Wieder wartete er auf das Vibrieren.
Jetzt hob er das Funkgerät an und hielt es sich an die Lippen, während er gleichzeitig einen kleinen Magneten aus der Tasche zog. Er drückte den SENDEN-Knopf und hielt dabei den Magneten nahe ans Mikrofon.
»Ich bin beim Pool«, flüsterte er. »Ich habe hier eine große Schlange entdeckt, brauche Unterstützung.« Seine Stimme, gedämpft und knisternd dank des Magneten, war fast nicht zu hören.
»Was war das von wegen einer Schlange?«, lautete die Antwort. »Ich hab’s nicht richtig verstanden, wiederholen.«
Er wiederholte die Meldung. Dabei hielt er den Magneten etwas weiter weg vom Mikro, um das Knistern zu verringern.
»Ich wiederhole, wer ist da?«, kam die Antwort.
Jetzt funkte er nur Knistern.
»Na gut, ich komm rüber.«
Das war bestimmt der Wachmann, der sich am nächsten befand: der mit dem Hund, der kurz zuvor an ihm vorbeigegangen war. Wie erwartet, bog der Mann mit dem Hund an der Leine wieder um die Ecke, blieb stehen und leuchtete mit der Taschenlampe hierhin und dorthin. »He, wo bist du? Bist du’s, Pretorius?«
Er blieb im Dunkeln stehen, wartete.
»Scheiße«, sagte der Wachmann leise – und tat dann genau das Erwartete: Er ließ den Hund von der Leine und sagte: »Such die Schlange. Na, such sie.«
Natürlich lief der Hund, der den Mann in der Hütte roch, schnurstracks auf ihn zu und stürmte durch die Tür, wo ihn die aufblitzende Spitze des SOG erwartete. Der Hund stürzte lautlos nach vorn.
»Sadie! Sadie? Was ist denn?« Der Wachmann zog seine Handfeuerwaffe und rannte in die Hütte – wo ihm mit demselben Messer die Kehle aufgeschlitzt wurde. Aus der Pistole löste sich ein Schuss, der Mann fiel zu Boden.
Nun, das war eine ungute Entwicklung. Der Alarm würde vorzeitig ausgelöst werden. Doch weil er wusste, wie seine Zielperson tickte – die Macho-Instinkte, die brutale Härte, die Verachtung für Feigheit –, war er sich sicher, dass ein Schuss nicht genügen würde, dass der Hausbesitzer in den Panikraum floh. Nein, der Mann würde sich bewaffnen, seine Wachleute rufen, herausfinden wollen, was geschah, und bleiben, wo er war – vorerst.
Er war in seinen Planungen weit vorangeschritten: drei Männer und zwei Hunde tot, was exakt der Hälfte der Security entsprach. Doch jetzt musste er viel schneller handeln, ehe die übrigen Sicherheitskräfte den Umfang ihrer Verluste entdecken, sich organisieren und die Reihen zum Schutz der Zielperson schließen konnten.
Alle diese Überlegungen beanspruchten in den Gedanken des Eindringlings weniger als eine Sekunde. Er hob das Funkgerät des sterbenden Wachmanns auf und sprang über den Körper, der immer noch zuckte und röchelte. Dann zog er einen weiteren Magneten und ein Stück Klebeband aus der Tasche, befestigte die SENDEN-Taste mit Klebeband am Funkgerät des Mannes, klatschte den Magneten an und ließ alles auf den Rasen fallen. Natürlich hatte der Schuss die anderen Wachleute alarmiert, weswegen sich die Nachfragen in seinem Funkgerät geradezu überschlugen. Die Wachleute versuchten, sich untereinander zu verständigen, herauszufinden, wo jeder war, und festzustellen, wer möglicherweise fehlte. Mit dem Magneten und dem Klebeband hatte er zumindest ihren Hauptkanal durch lautes Knistern unbrauchbar gemacht, und am Funkgerät des anderen Wachmanns bewerkstelligte er das Gleiche mit dem Notfallkanal. Das würde mindestens ein paar Minuten lang Verwirrung stiften, bis die verbliebenen Wachleute schließlich einen freien Kanal gefunden und darüber kommuniziert hätten.
Ein paar Minuten – mehr benötigte er nicht.
Die Strahler gingen an. Eine Sirene ertönte. Jetzt musste er sehr schnell agieren. Sich weiter versteckt zu halten machte keinen Sinn mehr. Er warf ein Möbelstück, das auf der Terrasse stand, durch die Glasschiebetür, wodurch er einen weiteren Alarm auslöste, sprang dann in die Bresche und lief mitten durch das Wohnzimmer auf die Treppe zu, wobei er drei Stufen auf einmal nahm, bis er im ersten Stock war.
»Hey!« Hinter sich hörte er einen Wachmann rennen.
Er blieb stehen, drehte sich blitzartig um, ließ sich auf ein Knie fallen und gab einen Schuss aus seiner Glock ab, wodurch er die Schädeldecke des Wachmanns wegfegte. Anschließend fällte er einen zweiten Wachmann, der nach dem ersten um die Ecke gelaufen kam.
Fünf Wachleute, zwei Hunde.
Nachdem er über den Flur im ersten Stock gespurtet war, gelangte er zur Tür zum Schlafzimmer der Zielperson. Die Tür bestand aus dickem Stahl und war erwartungsgemäß abgeschlossen. Er griff in seinen Rucksack, klatschte ein vorbereitetes Paket C-4 mit Zünder und Haft-Pad aufs Schloss, lief um die Ecke und betrat das Zimmer der Ehefrau. Das Ehepaar hatte sich vor Kurzem scheiden lassen, und die Stahltür zum leeren Zimmer der Ex-Frau stand weit offen, so wie er es erwartet hatte. Der Panikraum lag zwischen dem Zimmer der Zielperson und dem Zimmer der Ex-Frau, von jedem Zimmer führte eine Tür in den Panikraum. Dessen Tür wiederum lag hinter einer Wandverkleidung, die er ruckartig aufzog. Die Tür dahinter war geschlossen, aber sie befand sich noch nicht in vollem Verriegelungsmodus und ließ sich – anders als die riesige Schlafzimmertür aus Stahl – mit einer kleinen Ladung C-4 öffnen. Schnell brachte er eine weitere Sprengladung an der Tür der Ehefrau zum Panikraum an und zog sich in sichere Entfernung zurück. Schließlich brachte er mittels eines Fernzünders beide Ladungen gleichzeitig zur Explosion – an der Schlafzimmertür der Zielperson sowie an der Tür der Ehefrau zum Panikraum, sodass es klang, als wäre eine einzige Sprengladung detoniert. Die Ladung an der stählernen Schlafzimmertür war nicht so stark, dass sie die Tür aufsprengen konnte – sie diente lediglich dazu, dem Hausbesitzer einen Mordsschrecken einzujagen.
Aber die Ladung an der Tür zum Panikraum war größer und schaffte es tatsächlich, die ungesicherte, aber verriegelte Tür zu knacken. Der Eindringling schlüpfte in den Panikraum, in dem die Luft voller Rauch und Staub war. Kein Licht brannte. Schnell bezog er Stellung direkt neben der Tür an der gegenüberliegenden Wand des kleinen Raums, das heißt, der Tür, die zum Schlafzimmer der Zielperson führte. Fast augenblicklich hörte er die Zielperson die Tür öffnen und in den Raum taumeln, völlig verschreckt und verwirrt wegen der ineffizienten Explosion, die er da eben vor seinem Schlafzimmer gehört hatte. Der Mann drehte sich um, zog die Tür zu und rammte die Bolzen ins Schloss. Dann schlich er an der Wand entlang, fand den Schalter und schaltete das Licht ein.
Und da starrte er den Eindringling, der sich bereits im Panikraum befand, mit weit aufgerissenen Augen an. Ja, in der Tat, die Zielperson hatte sich soeben mit ihrem zukünftigen Mörder im Panikraum eingeschlossen. Der Eindringling genoss diesen Augenblick der Ironie in vollen Zügen. Die Zielperson hatte nur Boxershorts an, die Haare waren zerzaust, die blutunterlaufenen Augen traten hervor, die schlaffen Hängebacken zitterten, der dicke Bauch ragte weit vor. Der Mann verströmte einen unangenehm sauren Geruch nach Wodka.
»Mr. Viktor Alexejewitsch Bogatschjow, nehme ich an?«
Das Opfer starrte ihn an, in größter Angst. »Was … wer … sind … Sie … Und um Himmels willen – warum?«
»Warum nicht?«, sagte der Eindringling und hob sein SOG-Messer.
Zwei Minuten und fünfzehn Sekunden später glitt der Eindringling über die Steinmauer und ließ sich auf der anderen Seite auf den Boden fallen. Vom Grundstück her hörte er mehrere Alarme und dahinter, in der Ferne, den Klang herannahender Polizeisirenen. Er hatte den letzten Wachmann auf dem Weg nach draußen getötet, doch in seiner Güte den Hund verschont, der sich als intelligenter als die Menschen erwiesen, sich zitternd und winselnd – und unwillkürlich urinierend – vor ihm auf den Boden geworfen und dadurch sein Leben gerettet hatte.
Er sprintete über den Strand zur steinernen Mole und lief darauf in Richtung eines kleinen Speedboats, das geschützt zwischen zwei großen Felsbrocken im Lee lag und dessen leiser Viertaktmotor sich im Leerlauf drehte. Er warf den jetzt schweren Rucksack ins Boot, sprang hinterher, schob sachte den Gashebel nach vorn und steuerte hinaus auf den schwarzen, wogenden Atlantischen Ozean. Während er durch die Nacht brauste, dachte er mit klammheimlicher Freude an seine Inszenierung, welche die Polizeibeamten in dem Augenblick entdecken würden, da sie auf das Anwesen gelangten und begannen, das Grundstück abzusuchen.