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Bis zu Gunthers Gemach war es nicht weit, trotzdem schien Hagen der Weg eine Ewigkeit zu dauern. Sein Verstand sagte ihm, daß er sich wie ein Narr benahm. Man hatte ihm und Dankwart befohlen, in ihrer Kammer zu bleiben, aber was besagte das schon? Sie würden zurückgebracht werden, stießen sie auf eine Streife von Walkürenkriegerinnen - na und? Trotzdem hämmerte sein Herz zum Zerbersten, als sie endlich Gunthers Gemach erreicht hatten.

Er sah sich noch einmal nach beiden Seiten um und bedeutete Dankwart hinter ihn zu treten, ehe er anklopfte und - ohne eine Antwort abzuwarten - die Tür öffnete.

Gunther sprang bei ihrem Eintritt erschrocken von seinem Stuhl auf. Als er Hagen erkannte, eilte er ihm erleichtert entgegen. Sein Gesicht war eine Grimasse. Er war in Schweiß gebadet. Auf seiner Rechten waren blutige Kratzer zu sehen, die er sich vermutlich selbst beigebracht hatte, um eine Verletzung vorzutäuschen. Sein Atem ging schnell, als wäre er gerannt. Hagen konnte sich des Gedankens nicht erwehren, Gunther hätte sich vorsätzlich in einen Zustand der Erschöpfung und Atemlosigkeit gebracht für den Fall, daß ein Nichteingeweihter ihn nach dem Kampf aufsuchte. Alles, was Hagen bei Gunthers Anblick empfand, war ein Gefühl tiefer Verachtung.

»Was ist mit Brunhild?« fragte Gunther erregt. »Ich habe gehört, sie...« Er stockte und blickte erschrocken zu Dankwart, der hinter Hagen eingetreten war. »Sie ist verletzt«, fuhr er in verändertem, mühsam beherrschtem Tonfall fort »Man hat mich nicht zu ihr gelassen. Konntet Ihr sehen, ob es schlimm ist?«

»Nicht aus der Nähe«, antwortete Dankwart an Hagens Stelle. »Aber als wir die Halle der Prüfungen verließen, stand sie bereits wieder aus eigener Kraft.« Er lächelte vieldeutig. »Das konntet Ihr natürlich nicht sehen, mein König, denn Ihr hattet es ja eilig, mit Siegfried Platz zu tauschen.« Gunthers Augen wurden groß. »Ihr wißt...« Sein Blick ging zu Hagen. »Du hast es ihm verraten!« sagte er vorwurfsvoll. »Das war nicht nötig«, lenkte Dankwart ab. »Selbst ein Blinder hätte gemerkt, daß nicht Ihr es wart, gegen den Brunhild gekämpft hat« »Schweig endlich!« sagte Hagen wütend. Gunther hob besänftigend die Hand. »Laßt ihn, Hagen«, sagte er. »Dankwart soll reden.« Und zu Dankwart gewandt: »Was habt Ihr damit gemeint, selbst ein Blinder hätte gemerkt, mit wem Brunhild gekämpft hat?«

Dankwart zog trotzig die Brauen zusammen, aber sein Lächeln wirkte mit einemmal nicht mehr so sicher. »Verdacht habe ich bereits geschöpft, als er den Speer warf.« Er sah Gunther abbittend an. »Verzeiht mir, mein König, aber es war ein Wurf, wie ihn kaum ein Mann geschafft hätte.« »Und weiter?« drängte Gunther, als Dankwart verlegen schwieg. Dankwart nahm sich ein Herz und fuhr entschlossen fort. »Das Bogenschießen hat meinen Verdacht bekräftigt!« sagte er. »Doch ... spätestens der Zweikampf mußte auch dem letzten die Augen öffnen!« Er breitete in einer beschwörenden Geste die Arme aus. »Überlegt doch, Gunther - Siegfried hat mit einem einzigen Hieb Brunhilds Schild zerschlagen und ihren Arm gebrochen. Wir drei gemeinsam hätten das nicht geschafft!« »Und?« fragte Gunther mit rauher Stimme. »Was wollt Ihr damit sagen?« »Daß selbst der Dümmste den Betrug durchschauen muß!« erwiderte Dankwart erregt.

»Alberichs Zauber...« begann Gunther, doch Dankwart unterbrach ihn. »Unsinn!« rief er. »Vergeßt nicht, Siegfried ist schon einmal hiergewesen. Brunhild kennt ihn, seine Art, sich zu bewegen - und zweifellos auch zu kämpfen. Und auch...« Er zögerte. »... Auch Ihr seid kein Unbekannter in diesem Teil der Welt«, ergänzte er schließlich. »Sprich ruhig aus, was du denkst«, sagte Gunther ruhig. »Du wolltest sagen, daß Gunther von Burgund einen Vergleich mit Siegfried von Xanten nicht aushält.«

»Das ... das meine ich nicht«, verteidigte sich Dankwart. Er warf Hagen einen hilfesuchenden Blick zu, den dieser übersah, und starrte betreten zu Boden. »Wie konntet Ihr...«

Gunther ließ ihn nicht ausreden. »Ich weiß, was du sagen willst Wie konnte der König von Worms sich so tief erniedrigen? Du hast recht Ich habe mit diesem Betrug meine Ritterehre verwirkt Aber ich hatte keine andere Wahl. Es war der Preis für etwas, was noch wichtiger ist als meine Ehre. Der Frieden.«

Gunther lächelte und leerte seinen Becher. »Geht jetzt«, sagte er. »In einer Stunde erwartet uns Brunhild, und es gibt noch vieles, was ich bedenken muß.«

10

Der Thronsaal hatte sich verändert, seit Hagen ihn am Morgen das erstemal betreten hatte. Die schmucklose Kammer erstrahlte in prunkvollem Glanz, der selbst Hagen, den Dinge wie Gold und Geschmeide niemals beeindruckt hatten, für einen Moment erschauern ließ. Es waren nicht die goldenen Schilde und Waffen, die jetzt an den Wänden hingen, nicht die edelsteinbesetzten Harnische der beiden Kriegerinnen, die rechts und links des Thrones Aufstellung genommen hatten, oder die brokatenen Stickereien, die die nackten Lavawände verhüllten. Was ihn erschauern ließ, war die Fremdheit all dieser Dinge, deren Herkunft in einer versunkenen Zeit zu liegen schien. Der Raum war erfüllt vom Hauch dunkler, längst vergessener Magie.

Dankwart berührte Hagen an der Schulter, und der Zauber des Augenblicks zerbrach. Plötzlich waren die Schilde, die Speere und Schwerter an den Wänden wieder ganz normale Waffen, wenn auch aus selten kostbarem Metall gefertigt, die Wächterinnen zu beiden Seiten des Thrones nichts anderes als zwei kriegerische Gestalten.

Aber er wußte, daß es keine Einbildung gewesen war. Für einen Moment hatte er das Herz des Isensteines so gesehen, wie es wirklich war. »Da ist Alberich!« sagte Dankwart überrascht. Hagen war nicht weniger überrascht, als er Alberich im Gespräch mit Gunther sah. Es hätte ihn nicht verwundert, Siegfried hier zu erblicken; aber Alberich?

Er ging auf Gunther zu, murmelte einen Gruß und bedachte den Zwerg mit einem langen, mißbilligenden Blick.

Alberich kicherte. »Ihr seht nicht sehr glücklich aus, Hagen von Tronje«, sagte er mit seiner dünnen, meckernden Stimme. »Was bedrückt Euch? Ihr solltet zufrieden sein. Euer Freund« - er deutete mit einer Kopfbewegung auf Gunther - »hat das Unmögliche geschafft. Vom heutigen Tage an ist er nicht nur König von Burgund, sondern auch König von Island.« »Hagen ist in Sorge«, sagte Gunther. »Ich glaube, er traut Eurem Zauber nicht so recht, Alberich. Und sein Bruder noch weniger.« Um seine Lippen zuckte es, als unterdrücke er mit Mühe ein Lachen. »Ihr zweifelt an meinen Fähigkeiten?« Alberich schürzte beleidigt die Lippen. »Traut Ihr mir etwa nicht?« »Euch schon«, antwortete Hagen unwillig. Alberich seufzte. »Aber meinem Herrn nicht, ich verstehe. Doch Ihr könnt ganz beruhigt sein - ich gebe Euch mein Wort, daß jeder von Euch den Isenstein und dieses Land lebend verlassen und unbehelligt nach Worms zurückkehren wird.« • Hagen wollte antworten, aber in diesem Moment ertönte ein Gong. Brunhild kam. Anders als am Morgen, als Hagen sie zum erstenmal gesehen hatte, war sie nun wirklich wie eine Königin gekleidet; mit Zepter und Schwert und Krone und mit einem kostbaren, juwelenbesetzten Mantel um die Schultern. Begleitet wurde sie von einem Dutzend ihrer Walkürenkriegerinnen.

Brunhild schritt hoheitsvoll zu ihrem Thron und ließ sich darauf nieder, während ihr Gefolge eine Ehrengasse bildete. Hagen glaubte die Feindseligkeit, die sich im Raum ausbreitete, wie einen üblen Geruch zu spüren. Als letzter, hinter den letzten beiden Kriegerinnen, betrat Siegfried den Saal. Seine Erscheinung überstrahlte alles. Den Prunk des Raumes und den der stolzesten, mit Gold und Edelsteinen geschmückten Walkürenkriegerinnen. Hätte Hagen über den Hergang des Kampfes nichts gewußt, es hätte des schimmernden Griffes des Balmung in Siegfrieds Gürtel nicht bedurft, um ihn erkennen zu lassen, daß es in Wahrheit Siegfried von Xanten war, der diesen Saal als Sieger betrat. Siegfried spürte wohl Hagens Blick, denn als er an ihm vorüberging, stockte einen Moment lang sein Schritt. Er sah Hagen an, und obgleich sein Gesicht vollkommen ausdruckslos blieb, blitzten seine Augen zornig. Dann, plötzlich, lächelte er. Mit diesem Lächeln auf den Lippen ging er weiter, um einen halben Schritt neben Brunhilds Thron stehenzubleiben, an der Spitze der goldschimmemden Reihe der Kriegerinnen, die die Walküre abschirmten. Hagen sah aus dem Augenwinkel, wie sich Gunthers Lippen zu einem dünnen Strich zusammenpreßten. Brunhild hob die Hand, und das Gemurmel im Saal verstummte. Hagen sah, daß Brunhild nur den rechten Arm bewegte; der andere lag schlaff auf der breiten Lehne des Thrones. »Gunther von Burgund«, begann Brunhild. »Tretet vor.« Gemessenen Schrittes trat Gunther vor Brunhilds Thron und senkte leicht - jedoch nicht demütig - das Haupt »Ihr seid an Unseren Hof gekommen«, fuhr Brunhild fort, »nach den alten Regeln um Uns zu werben. Ihr habt um Unsere Hand angehalten und Euch den Prüfungen gestellt, die die Götter dem auferlegt haben, der die letzte der Walküren nach Hause führen will, und Ihr habt diese Prüfungen bestanden. Nun nennt Euer Begehr. Unser Leben und Unser Reich gehören Euch.«