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Und noch etwas: Ich freue mich sehr, dass Sie immer wieder aus alten E-Mails von mir zitieren. Das bedeutet, dass Sie sie offensichtlich aufgehoben haben. Das ist schmeichelhaft.

Was halten Sie von meiner Idee der Begegnung? Alles Liebe, Leo.

40 Minuten später

RE:

Lieber Leo, ein Problem gibt es schon: Wenn Sie mich erkennen, wissen Sie, wie ich aussehe. Wenn ich Sie erkenne, weiß ich, wie Sie aussehen. Sie aber wollen gar nicht wissen, wie ich aussehe. Und ich habe die Befürchtung, dass Sie mir nicht gefallen werden. Ist das dann das Ende unserer spannenden gemeinsamen Geschichte? Oder anders gefragt: Wollen wir uns plötzlich so dringend erkennen, damit wir uns nicht mehr schreiben müssen? - Dafür wäre mir der Preis meiner Neugierde zu hoch. Da lieber anonym bleiben und bis ans Lebensende Post vom Graupelbären bekommen. Bussi, Emmi.

35 Minuten später

AW:

Das haben Sie lieb gesagt! Ich mache mir wegen unserer Begegnung keine Sorgen. Sie werden mich nicht erkennen. Und ich habe eine so klare Vorstellung von Ihnen, dass sich diese nur bestätigen kann. Sollte mein Bild von Ihnen (entgegen all meiner Erwartungen) allerdings nicht stimmen, dann werde ich Sie ohnehin nicht identifizieren. Dann kann ich mein Fantasiebild aufrechterhalten. Ebenfalls Bussi, Leo.

Zehn Minuten später

RE:

Meister Leo, das macht mich wahnsinnig, dass Sie so sicher sind zu wissen, wie ich aussehe! Das ist ziemlich impertinent von Ihnen. So, das hat auch einmal gesagt werden müssen. Eine Frage noch: Wenn Sie dieses konturenscharfe Fantasiebild von mir betrachten, Leo, gefalle ich Ihnen da wenigstens?

Acht Minuten später

AW:

Gefallen, gefallen, gefallen. Ist das wirklich so wichtig?

Fünf Minuten später

RE:

Ja, das ist total wichtig, Herr Moraltheologe. Zumindest für mich. Ich mag 1.) Gefallen finden. Und ich mag 2.) gefallen.

Sieben Minuten später

AW:

Reicht es nicht, wenn Sie 3.) sich selbst gefallen?

Elf Minuten später

RE:

Nein, dafür bin ich viel zu unbescheiden. Außerdem gefällt man sich ein bisschen leichter, wenn man anderen gefällt. Sie wollen 4.) vermutlich nur Ihrer Mailbox gefallen, stimmt's? Die ist geduldig. Dafür müssen Sie nicht einmal Zähne putzen. Haben Sie übrigens noch welche? Oder ist das auch nicht so wichtig?

Neun Minuten später

AW:

Endlich habe ich wieder für die Anregung von Emmis Blutkreislauf gesorgt. Um das Thema vorläufig abzuschließen: Das Fantasiebild von Ihnen gefällt mir außerordentlich gut, sonst würde ich nicht so oft daran denken, liebe Emmi.

Eine Stunde später

RE:

Sie denken also oft an mich? Das ist schön. Ich denke auch oft an Sie, Leo. Vielleicht sollten wir uns wirklich nicht treffen. Gute Nacht!

Am nächsten Tag

Betreff: Prost

Hallo Leo, verzeihen Sie die späte Störung. Sind Sie zufällig online? Trinken wir ein Glas Rotwein? Jeder für sich allein natürlich. Es ist schon mein drittes Glas, müssen Sie wissen. (Wenn Sie prinzipiell keinen Wein trinken, dann lügen Sie mich bitte an und sagen Sie, Sie trinken gerne ab und zu ein Glas oder eine Flasche Wein, also alles mit Maß und ohne Ziel. Ich kann nämlich zwei Arten von Männern nicht ausstehen: Betrunkene und Asketen.)

RE:

Ein viertes trinke ich noch, bevor ich bewusstlos werde. Ihre letzte Chance für heute.

RE:

Schade. Sie haben was versäumt. Ich denke an Sie. Gute Nacht.

Am nächsten Tag

Betreff: Schade

Liebe Emmi, das tut mir wirklich Leid, dass ich unsere romantische Mitternachtseinlage vor dem jeweiligen Computer versäumt habe. Ich hätte sofort ein Glas mit Ihnen, auf Sie und gegen die virtuelle Anonymität getrunken. Hätte es auch Weißwein sein dürfen? Ich trinke lieber weiß als rot. Nein, ich muss Sie zum Glück nicht anlügen: Ich bin weder oft betrunken noch immer ein Asket. Also zehnmal eher bin ich betrunken als ein Asket, zehnmal eher und zwanzigmal öfter. Marlene zum Beispiel (erinnern Sie sich?), Marlene hat keinen Tropfen Alkohol getrunken. Sie hat ihn nicht vertragen. Und was noch schlimmer war: Sie hat keinen Tropfen Alkohol vertragen, den ich getrunken habe. Verstehen Sie? Das sind so die Dinge, wo man beginnt, emotionell gegeneinander zu leben. Zum Trinken gehören immer zwei oder keiner. Also, wie gesagt: Ewig schade, dass ich Ihr verlockendes Angebot gestern Nacht nicht annehmen konnte. Ich bin leider viel zu spät nach Hause gekommen. Auf ein anderes Mal, Ihr Online-Trinkkamerad in spe, Leo.

20 Minuten später

RE:

Viel zu spät nach Hause gekommen? Leo, Leo, wo treiben Sie sich in der Nacht herum? Sagen Sie bloß, da kündigt sich eine Marlene-Nachfolgerin an. Wenn das der Fall ist, müssen Sie mich umgehend und im Detail über diese Frau informieren, damit ich sie Ihnen ausreden kann. Meine Intuition sagt mir nämlich, dass Sie sich momentan nicht binden sollten, Sie sind noch nicht bereit für die nächste Beziehung. Sie haben ohnehin mich. Und Ihre Fantasievorstellung von mir kommt Ihrem Frauenideal sicher näher als irgendeine dahergelaufene Bekanntschaft aus einer vermutlich in rotem Plüsch gehaltenen Bar (für einsame graupelbärige Professorentypen) um zwei Uhr nachts, oder wie spät es auch immer war. Also bleiben Sie künftig bitte daheim, trinken wir ab und zu gegen Mitternacht simultan ein Glas Wein aufeinander (ja, es darf ausnahmsweise auch Weißwein sein). Und danach sind Sie müde und gehen schlafen, damit Sie am nächsten Tag wieder fit für neue E-Mails an Ihre Fantasiegöttin Emmi Rothner sind. Machen wir es so?

Zwei Stunden später

AW:

Liebe Emmi, ach, ist das angenehm, wieder einmal so einen richtig bezaubernden Ansatz einer Eifersuchtsszene erleben zu können. Ich weiß schon: Das war natürlich italienisch konstruiert, aber ich habe es trotzdem genossen. Was meine Frauenbekanntschaften anbelangt, so schlage ich vor, dass wir es so halten wie mit Ihrem Ehemann und den beiden Kindern und deren sechs Streifenhörnchen. Dies alles gehört einfach nicht hierher! Uns zwei gibt es hier nur für uns zwei. Wir werden so lange in Kontakt bleiben, bis einem von uns die Luft ausgeht oder die Lust vergeht. Ich glaube nicht, dass ich es sein werde. Schönen Frühlingstag, Ihr Leo.