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Kriemhild riß ihren Arm los. »Ihr habt mir gar nichts zu befehlen, Hagen!« sagte sie zornig. »Aber wenn Ihr die Partei dieser Schlange ergreifen wollt, dann tut es ruhig.«

»Ich ergreife niemandes Partei«, antwortete Hagen. »Aber Ihr werdet aufhören, Euch wie ein ungezogenes Kind zu benehmen, Kriemhild. Und Ihr auch, Brunhild!« fügte er mit eisiger Miene hinzu. »Muß ich Euch daran erinnern, wer ihr seid, alle beide? Ihr, Kriemhild, die Schwester Gunthers, und Ihr, Brunhild, seine künftige Königin? Ich befehle Euch, aufzuhören! Auf der Stelle!«

»Und wenn nicht?« fragte Kriemhild, deren Zorn durch Hagens Worte nur noch mehr angestachelt worden war. Sie mußte sich Unterstützung von Hagen versprochen haben, und jetzt war sie wütend, daß sie sie nicht bekam. »Was tut Ihr, wenn ich nicht gehorche? Geht Ihr zu meinem Bruder und schwärzt mich an?«

»Es ist genug, Kriemhild«, sagte nun auch Ute, in einem Ton, der Kriemhild weit mehr zu beeindrucken schien als Hagens Worte. Zornig preßte sie die Lippen aufeinander, bedachte die Walküre an Hagens Seite noch einmal mit einem haßerfüllten Blick und drehte sich mit einem Ruck um. Hagen sah ihr nach, bis sie zusammen mit Ute und den beiden Kammerfrauen in der Menge verschwunden war. Auch Brunhild sah Gunthers Schwester nach, aber zu Hagens Überraschung gewahrte er keinen Zorn auf ihren Zügen, nicht einmal Verstimmung. »Was ist in Euch gefahren, Brunhild?« fragte er. »Das Volk wird sich das Maul zerreißen, daß die beiden Königinnen von Worms sich wie die Bettlerinnen gestritten haben.«

»Es gibt nur eine Königin von Worms«, erwiderte Brunhild scharf. »Ich weiß.« Hagen nickte. »Und ihr Name ist noch nicht Brunhild!« »Sie hat mit diesem Streit begonnen«, sagte Brunhild stolz. »Dann hättet Ihr die Klugheit besitzen sollen, ihn zu beenden!« schnappte Hagen, nun auch am Ende seiner Beherrschung. »Ihr habt es selbst gesagt - sie ist ein Kind, und sie weiß es nicht besser. Von Euch hätte ich mehr erwartet.« Brunhild musterte ihn kalt. »Ich von Euch auch, Hagen«, sagte sie leise. »Wie meint Ihr das?«

»Wißt Ihr das wirklich nicht? Habt Ihr schon alles vergessen, was im Isenstein geschehen ist? Ich habe Euch gefragt, auf wessen Seite Ihr steht wißt Ihr noch?« Hagen nickte.

»Ihr habt mir damals geantwortet«, fuhr Brunhild fort »Ich habe diese Antwort hingenommen, aber ich habe sie nie akzeptiert. So wenig wie jetzt Ihr habt damals nicht zu diesem Schwächling Gunther gehört, und Ihr gehört jetzt nicht zu ihm.«

Hagen atmete hörbar ein. »Überlegt Euch, was Ihr sagt, Brunhild«, sagte er. »Gunther ist mein König.«

»Das ist er nicht«, antwortete Brunhild gelassen. »Er war es nie, und er wird es nie sein. Ihr seid mir viel zu ähnlich, um die Macht eines anderen über Euch anzuerkennen. Noch ist es nicht zu spät, Hagen. Ich weiß, was in Euch vorgeht. Und ich erwarte jetzt keine Antwort, aber ich fordere Euch noch einmal auf, Euch zu bedenken. Ihr und ich, wir kommen beide aus dem Norden, und mein Blut und Eures sind sich viel ähnlicher, als es das Eure und Gunthers jemals sein werden. Kommt zu mir, solange Ihr es noch könnt«

Hagen starrte sie an. »Wißt Ihr, was Ihr da sagt?« »Ich weiß es«, antwortete Brunhild ruhig. »Ich ... ich könnte Euch töten für diese Worte«, sagte Hagen. »Das werdet Ihr nicht«, antwortete Brunhild beinahe heiter. »So wenig, wie Ihr zu Gunther gehen und es ihm sagen werdet. Überlegt es Euch, und überlegt es Euch gut.«

Hagen antwortete nicht mehr. Er fuhr auf der Stelle herum und stürmte über den Platz und in die Burg zurück, so schnell er nur konnte.

13

Hagen schlief fast achtzehn Stunden ohne Unterbrechung, und als er schließlich erwachte, waren es nur noch zwei Tage bis zum Pfingstsonntag. Dem Tag, an dem Gunther Brunhild heiraten würde. Und Siegfried Kriemhild. Mit diesem Gedanken kam die Furcht.

Alles, was nach seiner Begegnung mit Kriemhild gewesen war, war vergessen. Sein Wiedersehen mit Gunther und den anderen, die Gespräche, die tausend Fragen, die er gestellt und beantwortet hatte, schließlich auch die Müdigkeit und sein endloser Schlaf, das alles war nichts als eine Flucht gewesen, Flucht vor den Bildern, die aus verborgenen Winkeln seiner Seele emporkrochen.

Kriemhild, dachte er zum ungezählten Male. Kriemhild. Warum ausgerechnet sie?

Aber die Frage war müßig. Ebensogut konnte er sich fragen, warum er lebend zurückgekommen war, warum er nicht beim Isenstein oder auf dem Wege von Tronje hierher umgekommen war. Für einen Moment gewann der alte, nüchtern denkende Hagen in ihm wieder die Oberhand. Er war in Worms, und nichts von von dem, was geschehen war, konnte wieder rückgängig gemacht werden.

Er stand auf, kleidete sich an und verließ die Burg. Aber auch draußen fand er keine Ruhe. Aus der Stadt wehten Lärm und das hundertfache Echo reger Betriebsamkeit herauf, und auf dem schlammigen Feld zwischen dem Burggraben und der Stadt hatten Gaukler und fahrendes Volk über Nacht ihr Lager aufgeschlagen. Hagen sah einen Moment unschlüssig von rechts nach links. Er überlegte, ob er zum Fluß hinuntergehen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Der Weg hinunter und wieder zurück war zu weit und die Gefahr, auf jemanden zu treffen, den er jetzt nicht sehen wollte - wie beispielsweise Gunther oder Siegfried -, zu groß. Auch die Stadt war aus den gleichen Gründen kein geeigneter Anziehungspunkt. Gab es in Worms überhaupt noch einen Menschen, dessen Nähe ihn nicht mit Unbehagen erfüllte? fragte er sich. Vielleicht mit Ausnahme Utes und des jungen Giselher. Er verscheuchte den Gedanken, brachte die Zugbrücke mit schnellen Schritten hinter sich und näherte sich dem Zigeunerlager. Das kleine Feld hatte sich in einen bunten Flickenteppich aus Zelten und Ständen und hastig zusammengestellten Wagen verwandelt; der Klang einer schlecht gestimmten Laute schlug ihm entgegen, Lachen, Rufe, Worte in fremdländischen Zungen, die er nicht verstand, das schrille Wiehern eines Pferdes, das geschlagen worden war - Hagen hatte sie nie gemocht, diese marktschreierische, derbe Fröhlichkeit. Jetzt auf einmal fühlte er sich hier geborgen. Er ließ den Lärm und das bunte Treiben auf sich einwirken wie berauschenden Wein, bis er wirklich fast trunken war und zum erstenmal seit Tagen wieder so etwas wie Ruhe und Entspanntheit empfand.

Vielleicht kam es daher, daß ihn hier niemand kannte. Er trug ein einfaches Gewand, keine Waffen, eine grobe braune Kappe anstelle des Helmes, und selbst die schwarze Augenklappe war in seiner Kammer zurückgeblieben. Sein blindes Auge fiel hier nicht auf, wo es von Krüppeln und Mißgestalteten wimmelte.

Jemand zupfte ihn am Arm; ein altes Weib, zahnlos und in Lumpen gekleidet, die so schmutzig waren wie ihr Gesicht und das Haar, das ihr in filzigen Strähnen auf die Schultern fiel. »Die Zukunft, Herr«, krächzte sie. »Wollt Ihr einen Blick in die Zukunft tun? Gebt Eure Hand, Herr, und ich sage sie Euch.« Ehe Hagen begriff, was sie von ihm wollte, hatte sie seine Hand gefaßt und mit erstaunlicher Kraft herumgedreht, um mit ihrem dünnen Zeigefinger die tief eingegrabenen Linien darin nachzufahren. Hagen riß seine Hand mit einem wütenden Ruck los. »Verschwinde, Alte«, sagte er in schärferem Ton, als er eigentlich wollte. »Die Zukunft interessiert mich nicht.«

Aber die Alte war hartnäckig. Sosehr er sich auch sträubte, versuchte sie ihn in eines der schäbigen Zelte zu zerren. »Keine Furcht, Herr«, sagte sie. »Ich sage nur Dinge voraus, die gut sind. Das Schlechte kommt von selber.« Sie kicherte böse. »Es ist auch nicht teuer.« »Ich habe kein Geld«, sagte Hagen.

»Das macht nichts«, antwortete die Alte. »Für Euch ist es umsonst.« Sie deutete auf die Burg, die sich wie ein drohender Schatten über dem Lager erhob. »Ihr seid doch einer von den edlen Herren, oder nicht?« kicherte sie. »Sagt nur tüchtig Bescheid, wie gut ich Euch geweissagt habe, wenn Ihr zurück seid, dann komme ich schon auf meine Kosten.« Hagen mußte gegen seinen Willen lächeln. Die Bauemschläue der Alten gefiel ihm. Ein harmloser Spaß wie dieser kam im Augenblick gerade recht, ihn ein wenig abzulenken.