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Hagen merkte plötzlich, daß er Lüdegast anstarrte, und wandte verlegen den Kopf. Aber es war Lüdeger, der das peinliche Schweigen brach. »Hagen von Tronje«, begann er. »Ich fühle mich geehrt, Euch zu sehen. Ich höre, es geht Euch besser?«

Hagens Blick glitt noch einmal beinahe schuldbewußt über Lüdegasts erschlaffte Züge. Er nickte. »Es ... es geht mir gut«, sagte er, eine Spur zu hastig. »Ich danke Euch, König...«

»Vergeßt den König, Hagen von Tronje«, fiel ihm Lüdeger ins Wort. In seiner Stimme war nichts von Bitterkeit. Er schien Hagen fast unnatürlich ruhig. Aber auch er hatte vier Wochen hinter sich, in denen er wohl nicht viel anderes zu tun gehabt hatte, als zu denken. »König war ich einmal«, fuhr er fort. »Aber es ist lange her.«

Lüdegast hob mit einer ruckhaften Bewegung den Kopf. »König?« sagte er. »Ich bin König. Wer verlangt nach mir? Wo ist meine Krone?« Hagen senkte betreten den Blick Er spürte, wie sich Dankwart neben ihm unruhig bewegte. Es war kein guter Einfall gewesen, diese Begegnung zu suchen. Plötzlich wünschte er sich, wieder oben in seiner Kammer zu sein.

»Wir müssen weiter«, sagte Ortwein, als das Schweigen unerträglich zu werden begann. »Du darfst nicht zu lange aus dem Haus, Ohm Hagen.« Hagen wollte ihm bereitwillig folgen, doch Lüdeger hielt ihn zurück. »Weiter, Ortwein von Metz?« fragte er, und mit einemmal war seine Stimme nicht mehr so ruhig wie bisher. »Weiter, oder nur fort? Soll Euer Ohm nicht sehen, was der Xantener getan hat?« Ortwein runzelte die Stirn und wandte sich mit einer heftigen Bewegung um. Aber Hagen entzog ihm seinen Arm und blieb stehen. »Nicht so hitzig, Ortwein«, sagte er. »Lüdeger hat recht.« Der Sachsenkönig schien überrascht. Er hatte nicht erwartet, ausgerechnet von Hagen Unterstützung zu erhalten.

»Ich sehe, was Ihr meint, König Lüdeger«, sagte Hagen mit Blick auf Lüdegast Der Däne hob bei »König« erneut den Kopf und wollte etwas sagen. Lüdeger schlug ihm leicht auf den Mund, und Lüdegast verstummte. Hagen überging es. »Ich sehe es, und es gefällt mir nicht«, fuhr er fort. »Doch wer den Krieg in die Länder seiner Nachbarn trägt, muß damit rechnen, daß er erntet, was er gesät hat.«

Lüdegers Gesicht blieb unbewegt. »Ich habe Burgund den Krieg erklärt Nicht Siegfried von Xanten.«

»Hättet Ihr es unterlassen, wenn Ihr gewußt hättet, daß Siegfried mit uns im Bunde ist?«

»Nicht, wenn ich gewußt hätte, was er ist«, antwortete Lüdeger. Seine Stimme bebte. »Ihr...«

»Ihr seid verbittert, Lüdeger«, fiel ihm Dankwart ins Wort »Ihr seid gefangen und geschlagen, und Ihr braucht Zeit, beides zu verwinden. Warum greift Ihr Hagen an? Er ist nicht schuld an dem, was Euch und den Euren geschehen ist. Es war ein gerechter Kampf, und Ihr habt ihn verloren.«

»Gerecht?« Lüdeger schnaubte. »Wir waren euch drei zu eins überlegen.« »Eben«, sagte Ortwein, aber Lüdeger fuhr unbeeindruckt fort: »Nennt Ihr es gerecht, gegen einen Feind zu kämpfen, der mit dem Teufel im Bunde ist?«

»Ihr irrt, Lüdeger«, sagte Hagen steif.

»Das mag sein«, erwiderte der Sachse ungerührt. »Und Ihr irrt in der Wahl Eurer Verbündeten.«

»Überlegt Euch, was Ihr redet, Lüdeger«, sagte Dankwart drohend. »Siegfried von Xanten ist unser Freund.«

»Es gibt Männer, die man besser zum Feind hat als zum Freund«, antwortete Lüdeger ruhig. »Auch Ihr werdet das noch begreifen. Nur fürchte ich, daß es dann zu spät sein wird.« Er sah Dankwart voll Verachtung an, faßte seinen Bruder unter und wandte sich ab.

Hagen sah den beiden betroffen nach. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß in Worms mehr, weit mehr geschehen war, als er geahnt hatte. Fragend blickte er seinen Bruder an, aber Dankwart wich seinem Blick aus. »Was geht hier vor?« fragte Hagen. Sein Bruder antwortete nicht »Was geht hier vor, Ortwein? Was ist in Worms geschehen, was mir niemand sagen will?«

»Nichts, was wir nicht hätten voraussehen müssen«, sagte Ortwein. Er sprach nicht weiter, sondern senkte verlegen den Blick. Es war Dankwart der die Antwort gab. »Es ist Siegfried, Hagen.« Hagen hatte gewußt, daß das kommen würde.

»Siegfried«, bestätigte Ortwein. Hagen merkte, daß es kein Zufall war, wie Dankwart und sein Neffe einander abwechselten; ihm zu antworten. Nichts von allem, was geschehen war, seit sie das Haus verlassen hatten, war Zufall, nicht einmal die Begegnung mit dem Sachsen, obgleich sich Dankwart redliche Mühe gegeben hatte, es so aussehen zu lassen. Ortwein und er hatten ihn hierhergeführt, um ihm etwas zu zeigen und um ihm etwas zu sagen, und sie warfen sich dabei geschickt die Bälle zu. »Und was ist mit ihm?« fragte Hagen lauernd.

»Er stiehlt uns Worms«, antwortete sein Neffe. »Er nimmt es sich, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen. Noch ein Jahr, und er wird die Hand nach Gunthers Thron ausstrecken, und niemand wird es wagen, ihn daran zu hindern.«

Hagen starrte ihn an. Es waren seine eigenen Gedanken, die Ortwein aussprach. Er war ein Narr gewesen, zu glauben, daß nur er die Gefahr erkannte, die von dem Nibelungen ausging.

Und gleichzeitig erfüllten ihn Ortweins Worte mit Zorn; Zorn auf sich selbst, über ein Jahr geschwiegen und sich im Ernst eingebildet zu haben, der einzige in Worms zu sein, der sehen konnte l Warum hatte er nicht vor einem Jahr mit Dankwart und Ortwein hier gestanden und dieses Gespräch geführt? Alles wäre anders gekommen. Jetzt war es zu spät Gunther hatte die Entscheidung gefällt, und er würde sich ihm nicht widersetzen und auch nicht zulassen, daß es ein anderer tat. Auch wenn er hundertmal wußte, daß er unrecht hatte. »Und warum kommt ihr damit zu mir?« fragte Hagen. »Es muß etwas geschehen«, antwortete Ortwein. »Wir haben versucht, mit Gunther zu reden, aber er hört uns nicht einmal zu, obgleich er ganz genau spürt, was hier vorgeht« »Und ... die anderen?«

»Welche anderen?« fragte Dankwart zornig. »Es gibt nur uns, Hagen. Ortwein, mich - und dich. Du wirst in ganz Burgund keine fünfzig Männer finden, die Siegfried noch nicht ins Netz gegangen sind. Und die, die ihn nicht bewundern, haben Angst vor ihm.« »Und was wollt ihr tun?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Dankwart. »Wir ... hatten gehofft, daß du mit Gunther sprechen würdest. Wenn es einen Menschen gibt, auf den er hört, dann auf dich.« Hagen schüttelte traurig den Kopf. »Das kann ich nicht.« Dankwart sah ihn enttäuscht an. »Kannst du es nicht, oder willst du nicht?«

»Beides«, erwiderte Hagen. »Ich kenne die Antwort, die er mir geben würde.«

»Dann bleibt uns nur noch eine Wahl«, murmelte Ortwein. »Siegfried zu töten?« Hagen lachte bitter. »Das wiederum könnt ihr nicht Niemand ist diesem Mann gewachsen.«

»Er ist nicht unverwundbar«, antwortete Ortwein zornig. »Und sein Zauberschwert schützt ihn nicht vor Gift oder einem Pfeil aus dem Hinterhalt.«

»Mord?« fragte Hagen stirnrunzelnd. »Ihr würdet ihn meuchlings ermorden?«

»Wenn es die einzige Möglichkeit ist, Burgund zu retten, ja«, antwortete Ortwein entschlossen. Ich bin es, der diese Worte sprechen sollte, dachte Hagen. Nicht du. Warum tue ich es nicht? Es war gar nicht Ortwein, der da sprach. Er selbst, Hagen, sprach aus ihm, derjenige, der er noch vor einem Jahr gewesen war und den Ortwein zu ersetzen versuchte und es nicht konnte. Aber es gab diesen Hagen nicht mehr. »Du würdest es wirklich tun«, murmelte er.

Ortwein nickte. »Wüßte ich, daß ich Burgund damit rette, dann täte ich es noch heute.«

»Aber du würdest Burgund nicht retten«, antwortete Hagen düster. »Glaube mir, Ortwein. Du würdest alles nur noch schlimmer machen.« »Und was soll ich statt dessen tun?« schnaubte Ortwein. »Die Hände in den Schoß legen und warten, bis Siegfried auf Gunthers Thron sitzt?« »Nein«, antwortete Hagen. »Das gewiß nicht. Aber es gibt noch eine dritte Lösung, außer Verrat oder Feigheit« »Und welche?« fragte Dankwart Hagen antwortete nicht gleich. Sein Blick tastete über die grauen Mauern des Hofes, aber er sah etwas anderes. Er wußte jetzt, was er tun würde. Die Lösung war so einfach, daß er sich für einen Moment fragte, warum er nicht schon vor einem Jahr darauf gekommen war. Damals, als er Volker dabei überrascht hatte, Kriemhild die Geschichte des Nibelungen zu erzählen. »Wartet ab«, sagte er leise, aber mit solcher Entschlossenheit, daß weder Ortwein noch Dankwart es wagten, weiter in ihn zu dringen. »Unternehmt nichts und wartet ab«, fügte er mit Nachdruck hinzu. »Nur eine Woche noch.«