D’Agosta hätte viel darum gegeben, hätte er dieses Selbstbewusstsein auch in sich gespürt. Denn es stand fest, dass seit dem Aufstieg der Blogger und digitalen Schwafler inzwischen weitaus mehr Medienvertreter auf einer Pressekonferenz erschienen als üblich und dass sie sich nicht besonders gut benahmen. Die meisten waren offen gestanden echte Arschlöcher, was insbesondere für die Leute aus den sozialen Medien galt, und das waren genau die Leute, deren Fragen D’Agosta beantworten musste – und zwar sehr selbstbewusst, obwohl er sich im Grunde gar nicht so fühlte.
Während sich die Presseleute in den Raum drängten, die Fernsehkameras von NBC und ABC und CNN und dem Rest der Buchstabensuppe im hinteren Bereich wie bedrohliche schwarze Insekten aufragten, die Leute von den Printmedien in der ersten Reihe saßen und die digitalen Deppen praktisch überall, sah es so aus, als würde das Ganze ganz schön heftig werden. D’Agosta war zwar heilfroh, dass Singleton die Pressekonferenz leitete, geriet jedoch schon allein bei dem Gedanken, dass auch er vom Podium Fragen beantworten musste, ins Schwitzen.
Kleinere Streitereien brachen aus, es wurde um die besten Plätze gerangelt. In dem Raum war es bereits warm gewesen, bevor die Pressemeute eintraf, doch jetzt heizte er sich rasant weiter auf. Im Winter verbat eine dämliche Verordnung der Stadt New York, Klimaanlagen einzuschalten, und das ungeachtet der Tatsache, dass die Lüftung grottenschlecht war.
Während sich der Minutenzeiger der großen Wanduhr in Richtung volle Stunde bewegte, betrat der Bürgermeister das Podium. Die Kameralichter wurden eingeschaltet, die Fotografen drängten sich nach vorn, stießen einander mit den Ellbogen weg und murmelten leise Flüche. Das Klicken der Verschlüsse ihrer Kameras klang wie das Flattern zahlloser Heuschreckenflügel.
Bürgermeister DeLillo packte mit seinen großen knochigen Händen die Kante des Podiumstisches und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Seine Miene vermittelte dabei äußerste Kompetenz, Entschlossenheit und Würde. Er war in jeder Hinsicht eine imposante Erscheinung – hoch aufgeschossen, mit breiten Schultern, einem Schopf dichter weißer Haare, Riesenpranken, einem Gesicht mit Hängebacken und Doppelkinn und großen Augen, die unter den buschigen Brauen funkelten.
»Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Presse, liebe Einwohner der großartigen Stadt New York, ich begrüße Sie«, dröhnte er mit seiner legendär tiefen Stimme. »Es ist der Grundsatz unserer Polizei, unsere Bürgerinnen und Bürger über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse ständig informiert zu halten. Und deshalb sind wir heute hier. Ich kann Ihnen versichern, dass sämtliche Ressourcen der Stadt in den Dienst dieser Ermittlungen gestellt worden sind. Und nun wird Captain Singleton Ihnen den Fall im Einzelnen vorstellen.«
Er verließ das Podium. Kein Händeschütteln, dazu war die Sache zu ernst.
Singleton nahm Platz auf dem Podium, wartete, bis der Geräuschpegel gefallen und raschelnde Ruhe eingekehrt war.
»Um vierzehn Minuten nach zwei am heutigen Morgen«, begann er, »reagierte die East Hamptoner Polizei auf mehrere Alarme in einem Haus an der Further Lane. Als die Beamten eintrafen, fanden sie im Haus und auf dem großen Grundstück sieben Leichen. Es handelte sich um die Opfer eines mehrfachen Mordes – sechs Wachleute sowie der Eigentümer des Anwesens, ein russischer Staatsbürger mit Namen Viktor Bogatschjow. Zudem wurde Mr. Bogatschjow enthauptet vorgefunden, und der Kopf ist verschwunden.«
Das löste einen Wirbel von Aktivitäten seitens der Zuhörerschaft aus. Singleton machte ungerührt weiter. »Die East Hamptoner Polizei hat die Unterstützung des NYPD erbeten, um feststellen zu können, ob dieses Kapitalverbrechen mit der kürzlich erfolgten Ermordung und Enthauptung von Mr. Marc Cantucci in der Upper Eastside in Zusammenhang steht …«
Singleton berichtete weiter über den Fall in allgemeinen Worten, wobei er einen Schnellhefter mit Notizen konsultierte, die D’Agosta für ihn zusammengestellt hatte. Anders als der Bürgermeister sprach Singleton mit monotoner, polizeijargonmäßiger, ausdrucksloser Stimme – im »Das sind die Fakten«-Tonfall –, während er jede Seite betont langsam umblätterte. Er redete rund zehn Minuten lang, wobei er die nackten Tatsachen der drei Mordfälle skizzierte und mit dem letzten Mord begann, bis er schließlich wieder beim Mord an der jungen Frau ankam. Und wie er so die Informationen abspulte, die fast allen längst bekannt waren, spürte D’Agosta, dass die Ungeduld unter den Anwesenden allmählich zunahm. Und gleich kam er an die Reihe.
Schließlich hielt Singleton inne. »Ich übergebe jetzt das Wort an Lieutenant D’Agosta, Commander der Detective Squad, der Ihnen genauere Angaben machen und Ihre Fragen zu den Mordfällen, zu den möglichen Zusammenhängen zwischen diesen und einigen der Spuren, denen sein Team bislang folgt, beantworten wird.«
Singleton verließ seinen Platz. D’Agosta betrat das Podium und versuchte, Würde auszustrahlen, so wie es dem Bürgermeister und Singleton gelungen war. Als er einen Blick auf die versammelten Presseleute warf, merkte er, dass ihm die Augen in dem grellen Licht tränten. Er blickte auf seine Notizen, aber die erschienen ihm wie eine wabernde graue Masse. Aus Erfahrung wusste er, dass er das hier nicht gut konnte. Er hatte versucht, Singleton das zu erklären und sich zu drücken, doch der Captain hatte wenig Mitgefühl gezeigt. »Gehen Sie da raus und legen Sie los. Und wenn Sie meinen Rat wollen – versuchen Sie, so langweilig wie möglich zu sein. Geben Sie denen nur die vorliegenden Informationen. Und lassen Sie um Gottes willen nicht zu, dass einer von diesen Kerlen die Kontrolle im Raum übernimmt. Sie sind das Alpha-Männchen da drin – vergessen Sie das nicht.« Ein mannhafter Schlag auf den Rücken hatte diesen Ratschlag unterstrichen.
Und da saß D’Agosta nun. »Vielen Dank, Captain Singleton. Und vielen Dank, Bürgermeister DeLillo. Die Mordkommission verfolgt im Moment mehrere vielversprechende Ermittlungsspuren.« Er machte eine dramatische Pause. »Ich wünschte, ich könnte ins Detail gehen, aber das meiste, was wir bislang wissen, fällt in die Kategorie ›nicht-öffentliche Informationen‹, was unsere Behörde folgendermaßen definiert. Erstens: Informationen, die ein unzumutbares Risiko für die persönliche Sicherheit von Angehörigen der Polizeikräfte, der Opfer oder beiden darstellen. Zweitens: Informationen, die möglicherweise die polizeilichen Ermittlungen behindern. Und drittens: Informationen, welche die Rechte eines Angeklagten oder die Ermittlungen beziehungsweise die Verfolgung einer Straftat nachteilig beeinflussen.«
Er hielt inne und hörte etwas, was sich wie ein kollektives Stöhnen der Journaille anhörte. Nun, Singleton hatte ihm geraten, seine Zuhörer zu langweilen.
»Da Sie die meisten Details der ersten beiden Morde ja bereits kennen, will ich mich auf das konzentrieren, was wir bislang über den Mord erfahren haben, der gestern Nacht in East Hampton verübt worden ist.« D’Agosta fuhr fort, indem er sehr viel detaillierter auf den dritten Mord einging als Singleton. So erwähnte er die sechs toten Leibwächter, die Entdeckung des Boots sowie die Sicherstellung weiterer Beweismittel, wobei er den Schuhabdruck der Größe siebenundvierzig allerdings unerwähnt ließ. Dieses entscheidende Detail wollte er in Reserve behalten. Er erwähnte Bogatschjows zahlreiche Gerichtsprozesse und undurchsichtigen Geschäftspraktiken. So würde zum Beispiel behauptet, dass Bogatschjow ausrangierte Nuklearausrüstung und Raketenteile über chinesische Briefkastenfirmen vermittelt habe, die mit dem nordkoreanischen Regime in Verbindung stünden.