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In Siegfrieds Augen trat ein mißtrauisches Glitzern, und einen Moment lang fürchtete Hagen, Gunther könnte den Bogen überspannt haben. Aber dann lächelte Siegfried.

»Ihr habt recht vernommen, Gunther von Burgund«, sagte der Xantener. »Ich brauche Euer Gold und Euer Silber nicht, denn ich besitze mehr davon, als ich jemals ausgeben könnte, und ich brauche Euer halbes Reich und den Platz zu Eurer Rechten nicht, denn ich habe bereits den Platz in Eurem Herzen, so wie Ihr in meinem. Und doch gibt es etwas, was mein Herz begehrt und was nur Ihr mir gewähren könnt.« Sein Blick suchte den Kriemhilds, und als er weitersprach, klang seine Stimme noch sicherer als zuvor. »Ich kam hierher an den Rhein, weil mich die Mär von Eurer Kraft und Klugheit erreichte, doch ich fand einen weit größeren Schatz in den Mauern Eurer Burg, Gunther. Ich fand Eure Schwester, und seit ich ihr Antlitz zum ersten Male sah, gehört mein Herz ihr.« Er straffte sich. »Laßt uns unsere Reiche vereinen und stark und mächtig werden, und laßt uns dieses Bündnis mit den stärksten Banden besiegeln, die es gibt: denen der Liebe. Ich bitte Euch um die Hand Eurer Schwester Kriemhild, Gunther von Burgund«, sagte er. Niemand im Saal war ehrlich überrascht. Es war keiner hier, der nicht auch am Nachmittag auf dem Münsterplatz gewesen wäre, und kaum einer, der nicht schon vorher gewußt hätte, aus welchem Grunde Siegfried über ein Jahr in Worms weilte. Und trotzdem war es nach seinen Worten totenstill. Jeder wartete gespannt auf Gunthers Antwort. »Die Hand meiner Schwester«, wiederholte Gunther, und etwas in seiner Stimme schien Siegfried endgültig zu warnen. Seine Haltung versteifte sich, und das Lächeln auf seinem Gesicht vermochte jetzt nur noch die zu täuschen, die ihn nicht kannten.

»Ihr seid ... nicht unbescheiden, Siegfried«, fuhr Gunther fort. Er sprach ruhig und betonte jedes Wort, und er ließ Siegfried keinen Moment dabei aus den Augen. »Ich biete Euch mein halbes Reich, und Ihr fordert, woran mein ganzes Herz hängt und wofür ich selbst mein Leben gäbe, um es zu schützen, falls es nötig wäre - das Glück meiner Schwester.« Er schwieg. Ihre Blicke kreuzten sich, und nicht nur der Xantener sah mit Staunen, daß Gunther seinem Blick standhielt, und zwar lächelnd. »Doch wie kann ich Euch etwas verwehren, was Euch längst gehört, mein Freund«, fuhr Gunther fort »Man müßte blind sein, um nicht zu sehen, daß Kriemhild für Euch ebenso empfindet wie Ihr für sie, und man müßte ein Narr sein, wollte man behaupten, daß es irgendwo auf der Welt einen Mann gäbe, der sie glücklicher machen könnte als Ihr.« »So ... seid Ihr einverstanden?« fragte Siegfried. Gunther nickte. »Ich bin es«, sagte er. Siegfried entspannte sich, und zugleich wich auch von den Zuhörern die Spannung. Ein erleichtertes Aufatmen ging durch den Saal. »Ich bin es, Siegfried, und könnte ich der Stimme meines Herzens folgen, so würde ich Euch noch heute zum Traualtar geleiten und den Bund besiegeln.« Er senkte die Stimme. »Aber ich bin der König dieses Landes, und es gibt Gesetze, denen sich selbst Könige beugen müssen. So wisset denn, Siegfried von Xanten, daß uralte Regeln unseres Geschlechtes die Heirat eines Mitgliedes der Familie verbieten, solange der König selbst noch nicht vermählt und die Thronfolge gesichert ist.«

Siegfrieds Kiefer preßten sich kurz und heftig aufeinander, als würde er etwas mit den Zähnen zermalmen, aber Gunther sprach weiter, ehe Siegfried Gelegenheit zu einer Entgegnung fand. »Und doch braucht Ihr den Mut nicht sinken zu lassen, mein Freund«, sagte er, »denn auch ich trage mich schon seit Jahresfrist mit Heiratsplänen. Bisher haben mich die Geschicke des Reiches und die Pflichten meiner Königswürde gehindert, die Pläne in die Tat umzusetzen.« Er lächelte. »Es gibt eine Frau, nach der mein Herz schon lange begehrt. Seid mein Brautwerber und helft mir, ihre liebe zu erringen, Siegfried, und Ihr und ich werden gemeinsam vor den Altar treten und den Bund besiegeln, Ihr mit Kriemhild, ich mit der Frau, der mein Herz gehört wie das Eure meiner Schwester.« »So soll es geschehen, mein König«, sagte Siegfried. »Nennt mir den Namen der edlen Dame, um die ich für Euch werben soll, und ich werde bis ans Ende der Welt reiten, sollte es nötig sein.« Gunther lächelte. »Ihr Name«, sagte er, »ist Brunhild.« Die Wirkung, die Gunthers Worte auf Siegfried erzielten, war unbeschreiblich. Der Anblick entschädigte Hagen für jeden Moment des Zornes und der Schmach, den er Siegfried zu verdanken hatte. Das Lächeln auf den Zügen des Xanteners erstarrte zu einer Grimasse, hinter der sich zuerst Schrecken, dann Unglauben und eine immer stärker werdende Wut verbargen. Und schließlich Entsetzen. Hagen war überrascht, es zu sehen, denn er hatte nicht geglaubt, daß Siegfried einer solchen Empfindung überhaupt fähig war. Aber es war blankes Entsetzen, ein Ausdruck von Furcht, die den Nibelungen in Bruchteilen von Sekunden überwältigte und selbst seinen Zorn erstickte. Im Augenblick seines größten Triumphes, und vor aller Augen, lernte er das Gefühl der Niederlage kennen, die namenlose Enttäuschung, einen Fingerbreit vor dem Ziel aller Wünsche plötzlich vor dem Nichts zu stehen. Geschlagen zu sein, endgültig und unwiderruflich. Gunther hatte ihm mit offener Hand dargeboten, was er jemals erstrebt hatte, aber im Moment, als Siegfried zugreifen wollte, hatte Gunther die Hand geschlossen; zu einer Faust, die nicht einmal Siegfrieds Götterkräfte aufzubrechen imstande waren. Hagen beobachtete die Reaktionen auf den Gesichtern der anderen. Giselher wirkte bestürzt, er schien sich nur mit Mühe zu beherrschen, um nicht aufzufahren und seinen Bruder vor aller Ohren einen Narren zu nennen, während Gernot stirnrunzelnd in Hagens Richtung blickte. Er mochte von allen am ehesten vermuten, wessen Idee es gewesen war, und warum. Kriemhild - nun, Kriemhild hatte wohl noch gar nicht begriffen, was Gunthers Worte in ihrem vollen Umfang bedeuteten. Sie schien überrascht, vielleicht ein bißchen verstört, das war alles. Um Utes Lippen zuckte ein mühsam unterdrücktes Lächeln. Sie wirkte erleichtert was Hagen ein wenig verwunderte. Er wich ihrem Blick aus und sah wieder zu Siegfried und Gunther hinüber.

Lange, endlos lange, wie es schien, standen sich die beiden Männer gegenüber und blickten sich an, und am Ende war es Siegfried, der den Blick senkte. »Brunhild«, sagte er.

Gunther nickte. »Die letzte der Walküren. Sie ist es, der mein Herz gehört. Ich habe geschworen, sie zum Weibe zu nehmen - sie oder keine -, und wer wäre besser geeignet als Ihr, Freund Siegfried, an meiner Seite zu reiten, wenn ich um sie freie?«

Siegfried machte keinen Versuch, ihn umzustimmen. Es war etwas in Gunthers Stimme, was ihn die Sinnlosigkeit jedes wie auch immer gearteten Einwandes erkennen ließ. Er neigte den Kopf, lächelte noch einmal gezwungen in die Runde und ließ sich ohne ein weiteres Wort auf seinen Platz sinken. Gunther selbst blieb noch einen Moment stehen, ehe er sich ebenfalls setzte und nach seinem Becher griff, um seine trocken gewordenen Lippen zu benetzen. Das Fest nahm äußerlich seinen Fortgang, als wäre nichts geschehen.

»Ich glaube, es ist an der Zeit, mich bei Euch zu entschuldigen, Hagen«, wisperte eine Stimme an Hagens Ohr. Hagen wandte unwillig den Kopf und starrte in Alberichs zerfurchtes Gesicht Es war häßlich wie immer, doch Hagen meinte zum ersten Mal ein ehrlich gemeintes Gefühl in seinen Augen zu lesen. Doch er war sich nicht sicher, daß er das überhaupt wollte.

»Schweig!« zischte er. »Du weißt nicht, was du redest.« Alberich kicherte. »O doch, Hagen, o doch«, flüsterte er. »Ihr wollt mir doch nicht einreden, daß das Gunthers Idee war.« Er lachte ein wenig lauter, krümmte sich auf der Sitzlehne und schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. Ein paar mißbilligende Blicke trafen ihn, und selbst Siegfried sah kurz auf und starrte ärgerlich zu dem Zwerg hinüber, aber Alberichs Erheiterung nahm dadurch eher noch zu. »Das ist genial!« kicherte er. »Genial, genial, genial!«