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»Wenn er mich nicht bei Euch findet, auch«, antwortete Alberich. Er schüttelte den Kopf. »Ihr werdet auch um mein Leben kämpfen müssen, Hagen von Tronje. Wenn Ihr sterbt, sterbe auch ich.«

»Unsinn!« widersprach Hagen. »Du kannst meilenweit fort sein, ehe der Kampf zu Ende ist«

»Fortlaufen? Vor Siegfried?« Alberich lachte bitter. »Mir scheint, Ihr kennt den Drachentöter noch immer nicht, Hagen. Niemand kann vor Siegfried von Kanten davonlaufen. Auch ich nicht.« Endlich gewahrte Hagen einen Schatten zwischen den Büschen. Und dann trat der Nibelunge auf die Lichtung heraus. Hagen war überrascht, als er Siegfried sah. Er hatte keine klare Vorstellung gehabt, aber irgendwie hatte er wohl erwartet, daß der Nibelunge in einer Prachtrüstung in Gold und Silber erscheinen würde. Aber Siegfried trug nur ein einfaches, dunkelbraunes Lederwams, darunter Hosen aus dem gleichen Material und kniehohe Stiefel. Weder Helm noch Kettenhemd, ja nicht einmal Handschuhe. Dann begriff Hagen, daß es der Balmung war, der Siegfried bewogen haben mußte, auf jegliche Rüstung zu verzichten. Gegen die Wunderklinge schützte kein Kettenpanzer, und wie leicht sie einen Helm spaltete, hatte Hagen mit eigenen Augen gesehen. So hatte Siegfried auf jegliche Panzerung verzichtet und setzte auf die einzige Gegenwehr, die es gegen den Balmung gab: seine Schnelligkeit.

»Ihr seid früh«, sagte er.

Siegfried starrte ihn an, dann das Schwert an seiner Seite. »Ich konnte es nicht erwarten, Euch wiederzusehen, Hagen«, antwortete er. Statt einer Antwort zog Hagen das Schwert aus dem Gürtel, berührte mit der Breitseite der Klinge seine Stirn und deutete eine Verbeugung an. Siegfrieds Augen glitzerten.

Der Kampf begann ohne Vorwarnung. Ohne Vorbereitung und ohne das einem jeden Schwertkampf vor Zuschauem vorausgehende Vorgeplänkel. Sie waren einfach nur zwei Männer, die einander töten wollten. Und das waren sie im Grunde ja auch immer gewesen. Sie griffen an. Beide im gleichen Augenblick Hagen sprang mit einem gewaltigen Satz auf Siegfried zu, schwang den Balmung nach dessen Schädel und drehte sich im letzten Augenblick halb herum, um Siegfrieds Klinge zu entgehen und seinem eigenen Hieb im allerletzten Moment noch eine andere Richtung zu geben. Siegfrieds Klinge schrammte über seine Seite, zerschnitt sein Hemd und glitt an dem Kettenpanzer ab, den er darunter trug; trotzdem brachte ihn allein die Wucht des Schlages aus dem Gleichgewicht.

Aber auch Siegfried taumelte. Der Balmung hatte sein Ziel verfehlt, aber der tödliche Stahl zwang ihn zu einem komisch anmutenden Hüpfer, wollte er nicht den linken Arm oder gleich die ganze Schulter einbüßen. Doch so schnell sie voreinander zurückgewichen waren, so rasch drangen sie wieder aufeinander ein. Siegfrieds Klinge züngelte nach Hagens Gesicht, gleichzeitig fuhr der Balmung einen fingerbreit vor Siegfrieds Kehle zischend durch die Luft, und abermals taumelten die beiden Gegner auseinander, um sofort erneut aufeinander einzudringen. Siegfried kämpfte auf völlig andere Art, als Hagen es jemals bei ihm beobachtet hatte. Jede einzelne seiner Bewegungen zeigte Hagen, welchen Respekt der Nibelunge vor dem Zauberschwert hatte. Zum ersten Mal, seit Hagen ihn kannte, vertraute er nicht auf seine übermenschlichen Kräfte, sondern tänzelte mit unglaublich schnellen Bewegungen vor Hagen auf und ab, das Schwert immer wieder von der einen in die andere Hand wechselnd und ängstlich darauf bedacht, außerhalb der Reichweite des Balmung zu bleiben. Und trotzdem brachten seine Gegenschläge und suche Hagen mehr als einmal in arge Bedrängnis. Hätte er nicht Helm und Kettenhemd getragen, wäre er trotz allem schon nach wenigen Augenblicken getroffen und verwundet worden.

Aber auch so begann der Kampf bald an seinen Kräften zu zehren. Siegfried wich immer wieder vor ihm zurück und versuchte nur selten, seine Hiebe mit der eigenen Klinge aufzufangen, und der Vorteil, den das Zauberschwert Hagen verlieh, wurde rasch kleiner, denn Hagen spürte selbst, wie seine Bewegungen an Schnelligkeit und Kraft verloren. Sein Atem ging keuchend, und der Balmung schien plötzlich nicht mehr gewichtslos, sondern zentnerschwer zu sein.

Siegfried nutzte Hagens Schwäche gnadenlos aus. Blitzartig sprang er vor, tauchte geschickt unter dem heruntersausenden Balmung hindurch und stach nach Hagens Kehle. Hagen drehte im letzten Augenblick den Oberkörper zur Seite, so daß die Klinge ihr Ziel verfehlte, der Ruck brachte ihn aus dem Gleichgewicht; er strauchelte, fiel nach hinten und prallte gegen einen Baum. Siegfried schrie triumphierend auf, setzte ihm nach und schwang die Klinge mit beiden Händen. Der Balmung zuckte wie ein lebendes Wesen in Hagens Hand. Gleichsam ohne sein Zutun sirrte die Klinge hoch, schlug Siegfrieds Schwert beiseite, mit einer Wucht, daß es ihn gleichzeitig von den Füßen riß. Der Nibelunge verlor den Halt und taumelte rückwärts bis zum Seeufer zurück. Hagen starrte ihn an. Ihn schwindelte. Für einen Moment erfaßte ihn eine tiefe, übermächtige Schwäche. Siegfrieds Gestalt verschwamm vor seinen Augen. Und dann geschah etwas Seltsames.

Es war, als begänne die Klinge in seinen Händen zu pulsieren - zu schlagen wie ein lebendiges, finsteres Herz, und eine Woge ungeheuerlicher Kraft floß aus dem Griff des Zauberschwertes in seinen Arm, die alle Schwäche und alle Furcht davonschwemmte und einen einzigen Gedanken, einen einzigen Wunsch in ihm zurückließ: Siegfried, den Unbesiegbaren, zu töten.

Hagen riß den Balmung hoch - und rammte das Schwert handbreit tief vor sich in den Boden. Es kostete ihn schier übermenschliche Kraft. Es schien, als wehre sich die Klinge gegen ihn wie er sich gegen sie. Doch nein - es durfte nicht sein! Nicht so! Er wollte es nicht Er wollte nicht, daß das dämonische Schwert Macht über ihn gewann. Und doch schrie es ihm zu: Töte ihn! Töte ihn! Als er aufsah, den Griff des Schwertes mit zitternden Händen umklammernd, begegnete er Siegfrieds Blick. Sein innerer Kampf hatte nur einen Atemzug lang gedauert. Der Nibelunge war mit einem Satz wieder auf die Füße gekommen. Haß und Zorn und Furcht spiegelten sich in seinem Blick - aber auch etwas wie höhnischer Triumph. »Nun, Hagen?« fragte er lauernd, den Blick nicht von dem Schwert in Hagens Händen lassend. »Was fühlt Ihr« - seine Stimme zitterte etwas - »was empfindet Ihr jetzt, nachdem Ihr die wahre Macht des Balmung zu spüren bekommen habt?«

Blitzschnell bückte er sich, seine eigene Waffe aufzuheben. Hagen packte den Bahnung fester, zog die Klinge mit einem Ruck aus dem Boden. Wieder war es ihm, als riefe das Schwert ihm zu: Töte ihn! »Wehrt Euch ruhig!« höhnte Siegfried. »Kämpft dagegen, wie ich es tat, beim ersten Mal. Ihr werdet verlieren. Ihr habt seine Macht entfesselt, und nun müßt Ihr den Preis bezahlen. Tötet mich - oder sterbt selbst!« Und damit riß er sein eigenes Schwert mit beiden Händen über den Kopf und griff mit ungestümer Wut an. Hagen reagierte im allerletzten Moment Er ließ sich zur Seite fallen, rollte über die Schulter ab, sah Siegfrieds Klinge nach seinem Gesicht stechen und trat nach den Knien des Nibelungen. Er traf, und der Tritt brachte Siegfried tatsächlich aus dem Gleichgewicht Der kurze Moment genügte, Hagen auf die Füße kommen zu lassen. Was folgte, war kein Zweikampf. Es war ein Alptraum. Siegfried griff Hagen rücksichtslos an, und in jedem einzelnen seiner Hiebe lag die ganze gewaltige Kraft seines Götterkörpers, so daß Hagen trotz der Zauberklinge Schritt für Schritt vor ihm zurückweichen mußte. Mehr als einmal war es, als schlüge Balmung tiefe, unsichtbare Wunden in Siegfrieds Fleisch, die den Nibelungen aufschreien ließen, ihn momentlang aus dem Gleichgewicht brachten. Doch nur, um sich sodann um so wütender auf ihn zu stürzen. Hagen kämpfte wie niemals zuvor in seinem Leben. Er fühlte keine Angst mehr. Er machte mit Erfahrung und immer gezielteren Angriffen und Hieben wett, was Siegfried ihm an Kraft und Schnelligkeit voraus hatte. Es war kein Kampf Mann gegen Mann mehr, kein Ringen zwischen Hagen von Tronje und Siegfried von Xanten, sondern das Aufeinanderprallen zweier Giganten.

Und irgendwann begriff Hagen, daß er verlieren würde. Siegfrieds Gesicht war vor Anstrengung und Wut verzerrt, aber seine Kraft war ungebrochen. Immer schneller hagelten seine Schläge auf Hagen herab, und immer öfter traf die schon schartig gewordene Klinge ihr Ziel, wenngleich die meisten der Hiebe von Hagens Helm und Kettenhemd aufgefangen wurden. Aber jeder Hieb zehrte an Hagens Kraft, jeder Schlag, den er mit dem Balmung auffing, ließ eine neue Welle von Schmerz durch seinen Leib rasen. Siegfried schrie unentwegt, seine Hiebe kamen so rasch, daß Hagen sie kaum mehr sah, und obwohl die Zauberklinge des Balmung immer und immer wieder mit scheinbar tödlicher Sicherheit ihr Ziel traf, schien der Nibelunge unempfindlich gegen Schmerz und Müdigkeit zu sein. Vielleicht war er schon tot, dachte Hagen entsetzt, aber er kämpfte weiter wie ein rasender Dämon, der nicht einhalten würde, ehe sein Gegner erschlagen zu seinen Füßen lag. Schließlich hatte Siegfried ihn bis zum Waldrand zurückgetrieben. In seinem Rücken war ein Baum, zu beiden Seiten dichtes, verfilztes Gestrüpp, nirgendwo mehr eine Lücke, in die er zurückweichen, nirgends mehr Platz, wo er Siegfrieds wütenden Hieben ausweichen konnte. Noch einmal versuchte Hagen, all seine Kräfte zusammenzuraffen, und tatsächlich gelang es ihm, Siegfrieds Angriff durch eine blitzschnelle Wendung der Zauberklinge zu parieren. Im nächsten Moment bewegte sich Siegfrieds Schwert in einer unnachahmlichen, kreiselnden Bewegung um die Klinge des Balmung herum, zuckte in einer engen Spirale nach Hagens Hand und prellte ihm mit fürchterlicher Wucht das Schwert aus den Fingern. Hagen schrie auf, brach in die Knie und fing den Sturz im letzten Moment mit der Linken ab. Seine rechte Hand war taub, der Balmung lag meterweit entfernt, unerreichbar, vor seinen Augen wirbelten blutige Schleier, und jeder Atemzug schmerzte. Siegfried stand hoch aufgerichtet vor ihm. Hagen sah, wie sich seine Muskeln spannten, zu einem letzten, wütenden Hieb, der ihm den Kopf von den Schultern trennen mußte. Aber Siegfried schlug nicht zu. Plötzlich bäumte er sich auf, seine Augen wurden groß. Blut sickerte vorne unter seinem Wams hervor. Sein Schwert fiel zu Boden. Langsam, so langsam, als würde er von unsichtbaren Fäden gehalten, brach er in die Knie, die Hände um die blutige Speerspitze gekrampft, die zwischen seinen Schulterblättern eingedrungen war und dicht unterhalb seines Herzens seine Brust durchbohrt hatte. Ein Ausdruck ungläubigen Staunens trat auf sein Gesicht Dann fiel er, mit einem letzten, wie erleichterten Seufzer nach vorne und lag still. Sein Rücken färbte sich rot, und bald lag er in einer Lache von Blut, ehe der Strom, der aus der Wunde in seinem Rücken drang, allmählich versiegte.