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»Ihr habt ihn erschlagen.« Es war kein Vorwurf in diesen Worten. Es war eine reine Feststellung. Vielleicht war es gerade das, was sie für Hagen so entsetzlich machte.

»Ja«, flüsterte er. Das war alles. Keine Bitte um Verzeihung, kein tröstendes Wort. Was hätte es genutzt? Warum schreit sie nicht? dachte er. Warum schlägt sie nicht mit Fäusten auf mich ein? Es wäre ihm eine Erleichterung gewesen.

Aber Kriemhild tat nichts von alledem. »Ihr habt ihn besiegt«, flüsterte sie in ungläubigem Entsetzen. Sie hat es noch nicht begriffen, dachte er. Nicht wirklich. Plötzlich fiel ihm die Stille auf. Der Hof war gedrängt voll mit Menschen, aber nicht der geringste Laut war zu hören. Wo war Brunhild? Und wo Siegfrieds Nibelungenreiter?

»War es... ein guter Kampf?« fragte Kriemhild plötzlich. Hagen erschrak. Ganz sacht schüttelte er den Kopf. »Es gibt keinen guten Kampf, Kriemhild«, sagte er. »Aber er war ein schrecklicher Gegner. Der schlimmste, den ich je ...«

»Mußtet Ihr ihn deshalb töten?« fiel ihm Kriemhild ins Wort. Irgend etwas in ihrer Stimme war anders. Sie klang noch immer ganz ruhig, aber es war eine Kälte darin, die Hagen mit Grauen erfüllte. Kriemhilds Finger glitten zärtlich, fast liebkosend über Siegfrieds geschlossene Augen und über sein Gesicht.

»Er hat gekämpft wie ein Gott, Kriemhild«, flüsterte er. »Ich hatte keine Wahl. Ich habe nie gegen einen Mann gefochten, der besser war.« »Und trotzdem habt Ihr ihn erschlagen«, sagte Kriemhild. »Wie er es gesagt hat« Sie hörte nicht auf, Siegfrieds erstarrtes Gesicht zu streicheln. »Er hat es gewußt. Heute morgen, als er mich verließ, hat er es mir gesagt Ich habe ihm nicht geglaubt Aber ich habe gebetet.« Sie schwieg einen Moment »Für Euch«, fuhr sie dann fort, mit einer Stimme, die wie aus Glas war. »Ich habe für Euch gebetet, Hagen. Für Euch! Ich habe vor Angst gezittert, jeden Augenblick zwischen seinem Fortgehen und jetzt, vor Angst um Euch. Aber Ihr habt ihn erschlagen.«

»Es war ein ehrlicher Kampf, Kriemhild«, mischte sich Gunther ein. Kriemhild beachtete ihn gar nicht »Ihr habt ihn erschlagen«, wiederholte sie tonlos. »Ihr habt mein Leben zerstört, Hagen, wißt Ihr das?«

»Ja, das weiß ich«, antwortete Hagen.

»Er ist tot«, murmelte Kriemhild. Plötzlich sah sie auf und blickte Hagen einen langen Moment ausdruckslos an, dann legte sie die Hand auf die Brust. »Aber er lebt trotzdem«, fuhr sie fort. »Ich trage sein Kind unter dem Herzen, Hagen. Siegfrieds Sohn. Werdet Ihr ihn auch töten, wenn er alt genug ist, ein Schwert zu führen?« »Sein Kind?« fragte Gunther fassungslos. »Du bist...« »Ich trage Siegfrieds Sohn in mir«, sagte Kriemhild ganz leise. »Seinen Erben, Hagen. Er wird seinen Vater rächen, wenn er alt genug dazu ist.« Hagen lächelte. »Ich werde nicht mehr leben, wenn er alt genug ist, mich zu fordern, Kriemhild«, sagte er sanft. »Ich bin ein alter Mann.«

»O doch, Hagen, das werdet Ihr«, widersprach Kriemhild. »Ihr werdet bezahlen für das, was geschehen ist. Und wenn nicht meinem Sohn, dann mir. Das verspreche ich Euch.«

»Schweig«, sagte Gunther streng. Hagen warf ihm einen flehenden Blick zu, aber Gunther übersah ihn. Er trat mit einem herrischen Schritt zu Kriemhild und streckte den Arm aus, wie um sie in die Höhe zu ziehen. »Es war ein ehrlicher Zweikampf, wie ich noch keinen gesehen habe. Wer gibt dir das Recht...«

»Oh, du hast zugesehen?« unterbrach ihn Kriemhild, noch immer in diesem leisen, verletzenden Tonfall. »Hast du in die Hände geklatscht, als er ihm das Schwert ins Herz gestoßen hat, Bruder?« Gunther erbleichte. Seine ausgestreckte Hand ballte sich zur Faust »Laßt sie«, sagte Hagen rasch. »Der Schmerz verwirrt ihre Sinne.« Kriemhild fuhr mit einem wütenden Laut herum. »Schmerz?« rief sie. »O nein, Hagen. Ihr irrt, wenn Ihr glaubt, daß Ihr noch imstande wäret, mir weh zu tun.« Sie stand auf. »Nie mehr.«

»Kriemhild«, begann Hagen. Aber er sprach nicht weiter, als er ihrem Blick begegnete.

»Ihr habt ihn erschlagen!« Ein Lächeln, das Hagen schaudern ließ, erschien auf ihren Lippen. Ihr Blick flackerte. »Er hat es mir gesagt. Er... er hat gesagt, daß Ihr es sein werdet, der ihn tötet, eines Tages. Immer wieder hat er es mir gesagt, aber ich ... ich habe ihm nicht geglaubt« »Kriemhild, er war es nicht wert«, sagte Hagen leise. »Ich verlange nicht, daß du mir jetzt glaubst, aber er... er war nicht das, wofür du ihn gehalten hast«

»Was war er nicht?« fragte Kriemhild, und noch immer lag dieses entsetzliche, kalte Lächeln auf ihren Zügen. »Ein Mann, Hagen? Der Mann, den ich geliebt habe?«

»Er hat dich betrogen, Kind«, sagte Hagen. »In eurer Hochzeitsnacht Vielleicht sogar schon vorher.«

»Und?« fragte Kriemhild stolz. »Wer gibt Euch das Recht, darüber zu richten?«

»Hörst du denn nicht, was Hagen sagt, du dummes Weib?« fuhr Gunther wütend dazwischen. »Er hat dich betrogen. Dich und mich. Er hat deine Ehre beschmutzt und meine in den Kot gezogen. Was erwartest du?« »Betrogen?« Kriemhild lachte leise. »Du Narr. Siegfried hat mir erzählt, was geschehen ist.«»Er hat - was?« wiederholte Hagen fassungslos.

»Es war nicht seine Schuld«, sagte Kriemhild. »Die Walküre hat ihn mit ihren Hexenkräften bezaubert. Er konnte sich nicht wehren. Kein Mann aus Fleisch und Blut kann dem Zauber Brunhilds widerstehen, das solltet Ihr doch wohl wissen. Siegfried kam zu mir, ehe er Worms verließ. Er... er hat geweint vor Scham, Hagen. Er hat mir alles erzählt Er kam hierher, um Worms zu erobern, aber dann sah er mich, und er liebte mich vom ersten Moment an, so wie ich bin. Er wollte die Walküre nicht mehr. Aber sie hat ihn gezwungen. Sie hat ihn behext, damit er in ihr Bett kam, statt in das meine.«

»Und das glaubst du, du dummes Kind?« fauchte Gunther. Aber seine Stimme war unsicher. »Ich weiß, daß es so war«, sagte Kriemhild ruhig. Einen Moment hielt Hagen ihrem Blick noch stand, dann drehte er sich um und lief ins Haus, so schnell er nur konnte. Als er durch die Tür stürmte, gewahrte er ein flüchtiges Blitzen von Gold im Schatten des Tores, und obwohl es so rasch verschwand wie ein zurückgeworfener Lichtstrahl auf bewegtem Wasser, wußte er, daß es Brunhild gewesen war. Und daß sie jedes Wort gehört haben mußte, das Kriemhild gesprochen hatte. Und daß es die Wahrheit gewesen war.

20

Der Tag verging wie in einem Rausch. Er war in seine Kammer hinaufgegangen, hatte die Tür hinter sich verriegelt und sich auf sein Lager geworfen, und er wußte nicht mehr, was während der folgenden Stunden geschehen war. Etliche Male wurde an seine Tür geklopft, und verschiedene Stimmen hatten Einlaß gefordert, herrisch und befehlend, schmeichelnd oder auch drohend. Hagen hatte niemandem geöffnet, auch Gunther nicht, der vier- oder fünfmal gekommen war. Schließlich, schon spät am Nachmittag, war das harte Stampfen von Stiefeln durch die Tür gedrungen, und das Klopfen und Rufen hatte aufgehört. Gunther hatte eine Wache vor seiner Kammer postiert; Hagen wußte nicht, ob zu seinem Schutz oder als Bewachung.