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Tatsächlich zog Siegfried sein Schwert zurück; aber nur eine Handbreit, dicht genug, um sofort zustoßen zu können, wenn es nötig war. Brunhild stand langsam auf. Ihre Bewegungen waren kraftlos, und als sie versuchte, sich auf den rechten Arm zu stützen, knickte er unter dem Gewicht ihres Körpers ein; sie schrie auf und preßte den Arm mit schmerzverzerrtem Gesicht an sich. Zwei ihrer Kriegerinnen sprangen herbei und wollten ihr helfen, aber Brunhild schüttelte abwehrend den Kopf. Taumelnd, aber aus eigener Kraft, kam sie in die Höhe, die Hand gegen die blutende Wunde an ihrem Hals gepreßt, trat auf Siegfried zu und starrte ihn an. Einen Augenblick lang hielt der Nibelunge ihrem Blick stand, dann senkte er endlich das Schwert, wandte sich mit einem plötzlichen Ruck um und schleuderte die Waffe ins lodernde Herz des Isensteines hinab.

»Ich danke Euch, Gunther von Burgund«, sagte Brunhild. »Mein Leben lag in Eurer Hand; Ihr habt es mir geschenkt. Nehmt nun meine Hand und mein Reich an seiner Stelle.«

Sie blickte Siegfried erwartungsvoll an, aber der Xantener schwieg. Er bewegte sich auch nicht, und nach einer Weile trat Brunhild einen Schritt zurück und hob beide Arme, obwohl, wie Hagen zweifelsfrei erkannt hatte, ihr Schildarm gebrochen war und unerträglich schmerzen mußte. Ihre Stimme klang ruhig und beherrscht, als sie sich nun an die Walkürenkriegerinnen wandte. »Senkt eure Waffen«, sagte sie, »Gunther von Burgund hat mich in ehrlichem Kampf besiegt, und er soll bekommen, worum er focht.« Ein Teil der Kriegerinnen steckte tatsächlich ihre Waffen weg; aber nicht alle. Fassungsloses Entsetzen hatte sich unter ihnen breitgemacht Für die Kriegerinnen in den goldenen Rüstungen war mehr verloren als ein Zweikampf. Es war das Ende eines Mythos, das Ende ihrer Welt. Ihre Herrin, Brunhild, die Unbesiegbare, war geschlagen, ihre Göttin gestürzt. Ihre durch ihre Masken getarnten Blicke, ihre drohenden Gebärden waren unmißverständlich. Hagen schauderte. »Nehmt eure Waffen fort«, forderte Brunhild noch einmal. »Ich beschwöre euch - besudelt diesen heiligen Boden nicht mit meuchlings vergossenem Blut!«

Und endlich verschwanden auch die letzten Speere und Klingen. Hagen atmete auf, als auch die Kriegerinnen in seiner und Dankwarts Nähe die Waffen senkten und zurücktraten. Aber es war eine trügerische Erleichterung. Die Spannung war keineswegs aus dem Saal gewichen. Noch stand jedermann unter dem Schock dessen, was er gesehen hatte, noch lahmte sie alle das Entsetzen. Aber das würde nicht mehr lange andauern.

»Ich danke euch, Gefährtinnen meiner Niederlage«, sagte Brunhild. Ihre Stimme zitterte leicht. Mit einer nicht mehr ganz sicheren Bewegung wandte sie sich abermals Siegfried zu und hob die unverletzte Rechte. »Und nun, Gunther von Burgund«, sagte sie, »legt Eure Rüstung ab ...« Die Stimme versagte ihr. Ein halblauter, seufzender Ton kam über ihre Lippen. Plötzlich taumelte sie, machte einen Schritt zur Seite und gab noch einmal dieses halblaute, schmerzerfüllte Seufzen von sich. Siegfried konnte gerade nach rechtzeitig hinzuspringen und sie auffangen, als sie zusammenbrach.

9

Brunhilds Ohnmacht war nur von kurzer Dauer, aber diese wenigen Augenblicke waren genug, die Halle der Prüfungen in ein Chaos zu verwandeln. Ein vielstimmiger, entsetzter Aufschrei ließ den Krater erzittern, und plötzlich strömten von überall her goldblitzende Gestalten auf die gestürzte Walküre zu.

Auch Hagen und sein Bruder waren zum Fuß des Kraters hinabgeeilt, aber schon auf halbem Weg von Brunhilds Kriegerinnen aufgehalten worden, die in Scharen aus dem Tor geströmt waren und einen geschlossenen Ring um ihre Herrin bildeten, Schilde und Speere drohend erhoben.

Hagen sah, wie eine der Kriegerinnen neben Brunhild niederkniete und die Hände nach ihr ausstreckte; gleichzeitig drängten zwei andere mit gekreuzten Speeren den Nibelungen zurück. Siegfried war klug genug, die Gefahr zu erkennen, die eine einzige unbedachte Bewegung in diesem Moment bedeutet hätte. Ohne Widerstand zu leisten, ließ er sich durch den Ring der Kriegerinnen hindurchstoßen - wich plötzlich einen Schrift zurück und tauchte in der Menge unter. Hagen versuchte vergeblich, ihm mit den Augen zu folgen. Jemand ergriff ihn unsanft am Ellbogen. Hagen riß mit einem wütenden Ruck seinen Arm los, fuhr herum und blickte in das ausdruckslose Goldgesicht einer Walkürenkriegerin. Die Geste, mit der sie erst auf ihn, dann auf seinen Bruder und schließlich auf den Ausgang deutete, war befehlend.

»Besser, wir gehorchen und verschwinden von hier«, raunte Hagen seinem Bruder zu. Dankwart wollte widersprechen, aber das warnende Funkeln in Hagens Blick belehrte ihn eines Besseren. Mit einem Nicken wandte er sich um und wartete, bis die beiden Kriegerinnen Hagen und ihn in die Mitte genommen hatten und aus der Halle führten. Es wurde ein Spießrutenlauf. Jetzt, da das erste Entsetzen über Brunhilds Niederlage abzuklingen begann, machte sich Wut wie eine schäumende Woge in der Halle breit. Die Blicke, die Hagen auffing, waren drohend; die Gesichter, die seinem Bruder und ihm folgten, verzerrt vor Haß. Hagen war sicher, daß sie die Halle ohne den Schutz der beiden Kriegerinnen nicht lebend verlassen hätten.

Ihre beiden Begleiterinnen winkten ihnen weiterzugehen, und Hagen und Dankwart beeilten sich, dem Befehl zu folgen. Im Laufschritt durchquerten sie die Halle, stürmten durch das Tor und den kurzen, halbrunden Tunnel aus schwarzer Lava, der sich daran anschloß, ehe die beiden Frauen - noch immer besorgt, aber doch mit deutlicher Erleichterung - in ein normales Tempo zurückfielen.

Dankwart blickte zornig über die Schulter zurück. »Ist das Brunhilds Art, ihr Wort zu halten?«

»Was erwartest du?« fragte Hagen gleichmütig. »Wir haben eine Königin geschlagen.«

»Nicht wir«, sagte Dankwart. »Sieg...«

»Gunther«, fiel ihm Hagen erschrocken ins Wort. »Gunther wolltest du sagen, nicht wahr? Aber das bleibt sich gleich. Wenn sie ihn töten, töten sie auch uns.« Er warf seinem Bruder einen beschwörenden Blick zu, und Dankwart begriff. Verlegen senkte er den Blick.

Die beiden Kriegerinnen führten sie durch ein Labyrinth finsterer, nur von spärlichen blakenden Fackeln erhellter Gänge zurück in den Teil des Isensteines, in dem sie untergebracht waren. Einmal - etwa auf halbem Weg - kam ihnen eine Gruppe anderer Kriegerinnen entgegen; ansonsten trafen sie auf kein lebendes Wesen. Der Isenstein schien wie ausgestorben.

Erst als sie ein Tor durchschritten und wieder in den sanft nach links gekrümmten Gang traten, in dem ihre Kammer lag, wurden die Fackeln zahlreicher, und gedämpfte Stimmen und andere Laute drangen an ihr Ohr. Trotzdem trafen sie auf niemanden mehr, bis sie ihre Kammer erreicht hatten.

Eine ihrer beiden Begleiterinnen öffnete die Tür und bedeutete ihnen mit strengen Gesten, hierzubleiben, bis sie geholt würden. Hagen nickte zum Zeichen seines Einverständnisses. Doch sobald er mit seinem Bruder allein war, preßte er das Ohr gegen das Holz der Tür, um zu lauschen. »Was tust du?« fragte Dankwart stirnrunzelnd.

Hagen gab ihm ein ärgerliches Zeichen, still zu sein. Die Tür war aus Eichenholz und so stark wie seine Hand, und alles, was er hörte, war das Klopfen seines eigenen Herzens. Dennoch gab er sich kurz darauf einen entschlossenen Ruck, nickte seinem Bruder auffordernd zu und schob den Riegel zurück. »Komm mit«, sagte er. Dankwart rührte sich nicht von der Stelle. »Wohin?« »Zu Gunther natürlich«, sagte Hagen ungeduldig. »Wohin sonst?« Er schob die Tür vorsichtig einen Spaltbreit auf und spähte auf den Gang hinaus. Nach kurzem Zögern öffnete er die Tür ganz und trat mit einem entschlossenen Schritt hinaus.

Der Gang war verlassen. Die beiden Kriegerinnen waren gegangen, und wie Hagen gehofft hatte, war keine Wache vor ihrer Tür zurückgeblieben. Dankwart schloß hastig - und lauter, als Hagen lieb war - die Tür hinter sich und folgte ihm.