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Hagen starrte auf Siegfrieds reglosen Körper. Er atmete nicht Sein Herz schlug nicht Er dachte nicht. Er war betäubt, von einem Entsetzen gepackt, das schlimmer war als das Begreifen seines eigenen, unausweichlichen Todes. Er wußte, was geschehen war, aber er weigerte sich, es zu glauben. Es war unmöglich. Es durfte nicht sein. Aber sein Flehen wurde nicht erhört. Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten des Waldrandes, den rechten Arm, mit der sie den Ger geschleudert hatte, triumphierend erhoben.

Mit einem Schrei, der so laut war, daß er fast seine Kehle zerriß, sprang Hagen auf die Füße und warf sich auf Gunther. Er packte ihn, riß ihn herum, schleuderte ihn gegen einen Baum und schlug zu, nicht mit der flachen Hand und aus einem Reflex heraus, wie vor drei Tagen in Worms, sondern hart und gezielt und mit der vollen Absicht, zu verletzen, vielleicht zu töten. Umsonst! hämmerten seine Gedanken. Es war alles umsonst gewesen! Alles! Gunther hatte mit einer einzigen Bewegung seines rechten Armes alles zerstört, das Opfer, das er bereit gewesen war zu bringen, zunichte gemacht Gunther ging schon unter seinem ersten Hieb zu Boden, aber Hagen riß ihn wieder hoch, traf ihn ein zweitesmal und mußte all seine Willenskraft aufbieten, nicht selbst dann noch auf ihn einzuschlagen, als er sich zu seinen Füßen krümmte und vor Schmerz und Furcht zu wimmern begann.

Dann war es vorbei. Die Wut, dieser unbeherrschbare, rasende Zorn, erlosch ebenso schnell wieder, und seine Hände, zum Schlag erhoben, hatten plötzlich keine Kraft mehr. Er stand da, die Augen voller Tränen, starrte auf Gunther hinab und versuchte vergeblich, das krampfhafte Schluchzen zurückzuhalten, das ihn erschütterte. Gunther blickte zu ihm auf. Seine Unterlippe war gerissen, wo ihn Hagens Faust getroffen hatte. Blut lief über sein Kinn, und sein rechtes Auge begann sich zu schließen; so rasch, daß man dabei zusehen konnte. Aber in seinem Blick war kein Schmerz, kein Zorn, sondern nur dieser grausame, unmenschliche Triumph.

»Ich habe ihn getötet«, flüsterte er. »Er ist tot, Hagen. Der Hund ist endlich tot!« Er versuchte aufzustehen, glitt auf dem feuchten Laub aus und fiel wieder zur Seite. Mit schmerzverzerrtem Gesicht setzte er sich auf, suchte mit der Linken an der Rinde des Baumes Halt und streckte Hagen die andere Hand entgegen. Hagen rührte sich nicht »Er ist tot«, wiederholte Gunther. Ein fragender Ausdruck war in seinem Blick. Eine Art Furcht, die Hagen zunächst nicht verstand. »Siegfried ist tot! Begreifst du denn nicht, Hagen? Er ist tot! Wir haben ihn besiegt Der Nibelunge ist geschlagen!«

Hagen starrte ihn an. In seinem Herzen war nicht das mindeste Gefühl. »Das hättet Ihr nicht tun dürfen, mein König«, sagte er endlich. Langsam wandte er sich um, hob den Balmung vom Boden auf und schob ihn in seinen Gürtel. Dann trat er zu Siegfried, riß mit einem harten Ruck den Speer aus seinem Rücken und schleuderte ihn fort. Siegfried lebte noch, als Hagen sich neben ihm auf die Knie sinken ließ und ihn auf den Rücken drehte. Er war schwer. Sein Gesicht war bleich wie der Tod, und der Strom hellen Blutes aus seiner einen, einzigen Wunde hatte bereits nachgelassen. Sein Körper war schon tot, aber irgend etwas hielt ihn noch am Leben, eine Kraft, die nicht mehr menschlich sein konnte.

»Es tut mir leid, Siegfried«, flüsterte Hagen. »Ich weiß nicht, ob Ihr es verstehen könnt. Aber das habe ich nicht gewollt« Siegfried blickte ihn an. Seine Augen begannen sich schon zu trüben, aber Hagen spürte trotzdem, daß er ihn erkannte. »Ihr ... wart ein ... würdiger Gegner, Hagen«, sagte Siegfried. Er sprach sehr leise. »Aber Ihr habt mich besiegt«, antwortete Hagen. »Ihr hättet mich getötet« Ein Laut, der wohl ein Lachen sein sollte, kam aus Siegfrieds Kehle. »Ihr wart... so gut wie ... wie keiner vor Euch«, flüsterte er. »Wir hätten uns ... gegenseitig umgebracht So, wie ... wie es ... bestimmt war.« Er hustete qualvoll, versuchte den Kopf zu heben und sank mit einem röchelnden Laut wieder zurück »Kann ich noch irgend etwas für Euch tun?« fragte Hagen. Siegfried rang nach Luft Es dauerte eine Weile, bis er antworten konnte. »O nein, Hagen, Ihr ... habt schon ... mehr getan, als ... Ihr ahnt Oh, dieser Narr! Ich sterbe, aber ich ... ich habe trotzdem gewonnen. Mein Gott, es ist... so kalt... so...« Seine Hand tastete nach Hagens Hand. Die Berührung war widerlich: feucht und klebrig. Trotzdem zog Hagen seine Hand nicht zurück.

»... kalt«, stammelte Siegfried. »Mir ist so ... kalt. Dieser Narr. Er ... er hat mir den Sieg ... Kriemhild. Mein Gott - Kriemhildh« Und damit bäumte er sich auf und starb. Seine Augen brachen, noch bevor er ins Gras zurücksank Siegfried von Xanten, der Drachentöter, der König der Nibelungen, war tot.

Ein Schatten legte sich über Siegfrieds erloschenes Gesicht Hagen sah nicht auf.

»Ihr hättet es nicht tun dürfen«, flüsterte er. »Ihr habt alles zerstört Jetzt ist alles umsonst gewesen.« Gunther antwortete nicht, aber als Hagen schließlich aufsah und ihm ins Gesicht blickte, war der Triumph in seinen Augen erloschen. Und nun tat Hagen etwas, was er im ersten Moment selbst nicht verstand. Er zog den Balmung aus dem Gürtel, hielt die Waffe einen Herzschlag lang auf ausgestreckten Armen über Siegfrieds Leiche und legte sie dann auf seine Brust, den edelsteinbesetzten Griff nach oben, seinem Gesicht zugewandt. Er kniete neben dem Toten nieder. Siegfrieds Haut fühlte sich noch immer so warm und weich wie die eines Lebenden an, als er seine Hände nahm und über der Schwertklinge faltete.