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Eine Minute später

AW:

Emmi, ich schreibe Ihnen keine E-Mails aus Boston. Ich möchte das abschließen, ehrlich. Ich bin überzeugt davon, dass es gut für uns beide sein wird.

50 Sekunden später

RE:

Und wie lange gedenken Sie mir noch zu mailen?

Zwei Minuten später

AW:

Bis zu unserem Treffen. Außer Sie sagen, Sie wollen sich definitiv nicht mit mir treffen. Dann wäre das quasi so eine Art Schlusssatz.

Eine Minute später

RE:

Das ist Erpressung, Meister Leo! Außerdem können Sie ziemlich grob formulieren, lesen Sie einmal Ihre letzte E-Mail. Ich glaube nicht, dass ich den Typ, der so spricht, treffen will. Gute Nacht.

Am nächsten Morgen

Kein Betreff

Guten Morgen, Leo. Ich treffe mich mit Ihnen SICHER NICHT im Messecafé Huber!

Eine Stunde später

AW:

Müssen wir auch nicht. Aber warum nicht?

Eine Minute später

RE:

Dort trifft man Berufskollegen oder Zufallsbekanntschaften.

Zwei Minuten später

AW:

Zufälliger als unsere kann eine Bekanntschaft kaum sein.

50 Sekunden später

RE:

Ist das die Einstellung, mit der Sie unseren Kontakt gesucht hatten, geführt haben und nun beenden wollen? Dann lassen wir das Zufalls- und Verflüchtigungstreffen lieber gleich bleiben.

Am nächsten Tag

Kein Betreff

Leo, was ist eigentlich los mit Ihnen? Wieso schreiben Sie plötzlich so rüpelhaft und destruktiv? Warum machen Sie »unsere Geschichte« so herunter? Bemühen Sie sich extra, unsensibel und böse zu sein? Wollen Sie mir Ihren Ausstieg schmackhaft machen?

Zweieinhalb Stunden später

AW:

Tut mir Leid, Emmi, ich bin gerade verzweifelt bemüht, »unsere Geschichte« aus dem Kopf zu kriegen. Ich habe Ihnen schon erklärt, warum das für mich notwendig ist. Ich weiß, dass meine E-Mails seit »Boston« fürchterlich sachlich klingen. Ich mag so gar nicht schreiben, aber ich zwinge mich dazu. Ich will schriftlich keine Gefühle mehr in »unsere Geschichte« investieren.

Ich will nicht noch mehr aufbauen, bevor ich es einstürzen lasse. Ich will wirklich nur noch dieses eine Treffen. Ich glaube, es wird uns beiden gut tun.

Zwei Minuten später

RE:

Und was ist, wenn wir uns nach dem Treffen wieder treffen wollen?

Vier Minuten später

AW:

Für mich kann ich das ausschließen. Das heißt: Ich habe es bereits ausgeschlossen. Ich will Sie dieses eine und einzige Mal treffen, um »unsere Geschichte« würdig abzuschließen, bevor ich nach Amerika gehe.

15 Minuten später

RE:

Was verstehen Sie unter »würdig abschließen«? Oder anders gefragt: Was wollen Sie, dass ich nach dem Treffen über Sie denke:

1.) Ganz nett, aber nicht annähernd so spannend wie schriftlich. Jetzt kann ich ihn mit ruhigem Gewissen und gutem Gefühl für immer aus allen Ordnern meines Lebens löschen.

2.) Wegen diesem Langweiler habe ich ein Jahr »neben mir« gelebt?

3.) Ein idealer Mann für einen Seitensprung. Schade, dass er jetzt auf die andere Seite des Ozeans springt.

4.) Umwerfender Typ! Was für eine berauschende Nacht! Das monatelange E-Mailen hat sich wirklich ausgezahlt. So, abgehackt. Jetzt kann ich mich wieder auf die Jausenbrote für Jonas konzentrieren.

5.) Scheiße. Das wäre er gewesen! Für ihn hätte ich Bernhard stehen lassen und meine Familie aufgegeben. Leider entweicht er mir jetzt Richtung Amerika, dem Land, aus dem man keine E-Mails schreiben kann. Aber ich werde auf ihn warten! Täglich werde ich eine Kerze für ihn anzünden. Und mit den Kindern werde ich ihn ins Gebet einschließen, bis er wiederkommt in aller Herrlichkeit und Pracht...

Drei Minuten später

AW:

Ihr Sarkasmus wird mir fehlen, Emmi!

Zwei Minuten später

RE:

Sie können gerne eine Ladung davon mit nach Boston nehmen, Leo. Ich habe noch genug davon. Also: Welchen Typen würden Sie anlässlich unseres offiziellen Auseinandergehens gerne abgeben?

Fünf Minuten später

AW:

Ich werde keinen Typen abgeben. Ich werde der sein, der ich bin. Und Sie werden mich so sehen, wie ich bin. Sie werden mich zumindest so sehen, wie Sie glauben, dass ich bin. Oder so sehen, wie Sie wollen, dass Sie glauben, dass ich bin.

Eine Minute später

RE:

Werde ich Sie wieder treffen wollen?

45 Sekunden später

AW:

Nein.

35 Sekunden später

RE:

Warum nicht?

50 Sekunden später

AW:

Weil das keine Möglichkeit ist.

Eine Minute später

RE:

Alles ist eine Möglichkeit.

45 Sekunden später

AW:

Das nicht. Das ist nämlich von vornherein keine Möglichkeit.

55 Sekunden später

RE:

Im Nachhinein erlebt man oft Möglichkeiten, die von vornherein niemals welche gewesen wären. Es sind oft nicht einmal die schlechtesten Möglichkeiten.

Zwei Minuten später

AW:

Tut mir Leid, Emmi. Die Möglichkeit, dass Sie mich wieder treffen wollen, wird keine solche sein. Sie werden schon sehen.

Eine Minute später

RE:

Warum soll ich das eigentlich sehen wollen? Wenn ich weiß, dass ich Sie nach unserem ersten Treffen kein zweites Mal treffen will, warum soll ich Sie dann überhaupt treffen?

Zwei Minuten später

Betreff: An Herrn Leike

Sehr geehrter Herr Leike, wir machen schlimme Tage durch. Wenn das nicht aufhört, wird unsere Ehe zerbrechen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das wollen. Bitte treffen Sie meine Frau und hören Sie auf, ihr zu schreiben. (Ich schwöre, ich habe keine Ahnung, was Sie einander schreiben, ich will es auch gar nicht mehr wissen, ich will nur, dass es endlich aufhört.) Mit freundlichen Grüßen, Bernhard Rothner.

Drei Minuten später

AW:

Emmi, das müssen Sie schon selbst wissen, warum Sie mich treffen wollen (wenn Sie es wollen). Ich kann Ihnen nur sagen: Ich will mich mit Ihnen treffen! Ich habe auch schon erschöpfend dargelegt, warum. Alles Liebe und schönen Abend, Leo.

Eine Minute später

RE:

Leo Eisbeutel Leike. »So hat der Typ die ganze Zeit mit mir gesprochen.« Schon traurig, eigentlich.