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»Zumindest hat er sich unter diesem Vorwand bei Brunhild entschuldigen lassen«, erklärte Hagen. »Oder, um genau zu sein - das ist es, was er Gunther erzählt hat.«

»Und was ist der wahre Grund?« bohrte Dankwart weiter. Hagen senkte die Stimme noch mehr. »Er bewacht das Schiff«, flüsterte er. »Es könnte sein, daß wir einen Weg brauchen, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.«

Dankwart gab einen Laut von sich, der wie ein heiseres Zischen klang. »Du meinst, sie würden uns angreifen?« »Wenn Gunther siegt...«

»Das glaubst du doch selbst nicht«, flüsterte Dankwart und deutete vielsagend in die Runde. Hagen antwortete nicht, sondern hob nur die Schultern. Er konnte seinem Bruder sein Mißtrauen nicht verübeln.

Dankwart ließ nicht locker. »Was soll dieser Unsinn?« fragte er zornig. »Was hat Siegfrieds Fehlen wirklich zu bedeuten?« Der Gong, der nun zum zweitenmal ertönte, enthob Hagen der Antwort. Eine in ein blitzendes rotgoldenes Gewand gekleidete Gestalt trat aus dem Tor im Fels, blieb dicht vor dem rotglühenden Krater stehen und hob ein mächtigtes Schwert.

»Brunhild!« Ihre Stimme drang überraschend laut und schallend von unten herauf. »Die letzte der Walküren, Beherrscherin des Isensteines und Königin von Island!«

Hagen hatte Hochrufe erwartet oder irgendeine andere Form der Begrüßung - aber nichts dergleichen geschah. Ganz im Gegenteil senkte sich eine tiefe, atemlose Stille über den steinernen Kessel, als Brunhild jetzt aus dem Tor trat. Sie war sehr einfach gekleidet: ein schwarzes Kettenhemd, dessen Glieder so fein waren, daß es wie Seide an ihrem Körper anlag, Hosen axis dem gleichen Geflecht, Stiefel und Schild, beides in sehr einfacher Ausführung. In ihrem Gürtel blitzte der Knauf eines erstaunlich zierlichen Schwertes. Als einziges sichtbares Zeichen ihrer Königswürde trug sie einen mächtigen, seltsam geformten Helm aus goldfarbenem Metall, der in zwei gewaltigen Adlerschwingen endete. »Gunther kommt«, sagte Dankwart.

Hagen nickte. Auch er hatte die zweite Gestalt bemerkt, die nun hinter Brunhild erschien und im Schatten des Tores verharrte. Dennoch konnte Hagen bereits erkennen, daß die Verkleidung täuschend gelungen war und einer perfekten Tarnung gleichkam. Äußerlich mochte man tatsächlich meinen, Gunther vor sich zu haben. Siegfried - als Gunther getarnt - blieb im Tor stehen, bis Brunhild sich schließlich umwandte und ihn mit einer ungeduldigen Geste heranwinkte.

Im Gegensatz zu Brunhild war Gunther - Siegfried - in schimmernde Seide und schweren Brokat gekleidet, behangen mit den Zeichen seiner Königswürde und den Umhang im blutigen Rot Burgunds um die Schultern. Hagen spürte eine Woge heißen Zorns in sich aufsteigen. Siegfried hatte diesen lächerlichen - und im Kampf nur störenden - Aufzug aus gutem Grund gewählt Wahrscheinlich hätte Gunther selbst der Versuchung, sich derart herauszuputzen, nicht widerstanden. Trotzdem erschien es Hagen wie eine böse Verhöhnung Gunthers. »Gunther von Burgund«, begann Brunhild, »Ihr seid von den Ufern des fernen Rheines hierhergekommen, um meine Hand anzuhalten.« Ihre Stimme klang ebenso laut und schallend von unten herauf wie die der Kriegerin zuvor. Es war eine Eigentümlichkeit des Kraters, der ihre Stimmen wie durch einen Trichter verstärkte. »Ihr kennt die Bedingung, die die Götter jenen gestellt haben, die mich zum Weibe wollen«, fuhr Brunhild fort.

Gunther - Siegfried - nickte. Sein Gesicht war völlig hinter dem heruntergelassenen Visier seines Helmes verborgen, und Hagen wußte, daß er nicht sprechen würde. Niemand, der Gunther einmal hatte sprechen hören, würde die metallische Stimme Siegfrieds für Gunthers sanfte, dunkle Stimme halten.

»Ich frage Euch noch einmal, Gunther von Burgund«, sagte Brunhild, »ob Ihr bereit seid, Eure Kräfte im ritterlichen Kampf mit den meinen zu messen. Bedenkt Eure Antwort wohl, denn Ihr habt keine Schonung zu erwarten, nur weil ich eine Frau bin.«

Siegfried in Gunthers Maske nickte abermals, und Brunhild ließ sich mit einer herrischen Geste von einer ihrer Kriegerinnen ihren Speer reichen. Dankwart trat unwillkürlich einen Schritt vor. Sein Atem ging schnell, und Hagen sah, wie seine Rechte in einer unbewußten Bewegung dorthin glitt, wo normalerweise das vertraute Gewicht des Schwertes an seinem Gürtel zerrte. Auch Hagen spürte eine immer stärker werdende Unruhe. Brunhild hob den Speer.

Ihr Wurf kam so schnell, daß Hagen ihn kaum sah, ein plötzliches Heben und Strecken von Arm und Schulter, als schleudere sie einen dünnen Weidenzweig statt eines zentnerschweren Speeres aus Eichenholz. Wie ein finsterer Blitz flog der Speer aus ihrer Hand, erhob sich in einem unglaublich hohen Bogen weit über das glühende Herz des Isensteines und senkte sich am jenseitigen Rande des Kraters wieder hinab. So ungeheuer war die Wucht des Speerwurfes, daß Klinge und Schaft der Waffe zerbrachen, als sie auf die schwarze Lava prallten. »Bei Odin!« entfuhr es Dankwart. »Was für ein Wurf! Gunther ist verloren!«

Hagen hob ärgerlich die Hand. »Still!«

Gebannt starrte er in den Krater hinab. Siegfried hatte sich nicht gerührt, ja nicht einmal den Kopf gehoben, um den Flug der Waffe zu verfolgen, und auch jetzt zögerte er noch eine geraume Weile, ehe er sich - betont langsam und bedächtig - umwandte, Schild und Speer gegen die Wand lehnte und den Mantel von der Schulter gleiten ließ, ehe er den Wurfspeer wieder aufnahm. Für die Dauer eines Herzschlages stand er, die Waffe in Schulterhöhe erhoben, dann machte er eine leichte, federnde Bewegung, lief an Brunhild vorbei bis an den Rand des Schachtes und schleuderte seinen Speer. Diesmal war Dankwart nicht der einzige, der überrascht aufschrie. Ein vielstimmiges, ungläubiges Seufzen lief durch die Reihen der Kriegerinnen, als der Speer, ungleich kraftvoller geschleudert als der Brunhilds, hoch über den Krater hinwegflog und weit hinter dem der Walküre zersplitterte. Brunhild stand einen Moment wie versteinert, dann hob sie in einer befehlenden Geste die Hand, und augenblicklich senkte sich wieder Schweigen über die Halle. »Ein guter Wurf, Gunther von Burgund«, sagte sie. »Zeigt, ob Euer Pfeil so treffsicher ist wie Euer Speer.«

Abermals hob sie die Hand, und aus dem Schatten des Felsentores traten zwei Kriegerinnen hervor, mit je einem Pfeil und Bogen, die sie Gunther und der Walküre reichten. Gleichzeitig wurden auf der anderen Seite des Kraters zwei große, aus Schilfrohr geflochtene Zielscheiben aufgestellt Dankwart zog hörbar die Luft ein. »Das ist das Ende«, murmelte er. »Und warum?« fragte Hagen.

»Hast du vergessen, daß Gunther noch nie ein guter Bogenschütze gewesen ist? Er wird nicht einmal die Scheibe treffen.« »Vielleicht hat er dazugelernt«, sagte Hagen. »Er hatte ein Jahr Zeit zu üben.« Dankwart runzelte die Stirn, antwortete aber nicht mehr, sondern verfolgte gebannt das weitere Geschehen am Fuße des Kraters. Auch diesmal begann Brunhild. Sie hob den Bogen, suchte mit leicht gespreizten Beinen Halt und ließ den Pfeil fliegen, scheinbar ohne zu zielen. Der Pfeil flirrte und schlug mit schmetterndem Knall in die Scheibe ein. Hagen war nicht überrascht, als das Geschoß zitternd höchstens zwei Fingerbreit von der Mitte der Zielscheibe zur Ruhe kam. Nun hob Siegfried seinen Bogen. Er zielte länger und sorgfältiger als Brunhild, und Hagen sah, daß er die Sehne so weit spannte, daß sie schier zu zerreißen drohte. Dann ließ er den Pfeil fliegen. Wie der Pfeil Brunhilds schien er für einen winzigen Moment zu verschwinden und dann am gegenüberliegenden Rand des Kraters wieder aufzutauchen, ehe er die Zielscheibe traf.

Das dreibeinige Holzgestell fiel um. Siegfrieds Pfeil, mit ungeheurer Wucht abgeschossen, durchschlug die Bastscheibe bis an sein gefiedertes Ende und brach ab. Hagen konnte trotz der großen Entfernung deutlich erkennen, daß Siegfrieds Geschoß die Mitte der Scheibe nicht einmal um Fingerbreite verfehlt hatte.