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»Und trotzdem willst du übermorgen zusehen, wie sie den Xantener heiratet?«

»Ja«, antwortete Hagen. »Du kannst sie haben«, sagte Gunther leise. Hagen keuchte. »Was redet Ihr da? Ich...«

»Du kannst sie haben«, wiederholte Gunther ruhig. »Es ist mein Ernst Ich bin König von Worms, und es liegt in meiner Entscheidung, wem ich die Hand meiner Schwester gebe.«

Einige schwere Herzschläge lang starrte Hagen die schattenhafte Gestalt vor sich an, dann stand er auf, so heftig, daß der Schemel polternd umfiel, und wandte sich dem Ausgang zu. Gunther war mit einem Schritt neben ihm und hielt ihn zurück »Ich meine es ernst, Hagen!« sagte er. »Kriemhild gehört dir! Töte Siegfried, und ich gebe dir meine Schwester zur Frau!« Hagen schlug ihn nieder.

14

Irgendwie gelang es ihm, in die Burg zurückzukommen, ohne angesprochen oder aufgehalten zu werden. Er erinnerte sich dunkel, vor seiner Kammer den jungen Giselher getroffen zu haben, ehe er die Tür hinter sich schloß und sich aufs Bett fallen ließ, wußte aber nicht mehr, ob und was sie miteinander geredet hatten. Es war, als hätte er selber mit all dem nichts zu tun, als beträfe es einen anderen. Der Schrecken war zu groß, als daß wirklich er es sein konnte, der all dies erlebte. Du kannst sie haben, Hagen. Das war alles, woran er denken konnte.

Wie verzweifelt mußte Gunther sein, ihm diesen Vorschlag zu machen? Wie tief hatten sich Angst und Entsetzen schon in seine Seele gefressen, daß er es wagte, diesen Gedanken auch nur zu denken? Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er sich vorgestellt, wie es wäre, auf Gunthers Vorschlag einzugehen. Wie es wäre, diesen Hund Siegfried endlich zu töten und Kriemhild in die Arme zu schließen... Hagen schob den Gedanken gewaltsam fort. Es war unvorstellbar, ein Traum, den zu träumen sogar schon verboten war, geschweige denn, wachen Sinnes daran zu denken.

Er stand auf und begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Schließlich trat er ans Fenster. Der Burghof lag unter ihm wie eine Spielzeuglandschaft, klein und bunt und von quirlender Bewegung erfüllt. Da war Giselher, der in seinem rotgoldenen Gewand aus den zahllosen Menschen hervorstach; am gegenüberliegenden Ende des Hofes, gleich bei den Ställen, das Blitzen von Stahl, wo ein Dutzend von Gunthers Kriegern darauf wartete, daß ihre Pferde gesattelt wurden. Aus den Essen stieg Rauch, und Stimmengewirr hing wie das Summen eines übergroßen Bienenschwarmes in der Luft. Er wandte sich um, von diesem Bild offenbarer Fröhlichkeit auf merkwürdige Weise angewidert, und trat an den Tisch. Wie jeden Tag hatten fürsorgliche Hände am Morgen einen Krug mit frischem Wein bereitgestellt. Für gewöhnlich rührte er ihn nicht an, sondern spülte den Nachgeschmack des Schlafes auf seiner Zunge mit einem Schluck Wasser hinunter. Jetzt griff er danach. Er goß den Becher randvoll und leerte ihn mit drei, vier gierigen Schlucken. Jemand klopfte an die Tür; leise, aber beharrlich. Hagen ging nicht, um zu öffnen. Statt dessen goß er sich den Becher noch einmal voll und starrte aus dem Fenster. Aber der Schmerz, der ihm die Brust zerriß, ließ sich auch durch den Wein nicht vertreiben. Als er den Kopf wandte, stand Alberich vor ihm. Hagen starrte den Zwerg erschrocken an und warf dann einen Blick zur Tür. Sie war verschlossen, der Riegel vorgelegt. »Wie ... wie kommst du hier herein, Zwerg?« fragte er verwirrt. Alberichs Lippen verzogen sich zu einem dünnen Lächeln. »Ihr seid liebenswürdig wie immer, Hagen von Tronje«, sagte er. »Ist das eine Art, einen Freund zu begrüßen, den man seit drei Monaten nicht mehr gesehen hat?«

Hagen drehte sich ihm voll zu. Der Schmerz schlug plötzlich in Zorn um. Wütend streckte er die Hand aus, als wollte er den Zwerg packen. Alberich wich in gespieltem Entsetzen ein paar Schritte zurück. »Ich frage dich noch einmal - wie kommst du hier herein?« fuhr Hagen ihn an.

Alberich seufzte. »Seit wann halten mich verschlossene Türen auf, Hagen?« sagte er und fuhr im gleichen spöttischen Ton fort: »Und ich frage Euch noch einmal, Hagen - ist das Eure Art, alte Freunde zu begrüßen? Ihr seid seit zwei Tagen in der Stadt und habt nicht einmal nach mir gefragt Kann es sein, daß Ihr mir aus dem Weg geht? Oder versucht Ihr einfach, allen aus dem Weg zu gehen? Am Ende gar Euch selbst?« »Seit wann sind wir Freunde?« fragte Hagen.

»Ich habe Euch das Leben gerettet, nicht?« murmelte Alberich. »Und Eurem Bruder auch, wenn ich mich recht entsinne. Nennt Ihr das etwa keinen Freundschaftsdienst?« Hagens Hände ballten sich vor Zorn zu Fausten. »Was willst du hier, Zwerg?« fragte er. »Bist du gekommen, um mich zu quälen?« Alberich schüttelte den Kopf. Er schlug seine Kapuze zurück und sah Hagen mit einem prüfenden Blick an. »Ich bin hier, um Euch die Augen zu öffnen«, sagte er. »Was muß geschehen, bis Ihr endlich begreift, was Ihr zu tun habt?«

Hagen starrte den Zwerg an, ohne ihn richtig zu sehen. In seiner Seele war etwas erwacht, und es wurde stärker mit jedem Moment. Es hatte nichts mit Gunther oder Kriemhild oder selbst Siegfried zu tun. Es war ein Dämon, der am Grund jeder menschlichen Seele lauert. In ihm war er erwacht, gestärkt durch den Schmerz, der sein Lebenselixier war. Er konnte kaum noch klar denken. Alberich nickte. »Du wirst kämpfen müssen, Hagen«, sagte er ruhig. »Kämpfen wie nie zuvor in deinem Leben.« »Und... gegen wen?« fragte Hagen mühsam.

»Stellt Euch nicht unwissend, Hagen«, antwortete Alberich zornig. »Ihr wißt sehr wohl, von wem ich rede. Siegfried wird Euch fordern, sobald die Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber sind.«

»Ich werde ihm keine ... Gelegenheit dazu geben«, murmelte Hagen. Er wankte und mußte sich an der Tischkante festhalten, um nicht zu stürzen.

Alberich tat so, als hätte er es nicht bemerkt. »Ihr wißt so gut wie ich, daß er einen Weg finden wird, einen Streit vom Zaun zu brechen, Hagen. Also spielt nicht den Narren. Das könnt Ihr tun, wenn Gunther oder einer der anderen in der Nähe ist. Aber wir sind allein.« »Verschwinde«, stöhnte Hagen. »Geh, Alberich. Ich ... ich will nicht.« »Was wollt Ihr nicht?« fauchte Alberich. »Mit mir reden? Oder die Wahrheit hören?« Er packte Hagen am Ärmel. »Was muß noch geschehen, bis Ihr begreift? Siegfried hat gewonnen, versteht Ihr das noch immer nicht?« Zornig rüttelte er an Hagens Arm. »In weniger als zwei Tagen wird dies alles hier ihm gehören.«

»Aber es gehört ihm doch längst«, murmelte Hagen. »Noch nicht«, fauchte Alberich. »Noch ist es nicht zu spät, Hagen! Solange der Bund zwischen ihm und Kriemhild noch nicht besiegelt ist, könnt Ihr ihn noch aufhalten.«

Hagen schloß die Augen. »Wie sollte ich ihn aufhalten können, Alberich?« fragte er. »Siegfried ist...«

»Zehnmal schneller und hundertmal stärker als Ihr«, fiel ihm Alberich ins Wort. »Und trotzdem könnt Ihr ihn besiegen. Ihr seid der einzige, der ihn schlagen kann. Siegfried weiß das. Warum, glaubt Ihr wohl, fürchtet er Euch so sehr?«

»Fürchten?« Hagen versuchte zu lachen. Er griff nach dem Krug, füllte seinen Becher und trank, ohne darauf zu achten, daß der Wein auf seine Brust herabtropfte.

»Ja«, sagte Alberich. »Er fürchtet Euch, Hagen. Ihr kennt die Geschichte vom Drachenkampf, die man sich über ihn erzählt. Seine Haut soll in Drachenblut gehärtet sein, das ihn unverwundbar macht. Nur eine Stelle zwischen seinen Schultern blieb ungehömt, weil dort ein Lindenblatt niederfiel und seine Haut bedeckte.« »Unsinn«, sagte Hagen.

»O nein«, erwiderte Alberich ernsthaft. »Dieses Lindenblatt hat einen Namen. Sein Name ist Hagen, und Siegfried weiß es. Er hat zweimal versucht, Euch zu töten, und er wird es wieder versuchen. Ich weiß nicht, wie oft ich Euch noch schützen kann. Auch meine Macht ist begrenzt« Hagen wandte sich mit einem Ruck um und trat ans Fenster. Schon zu Anfang ihres Gespräches hatte Alberich - indirekt - zugegeben, daß er es gewesen war, der Dankwart und ihn in jener Nacht in Island vom Lager fortgelockt und dadurch gerettet hatte. Hagen hatte es vom ersten Moment an geahnt, aber er hätte niemals gedacht, daß der Zwerg den Verrat den er an Siegfried begangen hatte, so offen zugeben würde. »Was willst du?« fragte er zum zweitenmal. »Sag, was du willst, Zwerg, oder verschwinde endlich. Ich bin es müde, immer nur zu reden und zu reden.«