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Missmutig sah Coldmoon aus dem Jalousie-Fenster des Zimmers am Rand von Little Havana, das Pendergast mittlerweile als Safe House bezeichnete. Der Verkehr bewegte sich träge durch die abgasgeschwängerte Luft, und während er zuschaute, fuhr Axels Taxi vom Bordstein an und fädelte sich in den Verkehr ein – wieder mal, um eine seiner ominösen Erledigungen zu machen. Es war kurz vor elf Uhr morgens, aber schon jetzt blitzte die Sonne reflektierend von den Fensterscheiben der Autos und den blanken Metallfronten der Geschäfte, sodass die Luft von großer Hitze und blendendem Licht erfüllt war.

Als er in South Dakota aufwuchs, hatte Coldmoon die heißen, trockenen Sommer geliebt. Aber Miami war eine völlig andere Nummer. Es war erst Anfang April, und schon jetzt kam ihm jeder Tag heißer vor als der vorherige. Es war so verdammt schwül, dass sich auf dem ganzen Körper – der vergeblich versuchte, sich abzukühlen – ein Schweißfilm bildete, der nicht verdunstete. Und die Sonne schien auch nicht sanft, so wie in den nördlichen Breiten, sondern brannte erbarmungslos auf einen nieder, als bekäme man eine glühend heiße Bratpfanne auf den Kopf geschlagen.

Er drehte sich vom Fenster weg. Pendergast saß am Tisch und hielt in der Hand irgendeine Art Goldkette, an der ein Medaillon befestigt war, das einen Heiligen darzustellen schien. Coldmoon war sie schon in den Händen des Agenten aufgefallen, als er in dieser Lodge in Maine auf Elise Baxters Bett gelegen hatte. Pendergast hatte nie gesagt, woher er das Medaillon hatte, noch, warum er es bei sich trug, aber er holte es zu den ungewöhnlichsten Zeiten hervor und betrachtete es – so wie jetzt.

Er hörte, dass sich die Wohnungstür öffnete, und kurz darauf erschien Dr. Fauchet mit einem Stapel Akten unterm Arm. Sie trug ein gestärktes gelbes Kleid, nickte Coldmoon zur Begrüßung zu und schenkte anschließend Pendergast ein strahlendes Lächeln. Wie schafften es die Einwohner Floridas eigentlich, einen Vormittag durchzustehen, von einem ganzen Tag zu schweigen, ohne vor Hitze einzugehen?

Hinter Fauchet kam Grove ins Blickfeld, beide betraten das schattige Zimmer. »Morgen«, sagte er an Coldmoon gewandt, knallte seine Aktentasche auf den Tisch und nahm Platz.

Coldmoon fiel auf, dass der Commander ein klein bisschen förmlich klang und nicht so onkelhaft auftrat wie sonst immer. Vielleicht ärgerte er sich immer noch darüber, wie Pendergast das Fernsehinterview gestern Abend gekapert hatte – auch wenn Pendergast Grove hinterher seine Gründe erläutert hatte, während Pickett über den Handy-Lautsprecher zuhörte. Für Coldmoon ergaben die Argumente seines Partners Sinn. In Anbetracht von Brokenhearts’ psychologischem Profil und dem Umstand, dass er sich an Smithback gewandt hatte, glaubte Pendergast anscheinend, ihn durch eine direkte Ansprache beeinflussen zu können. Und womöglich hatte das ja wirklich funktioniert. Seit Carpenter hatte es keine Morde mehr gegeben – zumindest noch nicht. Sein Bauchgefühl sagte Coldmoon, dass Grove sich am meisten daran störte, dass man ihn im Dunkeln ließ. Schließlich war er der ranghöchste Beamte vor Ort und zuverlässig hilfreich gewesen, indem er die Ressourcen der Polizei Miami für sie arbeiten ließ. Es war ein bisschen unsportlich von Pendergast gewesen, sich plötzlich in einem öffentlichen Appell an Brokenhearts zu wenden, ohne Grove vorher darüber zu informieren.

Dennoch, der Commander schritt auf Pendergast zu, begrüßte ihn herzlich und schüttelte ihm die Hand. »Ihre Message ist angekommen«, sagte er und setzte sich an den Tisch. »Wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie noch etwas mehr Arbeit für uns.«

»Ich fürchte, ja. Aber zuerst habe ich da etwas, das ich Ihnen gerne zeigen würde – um Ihre Meinung dazu zu hören.«

Nette Schadensbegrenzung, dachte Coldmoon.

Pendergast sah zur Rechtsmedizinerin. »Dr. Fauchet. Ich hatte zwar nicht mit Ihrem Kommen gerechnet, aber ich muss sagen, es ist mir ein Vergnügen.«

»Commander Grove hat mich mitgenommen. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.«

»Nicht im Geringsten, mehr noch, es ist ein glücklicher Umstand. Auch wenn ich fürchte, es könnte Sie von Ihrer Arbeit abhalten.«

»Ich habe Urlaub.«

Pendergast hob die Brauen. »Ach ja?«

»Ja. Nicht, dass ich irgendwohin fahre«, fügte sie rasch hinzu.

Coldmoon hörte dem Wortwechsel genau zu. Fauchet – die kurz angebundene, kompetente junge Gerichtsmedizinerin – verwendete einen Urlaubstag darauf, sich über die Fortschritte in einem Kriminalfall zu informieren? Sie kam ihm seltsam befangen vor. Wenn er’s nicht besser gewusst hätte, würde er annehmen, dass die Frau in jemanden verknallt war. Vielleicht in ihn? Er blickte hinüber und sah, dass sie Pendergast anschaute. Nein, in ihn nicht.

»Ich würde es zu schätzen wissen, auch Ihre Meinung zu hören«, sagte er zu Fauchet, was sie sichtlich freute, aber auch zu verwirren schien.

Er stand auf und schlenderte zur rückwärtigen Wand, wo auf den beiden großen Korkbrettern inzwischen Karteikärtchen, blaue Bindfäden und Fotos angebracht waren. Auf dem linken Brett befanden sich die Karteikärtchen für jeden der drei jüngsten Morde, chronologisch in einer senkrechten Reihe angeordnet. Auf dem anderen steckten je eine Karteikarte für jeden der Selbstmorde/Morde, auf die Brokenhearts verwiesen hatte, dazu die Fotos von den Opfern, deren Kurzlebensläufe sowie Fotokopien seiner Briefe an sie. Eine Reihe parallel verlaufender blauer Fäden verknüpfte jeden der jüngsten Miami-Morde mit derjenigen Karteikarte, die für jenes Grab stand, das mit dem Mord korrespondierte. Unterhalb der drei Karteikarten auf der rechten Seite sah man zwei weitere Karteikarten, die eine für Laurie Winters, die andere für Jasmine Oriol.

Pendergast blickte in die Runde. »Es kommt ein Moment, da jede Ermittlung einen Kipppunkt erreicht. Dank Ihrer Bemühungen –«, er nickte in Richtung Fauchet und Grove, »– glaube ich, dass wir an diesem Punkt angekommen sind.«

Diese recht dramatische Ankündigung erhöhte die Spannung noch, die in dem stickigen Zimmer herrschte.

Pendergast ging Richtung Korkbretter und zog dabei einen goldenen Kugelschreiber aus der Tasche.

»Beginnen wir mit den drei aktuellen Morden: Felice Montera, Jenny Rosen und Louisa May Abernathy alias Misty Carpenter.« Während er das sagte, tippte er mit dem Kugelschreiber auf jede der Karteikarten. »Diese Morde sind verknüpft mit drei Selbstmorden, die elf Jahre zurückliegen: Elise Baxter, Agatha Flayley und Mary Adler.« Erneut tippte er mit dem Kugelschreiber auf die Karteikarten. »Ich habe immer geglaubt, dass diese als Suizide verbrämten Morde für das Verständnis der aktuellen Morde ausschlaggebend sind.«

Mord

Datum

Selbstmord/Mord

Datum

Ort

Felice Montera

19.03.18

Elise Baxter

November 06

Katahdin, Maine

Jenny Rosen

22.03.18

Agatha Flayley

März 07

Ithaca, New York

L. M. Abernathy

25.03.18

Mary Adler

Juli 06

Rocky Mount, North Carolina

Laurie Winters

September 06

Bethesda, Maryland

Jasmine Oriol

Mai 06

Savannah, Georgia

»Aber wie?«, fragte Commander Grove. »Ich meine, die alten Morde/Selbstmorde haben sich über das gesamte Land verstreut ereignet.«

»Aber stimmt das?«, erwiderte Pendergast. »Die Hauptstoßrichtung der Ermittlungen galt naturgemäß den jüngsten Morden in Miami Beach – es ging darum, den Mörder zu finden und zu stoppen. Die älteren Morde dienten als Beweismaterial, sie wurden dazu genutzt, den Impuls zu konkretisieren, welcher den aktuellen Mörder antreibt. Warum dieses Herz auf dieses Grab legen? Welche Verbindung hat, sagen wir, Felice Montera mit Elise Baxter oder Jenny Rosen mit Agatha Flayley?« Pendergast blickte abermals in die Runde. »Und hier nun liegt ein logischer Fehler vor. Die Ermittlungen haben sich auf die Beziehung zwischen den neuen Morden und den alten konzentriert – obwohl in Wirklichkeit zwischen ihnen gar keine besteht. Stattdessen sollten wir uns mit dem inneren Zusammenhang befassen, der zwischen den elf Jahre alten Morden selbst besteht.«