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»Ist deine Mutter zu Hause?« fragte er. Der Hund verstellte ihnen knurrend und zähnefletschend den Weg, hielt jedoch sicheren Abstand zu dem dunkelgekleideten Fremden, als spürte er dessen Überlegenheit. »Still, Fenris!« befahl Helge. Und zu Hagen gewandt sagte sie: »Ja, Herr, sie ist zu Hause. Aber wollt Ihr wirklich...«

Sie lächelte unsicher. Jetzt, da sie zu Hause und aus dem nebelerfüllten Wald heraus war, schienen sie Zweifel zu plagen, ob es wirklich klug gewesen war, diesen Fremden mitzubringen. Er mochte ein Ritter sein oder nicht, sie wußte nichts von ihm und seinen Absichten. »Ich rede mit ihr«, sagte Hagen. Das Mädchen nickte. Sie hatte die Lippen zu einem schmalen, blutleeren Strich zusammengepreßt, die dünnen Hände zu Fausten geballt, so fest, daß die Knöchel wie kleine weiße Narben aus der Haut hervortraten; ihre Augen flackerten vor kindlicher Furcht. Hagen nickte ihr aufmunternd zu, wandte sich um und ging auf das Haus zu.

Seine Schritte mußten drinnen gehört worden sein. Die Tür ging auf, und eine Frau trat heraus, blieb jedoch im Schatten des niedrigen Türsturzes stehen, als hätte sie Angst, ihr Gesicht dem Tageslicht auszusetzen. »Deine Mutter?« fragte Hagen leise. Helge antwortete nicht, aber er deutete ihr Schweigen als Bestätigung und ging nach kurzem Zögern weiter. »Dann komm«, murmelte er. »Ich habe nicht viel Zeit.« Er scheuchte den Hund mit einer ärgerlichen Handbewegung fort und schritt den Weg zum Haus hinunter. Helges Schritte folgten ihm in einigem Abstand.

Helges Mutter war eine dürre kleine Frau, mit schmalem Gesicht wie ihre Tochter, von dem gleichen knabenhaften Wuchs, jedoch von den Jahren gebeugt. Hagen musterte sie mit unverhohlener Neugierde. Sie wirkte viel älter, als er nach dem Alter des Mädchens erwartet hatte - älter, aber nicht gebrechlich. Ihr Haar war grau, aber noch voll, und ihre Augen, obgleich in ein Netz tiefer Falten eingebettet, blickten klar und wach, und Hagen las in ihrem Blick weder Überraschung noch Schrecken. Über ihrem Kleid hing eine aus Gras geflochtene Schnur, an der ein kleines, aus gebleichten Vogelknochen kunstvoll geschnitztes Kreuz befestigt war. Irgendwie schien dieses Zeichen des Christentums nicht zu der alten Frau zu passen.

»Ich grüße Euch, Hagen von Tronje«, sagte sie, als er auf Armeslänge herangekommen und vor ihr stehengeblieben war. Hagen konnte seine Überraschung nicht verbergen. »Du ... kennst mich?« Die Alte nickte. »Es ist nicht leicht möglich, einen Mann wie Euch nicht zu kennen, Herr«, sagte sie. Ihre Stimme klang jung und paßte nicht zu der gebeugten Gestalt und dem von Falten zerfurchten Gesicht, und Hagen fiel auf, daß der Unterton von Furcht, den zu hören er gewohnt war, wenn er mit Leuten aus dem Volk sprach, in ihrer Stimme fehlte. Hagen glaubte ein Lächeln auf ihren Zügen zu erkennen. Aber es konnte auch etwas anderes sein.

»Haben wir uns ... schon einmal gesehen?« fragte er laut, um sich seine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.

»Nein«, erwiderte Helges Mutter. »Aber man muß Euch nicht gesehen haben, um Euch zu erkennen, Hagen. Ich hörte, daß Ihr auf dem Rückweg nach Worms seid.« Sie seufzte auf sonderbare Art, trat beiseite und wies mit ihrer schmalen, gichtigen Hand ins Haus. »Tretet ein und seid unser Gast, hoher Herr.«

Hagen wollte in einer ersten Regung den Kopf schütteln, überlegte es sich dann aber anders und leistete der Einladung Folge. Die Alte verwirrte ihn. Irgend etwas an ihr, was sich mit Worten nicht ausdrücken ließ, berührte ihn eigenartig. Er empfand das gleiche, seltsame Gefühl, das er schon in Helges Nähe empfunden hatte, nur wesentlich stärker. Unwillkürlich sah er sich nach dem Mädchen um, konnte es aber nirgends entdecken. Die Furcht mußte sie vertrieben haben. Im Haus war es dunkel und warm, wärmer, als er erwartet hatte, und er merkte eigentlich erst jetzt, wie kalt es draußen gewesen war. Der Nebel hatte seine kaum getrockneten Kleider aufs neue durchnäßt; seine Glieder fühlten sich klamm und steif an, und für einen kurzen Moment spürte er Müdigkeit wie eine warme, betäubende Woge in sich aufsteigen.

Die Alte schlurfte an ihm vorbei, schloß die Tür und deutete mit einer einladenden Handbewegung auf den Tisch. »Setzt Euch, Hagen von Tronje«, sagte sie. »Es ist nicht viel, was ich Euch bieten kann, aber wenn Ihr mit Brot und Wasser vorliebnehmen wollt, so seid mein Gast.« »Ich kann nicht bleiben«, antwortete Hagen. Er versuchte das Gesicht der alten Frau zu erkennen, aber es war zu dunkel im Raum; das heruntergebrannte Feuer verbreitete zwar Wärme, aber kaum Helligkeit Immerhin konnte er sehen, daß die Hütte fast leer war - außer dem Tisch und den beiden niedrigen Holzbänken davor gab es ein strohgedecktes Bett und eine wuchtige Truhe aus Holz und Eisen, an der Wand darüber ein Brett mit allerlei Tand und Dingen des täglichen Gebrauchs. Nur ein Bett, dachte er verwundert Laut fuhr er fort: »Meine Gefährten warten unten am Fluß auf mich. Sie werden sich sorgen, wenn ich zu lange fortbleibe. Ich ... kam nur wegen der Ziege.«

»Der Ziege?« Die Alte schlurfte gebückt zur Truhe, öffnete sie und nahm eine hölzerne Schale und ein sauber zusammengefaltetes Tuch heraus. »Was für eine Ziege?«

»Die Ziege, die deine Tochter hüten sollte«, antwortete Hagen ungeduldig. Er hatte das Gefühl, daß sich die Alte über ihn lustig machte. Mit einer ärgerlichen Bewegung griff er unter seinen Mantel, nahm eine Münze aus dem Geldbeutel und legte sie auf den Tisch. »Ich kaufe sie dir ab. Meine Männer sind hungrig und brauchen Fleisch. Das da wird reichen.«

Die Alte blickte ihn prüfend an, beugte sich dann vor und nahm die Münze mit spitzen Fingern auf. »Es würde reichen, auf dem Markt drei Ziegen zu erstehen. Ihr seid sehr großzügig, Herr«, sagte sie, »und sehr gütig. Hat Euch meine Tochter darum gebeten?« »Ich ...«

»Es ist ein halber Tagesritt nach Worms«, fuhr die Alte kopfschüttelnd fort und schob ihm die Münze über den Tisch wieder zu. »Weniger für einen Mann mit einem schnellen Pferd, wie Ihr es zweifellos besitzt Ihr würdet fast die gleiche Zeit brauchen, die Ziege zu schlachten und zuzubereiten.« Sie lachte leise. »Es ist nicht das erste Mal, daß dieses dumme Kind beim Hüten einschläft und Regis ihr davonläuft, Herr. Doch die Tiere sind klüger, als wir Menschen glauben. Die Ziege wird zurückkommen, wenn die Nacht hereinbricht und der Hunger sie plagt. Nehmt Euer Geld und meinen Dank, Hagen von Tronje.«

Hagen griff zögernd nach der Münze, drehte sie zwischen den Fingern und starrte die alte Frau an. Der rötliche Schein der Glut lag nun auf ihrem Gesicht, er gab ihren Zügen etwas von ihrer früheren Weichheit zurück und ließ die Falten verschwinden; das sanfte Licht machte sie jünger, und für einen Moment glaubte Hagen zu erkennen, wie sie früher ausgesehen hatte. Sie mußte ihrer Tochter sehr ähnlich gewesen sein. »Ihr braucht Euch nicht zu sorgen, Herr. Ich werde Helge nicht bestrafen. Sie ist ein Kind und weiß es nicht besser. Und nun setzt Euch und teilt das Brot mit mir.«