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Nun konnte er ungestört durch die Halle gehen. Zwei Tische weiter entdeckte er Ginny; sie saß da, mit dem Kopf an der Schulter ihrer Mutter: Sie würden später noch Zeit haben zu reden, Stunden und Tage und vielleicht Jahre Zeit. Er sah Neville, der das Schwert von Gryffindor neben seinem Teller liegen hatte, während er aß, inmitten einer Traube von glühenden Bewunderern. Er schritt den Gang zwischen den Tischen entlang, und sein Blick fiel auf die drei Malfoys, die sich eng aneinander drängten, als wären sie nicht sicher, ob sie hier erwünscht waren, aber niemand achtete auf sie. Wo immer er hinschaute, sah er wiedervereinte Familien, und endlich erblickte er die beiden, deren Gesellschaft er am meisten ersehnte.

»Ich bin's«, murmelte er und kauerte sich zwischen sie. »Kommt ihr mit?«

Sie standen sofort auf, und gemeinsam verließen er, Ron und Hermine die Große Halle. An der Marmortreppe fehlten große Stücke, Teile des Geländers waren weg, und als sie hinaufstiegen, stießen sie alle paar Schritte auf Trümmer und Blutflecken.

Irgendwo in der Ferne konnten sie Peeves durch die Korridore sausen und ein selbst verfasstes Siegeslied singen hören: Wir ham sie vermöbelt, Klein Potter, der war's, Und Voldy, der modert, und wir ham jetzt Spaß!

»Da wird einem erst richtig klar, was für eine große Tragödie das war, oder?«, sagte Ron und drückte eine Tür auf, um Harry und Hermine durchzulassen.

Das Glück würde kommen, dachte Harry, aber im Augenblick war es von Erschöpfung überdeckt, und der Schmerz über den Verlust von Fred und Lupin und Tonks versetzte ihm alle paar Schritte einen Stich wie eine körperliche Wunde. Vor allem andern verspürte er ungeheure Erleichterung und ein großes Bedürfnis nach Schlaf. Doch zunächst schuldete er Ron und Hermine eine Erklärung, sie hatten so lange zu ihm gehalten und hatten die Wahrheit verdient. In allen Einzelheiten berichtete er, was er im Denkarium gesehen hatte und was im Verbotenen Wald geschehen war, und sie hatten noch nicht einmal ansatzweise ihr ganzes Entsetzen und ihr Erstaunen zum Ausdruck gebracht, als sie endlich an dem Ort ankamen, zu dem sie gegangen waren, auch wenn keiner von ihnen ihr Ziel erwähnt hatte.

Seit er den Wasserspeier, der den Eingang zum Büro des Schulleiters bewachte, das letzte Mal gesehen hatte, war er beiseitegestoßen worden; er stand schief da und wirkte ein wenig angeschlagen, und Harry fragte sich, ob er noch Passwörter erkennen konnte.

»Können wir nach oben gehen?«, fragte er den Wasserspeier.

»Nur zu«, stöhnte die Statue.

Sie kletterten über ihn hinweg auf die steinerne Wendeltreppe, die sich langsam aufwärtsbewegte wie eine Rolltreppe. Oben angekommen, drückte Harry die Tür auf.

Ihm blieb nur ein kurzer Blick auf das steinerne Denkarium, das auf dem Schreibtisch stand, wo er es zurückgelassen hatte, dann ließ ihn ein ohrenbetäubender Lärm laut aufschreien, und er dachte an Flüche und zurückkehrende Todesser und die Wiedergeburt Voldemorts -

Aber es war Applaus. Ringsumher an der Wand bereiteten ihm die Schulleiter und Schulleiterinnen von Hogwarts eine stehende Ovation; sie schwangen ihre Hüte und manche ihre Perücken, sie streckten die Arme durch ihre Rahmen und fassten sich an den Händen; sie tanzten auf den Stühlen herum, in denen sie gemalt worden waren; Dilys Derwent schluchzte hemmungslos, Dexter Fortescue schwang sein Hörrohr; und Phineas Nigellus rief mit seiner hohen, schrillen Stimme: »Und wohlgemerkt, das Haus Slytherin hat seine Rolle gespielt! Vergesst unseren Beitrag nicht!«

Aber Harry hatte nur Augen für den Mann, der in dem größten Porträt direkt hinter dem Stuhl des Schulleiters stand. Tränen liefen hinter der Halbmondbrille in den langen silbernen Bart hinunter, und der Stolz und die Dankbarkeit, die er ausströmte, war Balsam für Harry wie der Gesang des Phönix.

Schließlich hob Harry die Hände, und die Porträts verstummten respektvoll, strahlten und wischten sich die Augen und warteten begierig darauf, dass er sprach. Er richtete seine Worte jedoch an Dumbledore und wählte sie mit äußerster Sorgfalt. Obwohl er erschöpft war und vor Müdigkeit kaum aus den Augen schauen konnte, musste er noch einen letzten Kraftakt bewältigen, einen letzten Rat suchen.

»Das Ding, das in dem Schnatz verborgen war«, begann er, »das habe ich im Wald fallen lassen. Ich weiß nicht genau, wo, aber ich werde nicht mehr danach suchen. Sind Sie einverstanden?«

»Mein lieber Junge, ja«, sagte Dumbledore, während die anderen Porträts verwirrt und neugierig dreinschauten. »Eine weise und mutige Entscheidung, aber nicht weniger, als ich von dir erwartet hätte. Weiß sonst jemand, wo er hingefallen ist? «

»Niemand«, sagte Harry und Dumbledore nickte zufrieden.

»Das Geschenk von Ignotus werde ich allerdings behalten«, sagte Harry und Dumbledore strahlte.

»Aber natürlich, Harry, es gehört für immer dir, bis du es weitergibst!«

»Und dann ist da noch der hier.«

Harry hielt den Elderstab empor, und Ron und Hermine blickten ihn mit einer Ehrfurcht an, die Harry, so benebelt und schlafbedürftig er auch war, nicht gerne sah.

»Ich will ihn nicht haben«, sagte Harry.

»Was?«, sagte Ron laut. »Bist du verrückt?«

»Ich weiß, er ist mächtig«, erwiderte Harry müde. »Aber mit meinem eigenen war ich glücklicher. Also ...«

Er stöberte in dem Beutel um seinen Hals und zog die beiden Hälften des Stechpalmenstabs hervor, die nach wie vor bloß von einer äußerst feinen Faser einer Phönixfeder zusammengehalten wurden. Hermine hatte gesagt, er könne nicht repariert werden, der Schaden sei zu gravierend. Er wusste nur, wenn dies nicht funktionieren würde, dann würde gar nichts helfen.

Er legte den zerbrochenen Zauberstab auf den Schreibtisch des Schulleiters, berührte ihn mit der äußersten Spitze des Eiderstabs und sagte:

»Reparo.«

Als der Zauberstab sich wieder zusammenfügte, stoben rote Funken aus seinem Ende hervor. Harry wusste, dass es ihm gelungen war. Er nahm den Zauberstab aus Stechpalme und Phönixfeder hoch und spürte eine plötzliche Wärme in seinen Fingern, als ob Zauberstab und Hand sich darüber freuten, dass sie wieder vereint waren.

»Den Elderstab«, sagte er zu Dumbledore, der ihn mit größter Zuneigung und Bewunderung beobachtete, »bringe ich wieder dorthin, wo er herkam. Dort kann er bleiben. Wenn ich eines natürlichen Todes sterbe, wie Ignotus, wird seine Macht gebrochen sein, nicht wahr? Der letzte Herr ist dann nie besiegt worden. Das wird sein Ende sein. «

Dumbledore nickte. Sie lächelten einander an.

»Bist du sicher?«, sagte Ron. Eine winzige Spur Sehnsucht lag in seiner Stimme, während er den Elderstab betrachtete.

»Ich glaube, Harry hat Recht«, sagte Hermine leise.

»Dieser Zauberstab ist den ganzen Ärger nicht wert«, sagte Harry. »Und ganz ehrlich«, er wandte sich von den gemalten Porträts ab und dachte jetzt nur noch an das Himmelbett, das im Gryffindor-Turm auf ihn wartete, wobei er sich fragte, ob Kreacher ihm vielleicht ein Sandwich dort hinaufbringen würde, »ich hatte für mein Leben genug Ärger.«

Neunzehn Jahre später

Dieses Jahr schien es überraschend schnell Herbst zu werden. Der Morgen des ersten September war frisch und golden wie ein Apfel, und während die kleine Familie über die holprige Straße auf den großen verrußten Bahnhof zuwackelte, glitzerten der Qualm von Autos und der Atem der Fußgänger wie Spinnennetze in der kalten Luft. Zwei große Käfige klapperten oben auf den schwer beladenen Gepäckwagen, die die Eltern schoben: Die Eulen darin schrien empört, und das rothaarige Mädchen, das sich an den Arm ihres Vaters geklammert hatte, lief heulend hinter ihren Brüdern her.

»Nicht mehr lange, dann darfst du auch gehen«, sagte Harry zu ihr.

»Zwei Jahre«, schniefte Lily. »Ich will jetzt gehen!«