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»Miami ist in der Tat ein ganz reizender Ort.«

Ein dankbares Lächeln. »Aber vielleicht ist es ja nicht Ihr erster Besuch. Denn Ihrem Akzent entnehme ich, dass Sie nicht aus, wie wir hier sagen, dem hohen Norden kommen.«

»Das ist richtig. Ich bin in New Orleans aufgewachsen.«

»Wie schön.« Fleming sah auf einen kleinen, in den Holzboden eingelassenen Teleprompter, der, wie Coldmoon annahm, Stichworte für das Interview zeigte. »Was können Sie uns über die Fortschritte in dem Fall berichten? Vor allem seit diesem dritten brutalen Mord?«

»Nichts«, antwortete Pendergast.

Coldmoon merkte, dass sich Grove in der Dunkelheit hinter ihm unruhig bewegte.

Sollte die Antwort Fleming verblüfft haben, so verbarg sie das gekonnt. »Meinen Sie damit, dass man nichts Neues herausgefunden hat, seit der Brief des Killers in der Zeitung abgedruckt wurde?«

»Ich bitte um Verzeihung, Ms Fleming, aber Ihre Frage lautete, ob es etwas gebe, was ich Ihnen berichten kann.«

»Ah.« Die Frau nickte vielsagend und blinzelte in die Kamera. »Sie meinen damit also, es gibt mehrere Aspekte – Entwicklungen –, an denen Sie die Öffentlichkeit nicht teilhaben lassen können.«

»Das ist richtig.«

»Können Sie uns dann wenigstens mitteilen, ob Sie mit den Fortschritten in den Ermittlungen zufrieden sind?«

»Ich bin selten zufrieden. Wir haben jedoch gewisse Fragestellungen identifiziert.«

Fleming spielte mit – das musste Coldmoon ihr zubilligen – und kannte sich im Umgang mit unbequemen Gästen gut aus. »Das wird unsere Zuschauer bestimmt beruhigen. Mir ist zwar klar, dass es vieles gibt, das Sie uns nicht erzählen dürfen«, Fleming beugte sich etwas verschwörerisch zu Pendergast vor, »aber könnten Sie uns wenigstens wissen lassen, ob Sie kurz davorstehen, das Monster zu fassen?«

»Leider ist das etwas, was ich nicht vorhersagen kann. Es gibt jedoch einen Gefallen, um den ich Sie gern bitten würde.«

»Selbstverständlich.«

»Bitte hören Sie auf, den Täter als Monster zu bezeichnen.«

Coldmoon hörte, dass Grove tief Luft holte.

Das Lächeln der Frau gefror. »Es tut mir leid, wenn Sie mit dieser Charakterisierung nicht übereinstimmen. Aber stimmt es denn nicht, dass diese Person drei unschuldige Frauen brutal ermordet hat?«

»Das stimmt, ja.«

»Und als wäre das nicht schon genug, hat diese Person denn nicht die Herzen der Frauen herausgeschnitten und dazu verwendet, die Gräber von Selbstmordopfern zu dekorieren – womit sie noch mehr Leid über deren Familien bringt, als diese bereits erlitten haben?«

»Ja.«

»Dann, Agent Pendergast, frage ich Sie, warum dieses … dieses Wesen kein Monster ist?«

»In Monster schwingt die Bedeutung ›das Böse‹ mit. Dass Grausamkeit einem Vergnügen bereitet. Dass bei dem Täter ein psychopathischer Mangel an Schuld oder Reue vorliegt.«

»Ja, aber –«

»Und ich glaube nicht, dass dies eine zutreffende Charakterisierung von Mister Brokenhearts ist. Er hat getötet, ohne Zweifel, aber nicht um des Tötens willen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Dass er kein Vergnügen daran hat. Ja, mehr noch, alle Indizien deuten darauf hin, dass das Motiv, warum er den Opfern die Kehle durchgeschnitten hat, ist, dafür zu sorgen, dass sie möglichst schnell und schmerzlos sterben. Reue, nicht der Mangel daran – exakt darum geht es bei diesen Morden.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Zuschauer das verstehen. Könnten Sie das näher erläutern?«

Pendergast wechselte den Blick von der Moderatorin zur nächststehenden Kamera. Immer noch sprechend, erhob er sich von seinem Platz.

»Mehr noch«, sagte er, »der Grund, warum ich hier bin, ist, dass ich mit Mister Brokenhearts sprechen möchte.«

»Agent Pendergast –«, setzte Carey Fleming an, doch Pendergast beachtete sie gar nicht. Er richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf die Kamera.

»Mister Brokenhearts, ich weiß, dass Sie da sind, zuschauen und zuhören«, sagte Pendergast und ging langsam auf die Kamera zu, deren Kameramann etwas zurückfuhr, während Pendergast näher kam. »Und ich weiß auch, dass Sie nicht weit weg sind – überhaupt nicht weit weg.«

»Dieser Hundesohn«, hörte Coldmoon Grove murmeln. »Was tut er denn da?«

Pendergast redete weiter, seine sanfte, weiche Stimme erfüllte das Studio. »Sie sind kein Monster. Sie sind eine Person, die verletzt, möglicherweise sogar misshandelt worden ist.«

Auf einem Monitor sah Coldmoon, dass Pendergast sich der Kamera näherte, bis sein Kopf und die Schultern den Rahmen ausfüllten. »Ich weiß, Sie hatten ein fürchterliches Leben. Dass Sie seelisch verletzt wurden, dass Ihnen die Führung und Orientierung fehlte, der wir alle bedürfen, um Recht von Unrecht unterscheiden zu können.«

Wie gebannt sah Coldmoon Fleming zu, die dem Regisseur fieberhaft Zeichen machte, während die Kamera Pendergast weiterhin in Nahaufnahme zeigte. Das hier ist live, sagte sie stumm und machte dabei eine übertriebene schlagende Handbewegung, das hier ist live. Aber der Producer gab den Kameraleuten Zeichen, weiterhin auf Pendergast draufzubleiben. Coldmoon wurde klar, dass es sich hier um großartiges Bildmaterial handelte, was der Regisseur offensichtlich auch fand.

»Ich fasse es nicht, dass das gesendet wird«, flüsterte Grove entsetzt. »Und dann auch noch live!«

Pendergast schaute mit festem Blick in die Kamera, während der Kameramann auf extreme Nahaufnahme ging. »Und weil Sie nie diese Art Anleitung hatten, wende ich mich jetzt an Sie. Zwar ist es meine Aufgabe, Sie zu stoppen, aber ich möchte, dass Sie eines wissen: Ich bin nicht Ihr Feind. Ich möchte Ihnen helfen. Sie sind intelligent. Wenn ich Ihnen sage, dass das, was Sie tun, zutiefst falsch ist, dann werden Sie, wie ich glaube, zuhören. Ich verstehe Ihr Bedürfnis, Abbitte zu leisten. Aber Sie müssen einen anderen Weg finden. Vertrauen Sie mir, hören Sie auf mich: Sie müssen einen anderen Weg finden.«

Pendergast hielt inne. Der Regisseur sprach in sein Walkie-Talkie und machte bündige Zeichen, die Kameras weiter auf Pendergast zu richten und nicht auf Fleming zu schwenken, die mit ihrem Gefuchtel aufgehört hatte und jetzt Pendergast wütend ansah, weil ihr klar geworden war, dass der Agent ihre Sendung gekapert hatte. Coldmoon staunte nicht schlecht, welch hypnotisierende Wirkung sein Partner auf einmal entfaltet hatte. Der Mann schlug Miami in Bann.

»Sie haben die Kraft, zu handeln oder nicht zu handeln. Nutzen Sie diese Kraft. Denken Sie darüber nach, was ich gesagt habe. Schreiben Sie mir, reden Sie mit mir, wenn ich helfen kann. Aber vor allem vergessen Sie nicht: Sie müssen einen anderen Weg finden.«

Pendergast sah eindringlich in die Kamera. Dann trat er ein paar Schritte zurück und wandte sich ab. Währenddessen fuhren die Kamerawagen zurück, und der Regisseur zeigte auf Fleming.

Sie hatte sich schon wieder erholt von ihrem Schreck und setzte eine ernste Miene auf, so, als wäre die ganze Episode geplant gewesen. »Und dies, meine Damen und Herren, war Special Agent Pendergast, der sich unmittelbar an den Serienmörder wandte, der sich Mister Brokenhearts nennt. Wollen wir hoffen und beten, dass er zugeschaut hat.«

Der Regisseur gab Anweisung, zur Werbung zu wechseln, er konnte seine diebische Freude kaum verbergen. Coldmoon sah, dass Carey Fleming Pendergast, der das Set verließ, einen bösen Blick hinterherwarf. Währenddessen spürte Coldmoon sein Handy in der Hosentasche vibrieren. Er zog es hervor und sah, ohne überrascht zu sein, dass da ADC Pickett anrief.

35

Er saß auf dem Fußboden des nachtdunklen Hauses, die Bilder aus dem alten Röhrenfernseher mit 80-cm-Diagonale warfen flimmernde Muster auf die nackten Wände. Die Fernsehwerbung spulte ihr lachhaftes Pantomimenspiel ab – es war ihm gelungen, mit der Fernbedienung den Ton auszuschalten, aber darüber hinaus war er unfähig, sich zu bewegen. Er war wie gelähmt.