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Obwohl noch eine Stunde vergehen würde, bis die Sonne sank und die Schatten der Nacht durch die Fenster hereinkrochen, brannten in den geschmiedeten Haltern längs der Wände bereits die Fackeln. Vom Hof her drangen die Geräusche des Festes herein: das Lachen der Feiernden, das Lärmen der Gaukler und Faxenmacher, das Schlagen von Lauten und das helle Klingeln der Zimbeln, darunter - leiser und wie eine Begleitmelodie, die dem Fest unterlegt war - das Raunen der Menge, die unten in der Stadt außerhalb der Burgmauern ihr eigenes Fest feierte. Hagen führte bedächtig den Becher an die Lippen, tat so, als würde er trinken, und setzte das Gefäß ebenso bedächtig wieder ab, genau auf den dünnen dunklen Kranz, den sein feuchter Becher auf das Holz des Tisches gemalt hatte. Er mußte vorsichtig sein: Wie Radolt ihm prophezeit hatte, reagierte sein von Krankheit und zu langem Liegen geschwächter Körper über die Maßen auf Alkohol; er begann bereits die Wirkung des Weines zu spüren, obgleich er kaum zwei Becher getrunken hatte, und wenn er den Kopf zu schnell bewegte, dann machte sich hinter seiner Stirn ein sanftes, nicht einmal unangenehmes Schwindelgefühl bemerkbar. Hagen brauchte einen klaren Kopf, gerade heute, und so hatte er dem Mundschenk zugeraunt, ihm für den Rest des Abends nur noch Wasser einzuschenken, aber es war schal und warm geworden, und so zog er es vor, gar nichts zu trinken.

Der Thronsaal von Worms, sonst durch seine Größe und Weitläufigkeit dazu angetan, dem einzelnen unvorbereiteten Besucher das Gefühl zu vermitteln, sehr klein und unbedeutend zu sein, schien heute nicht groß genug, all die Gäste zu fassen. Die Tafel, an der Gunther und sein Hofstaat normalerweise zu speisen oder zu beraten pflegten, war von ihrem Platz unter den hofseitigen Fenstern ans Kopfende eines gewaltigen Hufeisens aus Tischen gestellt worden, an denen sich eine kaum zu überschauende Zahl von Männern und Frauen drängte. Gunther hatte zu diesem Essen nur die Edelsten der Edlen geladen, trotzdem schienen die Tafelnden den rechteckigen Saal zu sprengen. Es mußten weit über zweihundert sein, schätzte Hagen. In Wahrheit interessierte es ihn nicht, so wenig wie das Fest selbst und die Gespräche, in die man ihn zu verwickeln versuchte, ehe man begriff, daß er nichts anderes wollte als dasitzen und schweigen, während rings um ihn die Stimmung höher schäumte, im gleichen Maße, in dem die Diener neuen Wein und neue Speisen herbeibrachten.

Hagen fühlte sich nicht wohl. Sein Rücken schmerzte vom langen, ungewohnten Stehen unten auf dem Münsterplatz, und sein Schädel dröhnte vom Lärm, der ihn umgab. Nicht einmal die Narren, die gleich im Dutzend zwischen den Tischreihen umherliefen, ihre Kunststücke zum besten gaben oder die geladenen Gäste der Reihe nach zur Zielscheibe ihrer rauhen Scherze erkoren, vermochten ihn aufzuheitern. Gunther hatte auf seinem Thron, der eiligst wieder vom Münsterplatz heraufgeschafft worden war, in der Mitte des quergestellten Tisches Platz genommen, flankiert von seinen beiden Brüdern, neben denen Ute und Kriemhild saßen - links von ihm Gernot und die Königinmutter, rechts sein jüngerer Bruder und neben diesem Kriemhild, unverschleiert und in einem prächtigeren, der Gelegenheit angemesseneren Kleid als anläßlich der Messe. Ihr Haar fiel, nur durch einen schmalen goldenen Kamm gehalten, in lockeren Wellen bis auf ihre Schultern hinab, und Hagen blieben die teils bewundernden, teils begehrlichen Blicke, die Kriemhild mehr oder weniger offen trafen, nicht verborgen. Sie war zweifellos die Schönste von allen, obgleich so manche unter den Königinnen und Edelfräulein im Saal in dem Ruf standen, große Schönheiten zu sein. Um einige von ihnen waren Kriege geführt worden, und es war nicht nur einer der anwesenden Könige und Edlen, dessen Reich in Wahrheit von seiner Frau regiert wurde. Trotzdem war keine unter ihnen, die Kriemhild an Liebreiz und Anmut auch nur annähernd gleichkam; nicht einmal ihre eigene Mutter, obwohl Hagen sie noch immer so sah, wie sie vor zwanzig Jahren gewesen war.

Sein Blick ging weiter zu Siegfried, der am äußersten Ende von Gunthers Ehrentisch saß und vor guter Laune und Lebensfreude geradezu überzuquellen schien. In seiner Nähe war das Lachen am lautesten, und die Knechte kamen kaum nach, die Krüge neu zu füllen und immer noch mehr Fleisch herbeizuschaffen. Das einzige, was den Eindruck ungezwungener Fröhlichkeit ein wenig störte, dachte Hagen spöttisch, waren die beiden schweigenden Riesen aus Siegfrieds Leibgarde, die hinter seinem Stuhl wie versteinerte Statuen Aufstellung genommen hatten. Hagen lehnte sich zurück, schloß für kurze Zeit sein eines Auge und schob mit der Linken seinen Waffengurt zurecht; er trug jetzt wieder sein Schwert. Er hatte bewußt darauf verzichtet, an Gunthers Tafel Platz zu nehmen, wie es ihm zugekommen wäre; ebenso wie Dankwart, Ortwein und ein gutes Dutzend weiterer, sorgsam ausgewählter Männer, die nur scheinbar zufällig verstreut inmitten der Menge saßen und sich wie Hagen beim Wein und Met zurückhielten. Es war ungewiß, wie Siegfried reagieren würde, wenn Gunther ihm die Antwort auf die Frage gab, die er bald stellen würde.

Hagen verspürte keinerlei Unruhe oder Ungeduld. Er sehnte den entscheidenden Augenblick und das Ende des Festes herbei, das wohl; trotzdem war er von einer Ruhe erfüllt, die ihn selbst fast erschreckte, vergleichbar nur mit der Ruhe, bevor er in einen Kampf zog. Und es war auch ein Kampf, der ihnen bevorstand. Nur würde er mit Waffen geführt werden, auf die Siegfried nicht vorbereitet war.

Eine Bewegung am Tisch ließ ihn aufsehen. Eine kleine, in einen roten Umhang gehüllte Gestalt stand vor ihm und sah ihn unter der tief in die Stirn gezogenen Kapuze hervor an. Im ersten Moment glaubte er einen der Hofnarren vor sich zu haben und wollte ihn wegscheuchen. Aber dann erkannte er Alberich.

Hagens Miene verdüsterte sich. Er hatte den Alben seit jenem häßlichen Gespräch oben in Kriemhilds Kemenate nicht mehr gesehen, und er hatte gehofft, daß es dabei bleiben würde, bis das Fest vorüber war und er Worms verließ. Der Zwerg blickte ihn mit einer Mischung aus Herausforderung und hämischer Schadenfreude an und wartete offensichtlich darauf, daß Hagen etwas sagte. Als er es nicht tat, griff er nach Hagens Becher, nahm einen Schluck, verzog das Gesicht und stellte ihn wieder zurück. »Euer Wein ist sehr schwach, Hagen von Tronje«, sagte er. Seine Augen glitzerten. »So wie der Eures Bruders und Eures hitzköpfigen Neffen.« Hagen schwieg noch immer. Alberich starrte ihn eine Sekunde lang durchdringend an, zuckte mit den Achseln und stemmte sich ächzend auf den Tisch hinauf. Ein paar Gesichter wandten sich ihnen zu, lachten, als sie die kleine Gestalt erblickten, die sie wie Hagen zuvor für einen Narren hielten, und Alberich stolzierte keck über den Tisch und sprang auf der anderen Seite wieder zu Boden.

»Haltet Ihr es für nötig, einen klaren Kopf zu behalten?« fragte Alberich. Hagen ignorierte ihn. Alberich schwang sich kurzerhand auf die Armlehne des Sessels und ließ die Beine baumeln. Hagen verlagerte sein Gewicht und versuchte den Zwerg mit der Schulter herunterzustoßen, aber es gelang ihm nicht. Alberich kicherte. »Nicht doch, Hagen«, sagte er. »So leicht wird man einen Alb nicht los.« Sein Gesicht befand sich jetzt auf gleicher Höhe mit dem Hagens, und er sprach so leise, daß niemand außer Hagen seine Worte verstehen konnte. »Habt Ihr Euch entschieden, welchem Eurer Freunde Ihr heldenhaft den Dolch ins Herz stoßen werdet?« fragte er boshaft. »Oder ist Euch ein Meisterstreich eingefallen?« »Vielleicht«, antwortete Hagen, ohne Alberich anzusehen. »Einer, mit dem Ihr sie beide ins Unglück stoßt?« Hagen fuhr verärgert herum. Der Mann zu seiner Rechten blickte fragend herüber und wandte dann hastig den Blick »Was willst du?« fragte Hagen. »Geh zu deinem Herrn, wo du hingehörst. Seine Stiefel sind schmutzig. Du könntest sie sauberlecken.« Wie immer, wenn er es darauf angelegt hatte, Alberich zu beleidigen, schien sich der Zwerg umso mehr zu amüsieren. »Da war ich bereits, Hagen«, sagte er. »Er schickt mich zu Euch.« »Tut er das?«