Выбрать главу

Es war nicht ganz klar, wie die Dänen auf Siegfrieds Aufforderung reagierten. Die meisten waren wie erstarrt, gebannt von Siegfrieds Erscheinung und dem, was geschehen war, andere rannten zu ihren Pferden oder liefen einfach ziellos hin und her. Aber keiner dachte ernsthaft daran, Lüdegast zu Hilfe zu eilen.

Siegfried wartete ihre Entscheidung nicht ab. Behutsam ließ er Lüdegast wieder nach vorne sinken, griff dessen Pferd und sein eigenes am Zügel und ritt den Hügel herauf.

Zwei der Nibelungenreiter sprengten ihm entgegen und nahmen Lüdegast in die Mitte. Siegfried gab seinem Pferd die Sporen und jagte das letzte Stück in vollem Galopp heran. Dicht vor Hagen brachte er sein Tier mit einem harten Ruck zum Stehen.

»Wo kommen diese Männer her?« fragte er und deutete auf Grimwald und seine Bogenschützen. »Wer hat sie gerufen und ihnen befohlen, sich einzumischen?«

»Ich«, antwortete Hagen. Siegfrieds Zorn überraschte ihn. »Ich dachte, Ihr könntet ein wenig Unterstützung brauchen.«»So?« schnappte Siegfried. »Fragt mich das nächste Mal, bevor Ihr Euch so etwas ausdenkt, Hagen von Tronje. Ich wäre auch allein mit diesen dänischen Schwächlingen fertig geworden.«

Hagen wollte ihn fragen, ob das sein Ernst sei, besann sich dann aber eines Besseren. Seit er mit eigenen Augen gesehen hatte, wie Siegfried die Überlebenden von Lüdegasts Leibwache niedergemacht hatte, erschien ihm nichts mehr unmöglich.

»Laßt uns zum Heer zurückkehren«, sagte er und fügte mit Blick auf das dänische Lager hinzu: »Bevor sie es sich anders überlegen.« »Das werden sie bestimmt nicht«, entgegnete Siegfried verächtlich. »Wir haben ihren König gefangen. Für sie ist der Krieg zu Ende.« »Vergeßt nicht die Sachsen«, erinnerte Hagen. »Sie sind noch ungebrochen, und es ist das größere der beiden Heere. Lüdeger wird es nicht so einfach hinnehmen, daß wir seinen Bruder gefangen und gedemütigt haben.«

»Sie liegen zwei Tagesmärsche von hier«, meinte Siegfried achselzuckend. »Und vergeßt nicht, wir haben seinen Bruder als Geisel. Aber Ihr habt recht - reiten wir zurück zum Heer. Wir haben einen Sieg zu feiern.«

»Einen Sieg?« Hagen schüttelte ärgerlich den Kopf. »Verkauft nicht die Haut des Bären, bevor Ihr ihn gefangen habt«, sagte er. »Lüdegast ist geschlagen, aber Lüdeger ist der gefährlichere von den beiden. Ein zweites Mal wird uns ein solcher Handstreich kaum gelingen. Und der Großteil der Dänen wird zu Lüdegers Heer laufen und sich ihm anschließen, sobald wir abgezogen sind.«

»Dann schlagen wir sie eben in der Schlacht«, sagte Siegfried. »Fünftausend Mann?«

»Fünftausend Sachsen«, erwiderte Siegfried, als wäre dies ein Unterschied. »Ich fürchte sie nicht. Mein Schwert hat Blut geschmeckt, und es dürstet nach mehr. Wir werden sie schlagen.« Hagen verzichtete auf eine Antwort.

Sie ritten zurück. Ein Teil von Siegfrieds Männern blieb auf dem Hügel, um die Dänen im Auge zu behalten, der Rest und Grimwards Bogenschützen schlössen sich zu einem dichten Ring um Hagen, Siegfried und den gefangenen Dänenkönig, um sie abzuschirmen, als sie den Hang hinab - und dem Heer entgegenritten. Es war inzwischen heller Morgen, wenngleich die Sonne noch tief stand und nur blaß durch den Frühnebel schien. Die Kette des zwölfhundert Mann zählenden Heeres zog sich wie eine endlose glitzernde Schlange durch das Tal. Es kam Hagen so vor, als wäre der Zug nicht viel weitergekommen, seit sie sich von ihm getrennt hatten. Aber dann fiel ihm ein, wie wenig Zeit inzwischen vergangen war.

Siegfried wies auf einen kleinen Trupp Berittener, die sich ein Stück vom eigentlichen Heereszug abgesondert hatten. Das mußten Gernot und Volker mit ihren Getreuen sein. Die Entfernung war noch zu groß, um Einzelheiten zu erkennen, aber Hagen glaubte zu bemerken, daß sich die Gruppe in heftiger Erregung befand.

Sie ritten schneller, und Siegfried durchbrach den Ring von Reitern und setzte sich an die Spitze des Zuges.

»Sieg!« rief er Gernot und Volker entgegen, als sie nahe genug waren. »Der Sieg ist unser!« Gernot und Volker reagierten gar nicht so, wie es auf diese freudige Nachricht hin zu erwarten gewesen wäre. Sie wirkten angespannt und bedrückt, und ihre Mienen erhellten sich nicht. Selbst der Anblick des Dänenkönigs, als die Reiter auseinanderwichen, schien sie nicht gebührend zu beeindrucken. In ihrer Begleitung befand sich ein gutes Dutzend Reiter, Haupt- und Unterführer der Truppe zumeist, und sowie Hagen und Siegfried den kleinen Troß erreicht hatten, sprengte Giselher in scharfem Tempo herbei, gefolgt von Rumold und Sinold, die auch hier im Feld unzertrennlich waren. Gernot mußte alle Edelleute zusammengerufen haben. Siegfried sah von einem zum anderen, nachdem sie alle ihre Pferde gezügelt hatten. »Es wird keinen Kampf geben, Gernot. Wir haben Lüdegast gefangen«, sagte er und wies auf die beiden Reiter, die den Dänenkönig stützten. »Der erste Gang ist vorüber. Wir...« Er stutzte, da Volker und Gernot keinerlei Regung zeigten. »Was ist mit euch?« fragte er. »Freut ihr euch nicht über den Sieg?«

»Ich fürchte, die Freude wird nicht sehr lange anhalten«, antwortete Gernot brüsk. »Ihr sagtet, der dänische Kundschafter habe Euch den genauen Standort von Lüdegers Heer verraten?«

Siegfried nickte. Zwischen seinen Brauen bildete sich eine tiefe Falte. »Das hat er.«

Gernot lachte bitter. »Nun, Siegfried - entweder war er falsch informiert, oder er hat Euch belegen.« Er drehte sich im Sattel herum. »Sprich, Thomas.« Hagen fiel der Mann erst jetzt auf. Anders als die anderen hockte er vornübergebeugt, zusammengesunken im Sattel. Sein Atem ging schnell, und sein Pferd dampfte vor Schweiß. Als der Krieger den Blick hob, sah Hagen, daß sein Gesicht verdreckt und von Erschöpfung gekennzeichnet war. Auf seiner linken Wange war eine frische, noch blutende Wunde. »Sie sind... nicht weit hinter jenen Hügeln dort, Herr«, sagte er und deutete mit einer Kopfbewegung nach Osten. »Mehr als fünftausend Mann, die Hälfte davon beritten. Sie rücken schnell vor. Spätestens zur Mittagsstunde sind sie hier.«