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Im Zelt war es dunkel und kühl. Bunte Stoffe und allerlei Tand gaukelten dem Besucher eine Pracht vor, die es nicht gab. Die Alte ging in den Hintergrund des Zeltes und bedeutete Hagen, ihr zu folgen. »Kommt weiter, Hagen von Tronje. Es ist alles bereit.« Hagen runzelte verwundert die Stirn. Woher kannte die Frau seinen Namen?

Zögernd folgte er der Alten in die dunkle Tiefe des Zeltes. Die ganze Einrichtung bestand aus einer umgedrehten Kiste, die als Tisch diente, und zwei dreibeinigen Schemeln. Die Alte hockte sich auf einen davon. »Setzt Euch, Hagen von Tronje«, sagte sie und wies auf den zweiten Schemel. Hagen gehorchte. Das Gesicht der Wahrsagerin war in der herrschenden Dunkelheit kaum noch zu erkennen. »Woher kennst du meinen Namen?« fragte er. »Von mir«, antwortete eine Stimme aus der Dunkelheit. Hagen sah überrascht auf. »Gunther?« fragte er ungläubig. Eine zweite, schattenhafte Gestalt war hinter der Alten aufgetaucht. Hagen sah die Andeutung eines Kopfnickens, dann klimperten Münzen in eine gierig ausgestreckte Hand.

»Es ist gut, Alte«, sagte Gunther. »Verschwinde und laß uns allein.« Die Alte stand auf und huschte mit kleinen, ängstlichen Schritten aus dem Zelt. Als sie die Plane zurückschlug, konnte Hagen Gunthers Gesicht und seine Gestalt für einen Moment deutlich sehen: wie er selbst trug dieser einfache, unauffällige Kleider. Er war blaß, und in seinen Augen stand ein fiebriger Glanz. »Was ... hat das zu bedeuten?« fragte Hagen verwirrt. »Wieso schleicht Ihr mir nach? Was soll diese Heimlichtuerei?« »Ich muß mit dir reden«, sagte Gunther. »Allein und ungestört.« »Sind wir das in Eurem Gemach nicht?«

Gunther setzte sich. »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Ich ... ich wage es nicht mehr, in Worms offen zu reden. Die Wände haben Ohren.« »Ihr wagt es nicht, in Eurer eigenen Burg mit einem Freund zu reden?« »Meine Burg?« wiederholte Gunther. »Worms ist längst nicht mehr meine Burg. Giselher, Gernot und ich sind nur noch geduldet in ihren Mauern, und ich weiß nicht, wie lange noch.« Hagen wollte widersprechen, aber Gunther ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Siegfried ist ausgeritten«, sagte er. »Vor Sonnenaufgang. Mit Brunhild und seinen Nibelungenreitern.«»Mit Brunhild?« antwortete Hagen ungläubig.

Gunther bejahte. »Sie geben sich keine große Mühe, vor der Welt geheimzuhalten, daß sie miteinander im Bunde sind«, sagte er bitter. »Jedes Kind kann sich ausrechnen, was sie vorhaben - der Nibelunge und die Walküre.«

»Brunhild ist Eure Braut!« sagte Hagen heftig. »Sie ist Euch Gehorsam schuldig.«

Gunther lachte schrill. »Gehorsam? Sie ist mir nichts schuldig, rein gar nichts. Ich bin es, der ihr etwas schuldet. Ich schulde ihr ein Königreich und eine Burg, denn ich habe ihr beides genommen. Und sie wird sich zurückholen, was ich ihr genommen habe.« Er schwieg einen Moment. »Dazu braucht sie Siegfried«, führte er dann den Gedanken fort. »Und damit wird auch Siegfrieds Rechnung aufgehen. Wenn Gernot und Giselher und ich tot sind« - Hagen wollte auffahren, aber Gunther ließ ihn nicht zu Wort kommen -, »gehört ihm Worms, und Brunhild kehrt in den Isenstein zurück. So einfach ist das.«

»Den Isenstein gibt es nicht mehr«, widersprach Hagen. »Seine Königin ist gestürzt, seine Schatzkammer leer und seine Ländereien aufgeteilt.« »Es war ein Trugschluß, Hagen. Inzwischen weiß ich es besser.« Gunther schlug wütend mit der Faust auf den Tisch. »Hast du sie schon vergessen, Brunhilds goldgepanzerte Vasallinnen? Hast du den Haß in ihren Augen vergessen, als wir ihnen in Brunhilds Thronsaal gegenüberstanden? Ich dachte, ich hätte sie überlistet, aber das habe ich nicht Ein Wort von Brunhild, und mit Siegfrieds und Alberichs Hilfe werden sie ihr alles zurückbringen, was ich sie wegzuschenken zwang. Brunhild ist kein Mensch, Hagen. Sie ist eine Göttin. Eine grausame Göttin.« »Ihr sprecht... in sonderbarer Art von der Frau, die Ihr heiraten wollt«, sagte Hagen stockend. »Ich will es nicht«, sagte Gunther. »Ihr ...«

»Ich wollte es nie«, fuhr Gunther fort. »Ich habe mir nur eingebildet, es zu wollen. Ich wollte Brunhild, so, wie man das ewige Leben will, die Macht über die Welt... Es war ein Traum. Ich habe den Fehler begangen, ihn wahr zu machen - ohne zu wissen, daß ich dabei nur ein Werkzeug Siegfrieds war. - Wie Brunhild auch«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. »Sie weiß es nur nicht.«

»Und sie möge es auch nie erfahren«, fügte Hagen mit Nachdruck hinzu.

»Es würde nicht viel ändern«, entgegnete Gunther. »Gleich, ob sie es erfährt oder nicht, Siegfried hat gewonnen. Er wird meine Schwester heiraten, und eines Tages wird ihm Worms gehören - gleich, ob ich heute sterbe oder in einem Jahr. Ob so oder so, Siegfried hat gewonnen. Es sei denn, jemand erschlüge diesen Hund.« Hagen schwieg.

»Du antwortest nicht«, murmelte Gunther. »Du ziehst es vor, zu schweigen, weil du diesen Satz schon einmal von mir gehört hast, nicht wahr?« Hagen antwortete auch jetzt nicht, und Gunther fuhr nach einer drückenden Pause fort.

»Du hast mich bezichtigt, dich zu einem Mord überreden zu wollen«, sagte er. »Aber das ist es nicht. Es ist Notwehr. Der Xantener trachtet uns allen nach dem Leben.«

»Hört ... auf... Gunther«, sagte Hagen stockend. »Ihr kennt meine Antwort.«

»Und sie bleibt gleich, auch jetzt, wo Ihr wißt, was auf dem Spiel steht?« fragte Gunther.

»Sie bleibt gleich«, antwortete Hagen. »Und selbst wenn ich es wollte - ich könnte es nicht. Ich bin ein alter Mann, Gunther. Und auf einem Auge blind.«

»Erzähl mir nicht, daß du Siegfried fürchtest«, sagte Gunther zornig. »Du bist der einzige, der ihn besiegen kann. Glaubst du, ich hätte nicht an andere gedacht? Dein Bruder Dankwart würde diesem Bastard mit Freuden die Kehle durchschneiden, ebenso wie Ortwein und ein Dutzend anderer in Worms. Aber sie können es nicht Du kannst es.« »Nein«, sagte Hagen fest. »Keinen Mord.« »Und wenn ich den Preis erhöhe?« Hagen starrte ihn an. »Was meint Ihr?«

»Einstweilen steht mein Leben und das meiner Brüder auf dem Spiel«, antwortete Gunther. »Aber dieser Einsatz scheint dir noch nicht hoch genug. Was, wenn ich noch meine Schwester dazugebe?«

»Kriemhild?« Hagen weigerte sich, es zu glauben. Gunther nickte. »Kriemhild«, bestätigte er. »Ich habe euch beobachtet, gestern morgen.«

Hagen versteifte sich. Plötzlich war er froh über die Dunkelheit, die hier drinnen im Zelt herrschte. »Und?« fragte er mit rauher Stimme. »Der Türmer meldete mir deine und Dankwarts Ankunft«, sagte Gunther. »Ich ging hinauf in den Turm, dich zu suchen. Aber ehe ich dich erreichte, war Kriemhild bei dir.«

»So?« sagte Hagen. Er konnte kaum sprechen. Seine Hände wurden feucht.

»Ich habe euch gesehen«, fuhr Gunther fort. »Dich und meine Schwester. Du liebst sie.«

»Natürlich liebe ich sie«, sagte Hagen. »Sie ist Utes Tochter und Eure Schwester. Ich würde mein Leben geben, das ihre zu schützen.« »Es ist mehr als das«, behauptete Gunther. »Du liebst sie, wie ein Mann eine Frau liebt Du hast sie immer geliebt.« Er schüttelte den Kopf. »Oh, Hagen, sind wir so wenig Freunde, daß du es nicht gewagt hast, zu mir zu kommen, ehe dieser Nibelunge kam und alles zerstörte? Glaubst du denn wirklich, ich hätte dich nicht verstanden? Warum hast du nie etwas gesagt, Hagen? Warum hast du gewartet, bis es zu spät war?« Hagen stöhnte. Warum hörte er nicht auf? Warum mußte er den Dolch in der Wunde herumdrehen, statt seinen Schmerz zu lindern? »Warum?« fragte Gunther noch einmal. »Ich ... wußte es nicht«, antwortete er schließlich. »Aber jetzt weißt du es.« Hagen nickte. Er konnte nicht antworten.