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3.) Sie waren schon einmal verheiratet. Stimmt's?

4.) Ich habe Sie plastisch vor mir, wie Sie, warm und wollig eingebettet in Selbstmitleid, Liebesbriefe lesen und alte Fotos anschauen, statt etwas zu tun, was eine Frau auf die Idee bringen könnte, da wäre bei Ihnen so etwas wie ein Anflug von Liebe oder der leise Wunsch nach etwas Dauerhaftem zu erkennen.

5.) Ja, und dann wirft sich MEINE Schicksals-E-Mail in Ihre über Sein und Nichtsein waltende Mailbox. Es ist, als hätte ich zum idealsten aller Zeitpunkte nun endlich ausgesprochen, was Marlene schon seit Jahren auf der Zunge gelegen sein muss: LEO, ES IST AUS, DENN ES WAR NIE AN! Oder mit anderen Worten, verklausulierter, poetischer, stimmungsvoller: »Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr wünscht Emmi Rothner.«

6.) Aber jetzt, lieber Leo, setzen Sie eine imposante Geste. Sie antworten Marlene. Sie beglückwünschen sie zur ihrer Entscheidung. Sie sagen: MARLENE, DU HAST RECHT, ES IST AUS, DENN ES WAR NIE AN! Oder mit anderen Worten, verklausulierter, energischer, kraftvoller: »Liebe Emmi Rothner, wir kennen uns zwar fast noch weniger als überhaupt nicht. Ich danke Ihnen dennoch für Ihre herzliche und überaus originelle Massenmail! Sie müssen wissen: Ich liebe Massenmails an eine Masse, der ich nicht angehöre. Mfg, Leo Leike.« - Sie sind ein erstaunlich guter, nobler, stilvoller Verlierer, lieber Leo.

7.) Nun meine Schlüsselfrage: Wollen Sie noch immer, dass ich Ihnen Mails schreibe? Schönen Montagvormittag, Emmi.

Zwei Stunden später

AW:

Mahlzeit, Emmi!

Zu 1.) Ich kann nichts dafür, dass ich Sie an einen Mann erinnere, der Sie offensichtlich - elegant, wie in Punkt eins von Ihnen beschrieben - enttäuscht hat. Glauben Sie bitte nicht, mich mehr zu kennen, als Sie mich kennen können! (Sie können mich gar nicht kennen.)

Zu 2.) Was meine letzte Ausflucht in das Eheversprechen betrifft: Mehr als mich selbst einen »Vollidioten« zu schimpfen, kann ich ohnehin nicht. Aber die sarkastisch-moralinsaure Emmi mit Schuhgröße 37 setzt zur Ehrenrettung des Ehegelübdes noch eins drauf, vermutlich mit zugekniffenen Augen und Geifer vor dem Mund.

Zu 3.) Tut mir Leid, ich war noch nie verheiratet! Sie? - Mehrmals, stimmt's?

Zu 4.) Da ist wieder der Mann von Punkt eins, an den ich Sie erinnere, der Mann, der lieber von der Realität überholte Liebesbriefe liest als Ihnen dauerhafte Liebe beweist. Vielleicht waren es sogar mehrere Männer in Ihrem Leben.

Zu 5.) Ja, in dem Augenblick, als die Weihnachtsgrüße von Ihnen einlangten, spürte ich, dass ich Marlene verloren hatte.

Zu 6.) Ich habe Ihnen damals geantwortet, um mich von meinem Scheitern abzulenken, Emmi. Und bis heute habe ich die Unterhaltung mit Ihnen als einen Teil meiner Marlene-Verarbeitungstherapie betrachtet.

Zu 7.) Ach ja, schreiben Sie mir nur! Schreiben Sie sich Ihren gesamten Frust über Männer von der Seele. Seien Sie ungehemmt selbstgerecht, zynisch, schadenfroh. Wenn es Ihnen nachher besser geht, hat meine Mailadresse ihren Zweck erfüllt. Wenn nicht, dann gönnen Sie sich (oder Ihrer Mutter) einfach wieder ein Like-Abonnement und bestellen Sie den »Leike« ab. Schönen Montagnachmittag, Leo.

Elf Minuten später

RE:

Oh je! Ich habe Sie verletzt. Das wollte ich nicht. Ich dachte, Sie halten das aus. Da habe ich Ihnen zu viel zugemutet. Ich werde in innere Klausur gehen. Gute Nacht, Emmi.

PS: Zu Punkt drei: Ich war erst einmal verheiratet. - Und bin es noch immer!

KAPITEL ZWEI

Eine Woche später

Betreff: S.W.

Scheißwetter heute, stimmt's? Lg, E.

Drei Minuten später

AW:

1.) Regen 2.) Schnee 3.) Schneeregen Mfg, Leo.

Zwei Minuten später

RE:

Sind Sie noch beleidigt?

50 Sekunden später

AW:

War ich nie.

30 Sekunden später

RE:

Oder unterhalten Sie sich nicht gern mit verheirateten Frauen?

Eine Minute später

AW:

Oh doch! Mich wundert aber mitunter, warum sich verheiratete Frauen so gern mit völlig fremden Männern wie mir unterhalten.

40 Sekunden später

RE:

Haben Sie da mehrere in Ihrer Mailbox? Der wievielte Bruchteil Ihrer Marlene-Verarbeitungstherapie bin ich eigentlich?

50 Sekunden später

AW:

Schön, Emmi, Sie kommen langsam wieder in Form. Sie sind mir vorhin fast ein bisschen antriebsschwach, kleinlaut und schüchtern vorgekommen.

Ein halbe Stunde später

RE:

Lieber Leo, im Ernst, was mir ein Bedürfnis ist, Ihnen mitzuteilen: Meine Sieben-Punkte-E-Mail vom vergangenen Montag tut mir aufrichtig Leid. Ich habe sie ein paar Mal durchgelesen und muss gestehen: Sie klingt wirklich ekelhaft, wenn man sie leise liest. Das Problem ist, dass Sie nicht wissen können, wie ich bin, wenn ich so etwas sage. Würden Sie mich dabei sehen, könnten Sie mir gar nicht böse sein. (Bilde ich mir zumindest ein.) Glauben Sie mir: Ich bin alles andere als frustriert. Enttäuschungen mit Männern haben sich bei mir in den natürlichen Grenzen derselben gehalten. Das heißt: Natürlich gibt es begrenzte Männer. Aber ich hab Glück gehabt. Mir geht es verdammt gut, was das betrifft. Mein Zynismus ist mehr Sport und Spiel als Ärger und Abrechnung. Im Übrigen weiß ich das sehr zu schätzen, dass Sie mir von Marlene erzählt haben. (Wobei mir gerade auffällt, dass Sie mir eigentlich gar nichts von Marlene erzählt haben. Was ist/war sie für eine Frau? Wie sieht sie aus? Was hat sie für eine Schuhgröße? Was trägt sie für Schuhe?)

Eine Stunde später

AW:

Liebe Emmi, seien Sie mir bitte nicht böse, aber mir ist nicht danach, Ihnen von Marlenes Schuhgeschmack zu erzählen. Am Strand ging sie meistens barfuß, so viel will ich Ihnen gerne mitteilen. Ich muss jetzt aufhören, ich krieg Besuch. Angenehmen Tag noch, Leo.

Drei Tage später

Betreff: Krise

Lieber Leo, eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, die nächste E-Mail von Ihnen zu bekommen - und nicht selbst zu schreiben. Ich hab zwar nicht Sprachpsychologie studiert, aber in meinem Kopf reimen sich da zwei Dinge zusammen. 1.) Ich habe Ihnen zwischen den Zeilen verraten, dass ich nicht nur verheiratet, sondern sogar glücklich verheiratet bin. 2.) Sie reagieren darauf mit der lustlosesten Antwort seit dem viel versprechenden Beginn unserer virtuellen Zweisamkeit vor mittlerweile mehr als einem Jahr. Und danach melden Sie sich gleich überhaupt nicht mehr. Kann es sein, dass Sie das Interesse an mir verloren haben? Kann es sein, dass Sie das Interesse an mir verloren habe, weil ich vergeben bin? Kann es sein, dass Sie das Interesse an mir verloren haben, weil ich noch dazu »glücklich vergeben« bin? Wenn das der Fall ist, dann seien Sie wenigstens »Manns genug«, mir das zu sagen. Mit freundlichen Grüßen, Emmi.

Am nächsten Tag

Kein Betreff

HERR LEO?

Am nächsten Tag

Kein Betreff

LEEEEEEEEEOOOOOOO, HUUUUUUUUUUUUUHHHH???????