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Gunther sah ihn ernst an. »Ich glaube, du täuschst dich in ihm«, sagte er. »Wir alle haben uns in ihm getäuscht. Siegfried mag jung und ungestüm sein, aber er ist nicht unser Feind. Ohne ihn wäre Worms jetzt in den Händen der Sachsen.«

Und nun ist es in seiner Hand, fügte Hagen in Gedanken hinzu. Er wußte nicht, was schlimmer war. »Er ist unser Freund«, sagte Gunther. »Glaube mir. Ich verlange nicht von dir, daß du ihn liebst Aber versuche ihn anzunehmen, so wie er ist Wenn schon nicht als Freund, dann wenigstens als Verbündeten.« »Ich ... werde es versuchen«, sagte Hagen. »Aber ich fürchte, es wird eine Weile dauern.«

Gunther lächelte. »Laß dir nicht zu viel Zeit damit«, sagte er scherzhaft. »Wir werden ein Fest geben zur Feier unseres Sieges, wie Worms noch keines gesehen hat In sechs Wochen, wenn das Pfingstfest naht, mußt du wieder gesund sein. Ich will meinen tapfersten Krieger an meiner Seite wissen, wenn wir den Triumph über die Sachsen feiern.« Er stand auf. »Und nun ist für einen Tag genug geredet Kriemhild wird bitterböse, wenn ich dich anstrenge.«

Plötzlich wurde er wieder ernst. »Weißt du, daß sie die ganze Zeit an deinem Bett gewacht hat? Ute und Dankwart haben sie fast mit Gewalt zwingen müssen, etwas zu essen und ein paar Stunden zu schlafen.« Er berührte Hagen sanft an der Schulter. Dann ging er. Hagen lauschte auf seine Schritte, aber noch ehe sich die Tür wieder öffnete und Kriemhild eintrat, schlief er ein.

19

Als er wieder erwachte, war Nacht Die Glut im Herd war angefacht worden, und die flammen erfüllten den Raum mit flackerndem Licht und tanzenden Schatten. Er war nicht allein. Neben seinem Bett stand ein hochlehniger Sessel, in dem eine zusammengekauerte Gestalt saß und schlief, und durch die geschlossenen Fensterläden drangen gedämpfte Stimmen herein und verrieten, daß die Burg auch jetzt, tief in der Nacht noch wach war.

Eine Zeitlang lag er einfach da und wartete, daß der Schlaf zurückkam, aber er fühlte sich frisch und ausgeruht wie schon lange nicht mehr. Sein Gesicht schmerzte immer noch, aber das quälende Hämmern und Brennen war zu einem dumpfen Pochen herabgesunken; nur die Schwäche in seinen Gliedern war geblieben. Er hatte Durst Langsam drehte er den Kopf und überlegte, ob er Kriemhild wecken und sie bitten sollte, ihm einen Schluck Wasser zu bringen. Doch dann stemmte er sich auf den Ellbogen hoch und schlug die Decke beiseite.

Kriemhilds Schlaf war leise genug, um das geringste Geräusch wahrzunehmen. Prompt richtete sie sich im Sessel auf und hob den Kopf. Im gleichen Moment wurde Hagen bewußt, daß er unter der Decke nackt war; hastig zog er das Bärenfell bis an die Brust hoch und ließ sich wieder zurücksinken. Kriemhild seufzte und blickte ihn aus schlaftrunkenen Augen an.

»Ich ... muß wohl eingeschlafen sein«, murmelte sie entschuldigend. »Wie fühlt Ihr Euch, Ohm Hagen?«

»Ich bin durstig«, antwortete Hagen leise. »Aber das ist kein Grund für dich, hier Nachtwache zu halten, Kriemhild. Warum gehst du nicht zu Bett und überläßt es den Dienern, bei mir zu wachen?«

»Weil ich es so will«, erwiderte Kriemhild. Sie stand auf, füllte einen Becher und reichte ihn ihm. Hagen griff dankbar nach dem tönernen Gefäß, leerte es mit gierigen Zügen und gab es zurück Kriemhild füllte den Becher erneut, aber diesmal trank er langsamer und setzte den Becher nach wenigen Schlucken wieder ab. Es war nicht Wasser, was ihm Kriemhild gebracht hatte, sondern Wein. »Trink nur«, sagte Kriemhild. »Der Heilkundige sagt, Wein sei gut für dich.« »So?« erwiderte Hagen spöttisch. »Für gewöhnlich verbieten diese Quacksalber einem Mann doch seinen Wein. Steht es so schlimm um mich?«

Kriemhild lachte leise. »Im Gegenteil«, sagte sie. »Aber je mehr du davon trinkst, um so besser wirst du schlafen.«

Hagen äußerte sich nicht dazu. Er sah Kriemhild prüfend an. Etwas in ihrem Blick irritierte ihn. »Du bist nicht nur hier, um über meinen Schlaf zu wachen.«

»Nein«, gestand Kriemhild nach einer Weile. »Ich ... ich habe sogar gehofft, daß Ihr wach werdet, Ohm Hagen. Ich wollte bei Euch sein, wenn Ihr erwacht« Sie senkte den Blick »Ich wollte Euch sagen, wie leid es mir tut, Ohm Hagen. Ich...«

»Und was noch?« Hagen wußte, daß dies nicht der einzige Grund war. Er setzte sich ein wenig auf und zog die Decke über die Schultern. Trotz des Feuers fröstelte ihn. »Es ist Siegfried, nicht wahr?« Kriemhild nickte und sah ihn mit tränenerfüllten Augen an. Hagen unterdrückte den Wunsch, die Hand auszustrecken und ihre Wange zu streicheln, wie er es früher getan hatte, als sie noch ein Kind gewesen war. Eine sonderbare Wärme breitete sich in ihm aus. Es war nicht die Wirkung des Weines. »Ich habe mit ihm gesprochen«, sagte er. »Über dich und ihn, und auch über mich.«

»Und ... zu welchem Ergebnis seid Ihr gekommen?« »Ergebnis?« Hagen griff nach dem Becher und trank noch einen Schluck Wein. Umständlich stellte er den Becher auf den Boden, setzte sich auf und ordnete das Fell, in das er sich eingewickelt hatte. »Zu keinem endgültigen, Kriemhild. Vielleicht habe ich mich in Siegfried getäuscht Jedenfalls in mancher Beziehung.« »Ihr ... sagt das nicht nur, um mich zu beruhigen?« »Nein, Kriemhild. Ich würde dich nicht belügen, das weißt du doch. Ich habe Siegfried einmal einen Großsprecher genannt, weißt du noch?« Kriemhild nickte, und Hagen fuhr fort! »Ich habe mich geirrt, Kriemhild. Ich glaube, Siegfried hätte Lüdeger samt seinem Heer auch ganz allein besiegt.« Das war natürlich übertrieben, aber Kriemhild schien zu verstehen, was er meinte. »Das hört sich fast an, als würdet Ihr ihn fürchten«, sagte sie. »Fürchten?« Hagen überlegte einen Moment. Nein - Furcht war es nicht, was er empfand. Es war etwas anderes, etwas, was er nicht in Worte fassen konnte. »Nein«, sagte er nach einer Weile. »Ich habe nur eingesehen, daß Siegfried immer erreicht, was er will.« »Ihr ...«

»Er will dich, Kriemhild, und wenn du ihn auch willst... Ich habe kein Recht, mich deinem Glück in den Weg zu stellen.« Kriemhilds Augen leuchteten auf. »Dann ... werdet Ihr nicht dagegen sprechen, wenn Siegfried bei Gunther um meine Hand anhält?« Hagen antwortete nicht gleich. Er dachte an das, was er Siegfried gesagt hatte, am Abend vor der Schlacht, und an das Versprechen, das er Gunther gegeben hatte. Wäre es nach ihm gegangen, er hätte noch immer tausend Gründe gefunden, die gegen diese Verbindung sprachen. Aber durfte er die düsteren Ahnungen, für die es keine greifbaren Gründe gab, gegen das Glück dieses Kindes in die Waagschale werfen? »Nein. Ich werde nicht dagegen sprechen. Nicht, wenn es wirklich dein Wunsch ist Überlege es dir gut, Kriemhild. Eine Entscheidung ist schnell gefällt und ein Wort schneller gesprochen als zurückgenommen. Du wirst mit Siegfried fortgehen müssen, nach Xanten, vielleicht auch in sein Nibelungenland, wo immer es liegen mag. Und von dem niemand weiß, wie es dort aussieht«

»Siegfried weiß es«, sagte Kriemhild. »Und ich weiß es auch, Ohm Hagen Es ist wunderschön dort, viel schöner als hier. Es herrscht ewiger Sommer, und niemand dort weiß, was die Worte Krieg und Not bedeuten.« Sie lächelte, als sie Hagens fragenden Blick sah. Die Tränen waren versiegt, nur die verwischten Spuren auf ihrem blassen Gesicht zeugten davon, daß sie geweint hatte. »Gibt es noch etwas, was Euch Sorgen bereitet?«

»Nein«, antwortete Hagen. Aber seine Stimme klang traurig. »Und wenn ich dich so ansehe, dann weiß ich, daß die Entscheidung längst gefallen ist. Also will ich versuchen, das Beste daraus zu machen und mich über dein Glück zu freuen.« Er streckte die Hand aus und streichelte nun doch Kriemhilds Wange, trank noch einmal vom Wein und ließ sich wieder zurücksinken. Seine Lider wurden schwer, er fühlte, wie der Schlaftrunk seine Wirkung tat, und diesmal wehrte er sich nicht mehr dagegen. Er wollte schlafen. Vergessen. Vielleicht hatte er zum ersten Mal in seinem Leben einen Kampf verloren, und der Geschmack der Niederlage war bitter. Vielleicht würde er ihn in Zukunft öfter zu schmecken bekommen. Er wurde alt, es war nicht mehr daran zu rütteln.