen Moment nachdachte – das Erscheinen von Moberly, die Art und Weise, wie er sie beiseitegedrängt hatte, sein furchtbares Geschnippel im Hals der Leiche –, wurde ihr klar: Das Ganze hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht und möglicherweise komplett die Konzentration verlieren lassen. Als sie die Untersuchung des Zungenbeins beendet hatte, war sie nervös gewesen und hatte dieser nicht ihre ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt. Möglicherweise hatte sie etwas übersehen.

Um halb fünf, nachdem sie es aufgegeben hatte, wieder einzuschlafen, stand sie schließlich auf, duschte, trank einen großen Becher Kaffee, stieg in ihren Wagen und fuhr in die Gerichtsmedizin. Die Nachtluft war noch mild. Zeiten wie diese gehörten zu den Gründen, weshalb sie Miami trotz all seinem Geglitzer, dem Verkehr, den Menschenmassen und der Kriminalität ertragen konnte.

In der Gerichtsmedizin war es ruhig und dunkel; als sie das Licht einschaltete, war sie kurz geblendet. Rasch zog sie die Leiche aus dem Schubfach und schob sie auf einer Rolltrage zum Obduktionssaal. Im Geist ging sie die forensische Checkliste durch. Als sie sich sicher war, dass alles bereit war, schaltete sie das Audio/Video-System ein und erklärte laut, was sie tat und warum.

Sie rollte das große Stereo-Zoom-Mikroskop heran, bis es über dem Hals positioniert war, und fing an, das Zungenbein erneut zu untersuchen. »Der »Körper« des Knochens, der Mittelteil, war ganz offensichtlich gebrochen – das hatte sie schon bei der ersten Obduktion festgestellt –, entweder, als Flayley am Ende des Seils gezappelt hatte, oder aber beim kurzen Fall von der Brücke. Keine Anomalien zu erkennen. Nun wandte Fauchet ihre Aufmerksamkeit den Hörnern des Zungenbeins zu. Das Zungenbein zählte zu den ungewöhnlichsten Knochen im menschlichen Organismus, weil es nicht mit anderen verbunden war – im Grunde schwebte es zwischen den Muskeln und Bändern, es sorgte für den Ansatz für die Zunge, den Mundboden, den Kehldeckel und die Rachenhöhle. Das Zungenbein besaß die Form eines Hufeisens, wobei das eine Horn größer als das andere war. Bei Baxter waren die Hörner symmetrisch gebrochen worden durch einen Druck-Würgegriff, das rechte Horn stärker als das linke, was darauf schließen ließ, dass eine rechtshändige Person beide Hände um den Hals gelegt und zugedrückt hatte, wobei der rechte Daumen den stärkeren Druck ausgeübt hatte. Aber hier war der Druck-Würgegriff – vorausgesetzt, es hatte einen gegeben – zu schwach gewesen, um den Knochen zu brechen. Sie hätte unbedingt ein MRT anfertigen lassen sollen, aber das hätte jede Menge Schriftkram und Zeit erfordert, von den vielen Fragen, die das aufgeworfen hätte, ganz zu schweigen.