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Was soll New York also aus diesen Morden lernen? Vielleicht hält der Enthaupter unserer Stadt eine Predigt. Die Morde stellen dabei eine Mahnung an New York und das Land dar. Diese hat zwei Teile. Der erste bezieht sich auf der Lebensstil der Opfer und besagt: Ihr Einprozenter, kehret um, bevor es zu spät ist. Der zweite Teil zeigt sich darin, wie der Enthaupter seine Opfer aus den Unverwundbarsten, Geschütztesten in unserer Mitte auswählt. Und diese Warnung lautet:

Niemand ist sicher.

27

D’Agosta hatte Krankenhäuser noch nie leiden können. Im Grunde war es mehr als bloße Abneigung, denn sobald er eine Klinik betrat, mit all den hellen Oberflächen und der Neonbeleuchtung, der Hektik, dem Piepen der Apparate und der Luft voller Gerüche nach Kampfer und schlechtem Essen, fühlte er sich selber körperlich krank.

Es war besonders ärgerlich, am ersten Weihnachtstag um fünf Uhr morgens ein Krankenhaus aufsuchen zu müssen, um einen Geisteskranken zu befragen, der auf einen Polizisten geschossen hatte. So viel Verständnis Laura auch hatte – sie war schließlich Captain beim NYPD –, sie reagierte durchaus gereizt, wenn er wieder einmal die halbe Nacht draußen gewesen war und es nach dem Nachhausekommen nur noch so gerade schaffte, ins Bett zu fallen, dann in aller Früh aufstand und wieder loszog. Und dies geschah auch jetzt, am Weihnachtsmorgen. Er konnte noch nicht mal in Ruhe seinen Kaffee trinken. Und er hatte für Laura auch nur hastig ein paar lausige Geschenke kaufen können.

Lasher lag in einem Zimmer in einer geschlossenen Abteilung des Bellevue; vier Cops bewachten ihn, eine Krankenschwester war immer ganz in seiner Nähe. Der Irre hatte schwere Schussverletzungen erlitten. Die Ärzte hatten mehr als vierundzwanzig Stunden gebraucht, bis sie seinen Zustand so weit stabilisiert hatten, dass er verhört werden konnte. Er würde wieder gesund werden. Andererseits war da D’Agostas Mann, Hammer: Er lag auf der Intensivstation und kämpfte noch immer um sein Leben.

Lasher war zwar körperlich stark geschwächt, redete aber ungeachtet seiner Verletzungen nach wie vor Stuss. In der letzten Viertelstunde war die Antwort auf jede von D’Agostas Fragen, ganz gleich, wie banal, schnell zu »Chemtrails«, zur Ermordung von JFK und zum Projekt MKUltra abgeschwenkt. Der Kerl war knallverrückt. Andererseits hatte er kein Alibi für den Mord an Cantucci. Als er ihnen von seinen Aufenthaltsorten und Aktivitäten in der Mordnacht und vom Vortag erzählen wollte, hatte er sich mehrmals in Widersprüche verwickelt. D’Agosta war sich fast sicher, dass Lasher log, aber zugleich war er derart gestört, dass es kaum vorstellbar war, dass er einen raffinierten Mord wie den an Cantucci durchziehen konnte, egal, ob er nun ein begabter Elektrotechniker war oder nicht.

Darüber hinaus hatte Pendergast einmal mehr eine seiner geheimnistuerischen Nummern abgezogen und weder auf D’Agostas Textnachrichten noch seine E-Mails oder Telefonate reagiert.

»Gehen wir das Ganze noch einmal durch«, sagte D’Agosta. »Sie behaupten also, dass Sie den achtzehnten Dezember in Ihrer Wohnung verbracht haben, dass Sie online gewesen sind und Ihre Internetaufzeichnungen das beweisen können.«

»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, Mann, dass ich –«

D’Agosta unterbrach ihn. »Na ja, wir haben uns Ihre Internetchronik für den Tag angeschaut – und Ihr Computer war leer gefegt. Also, warum haben Sie die Chronik gelöscht?«

Lasher hustete, verzog das Gesicht. »Ich gebe mir große Mühe, meinen Browserverlauf geheim zu halten, weil Ihr Leute von der Regierung –«

»Aber Sie haben gesagt, dass Ihre Internetchronik, Zitat ›beweisen würde, dass ich den ganzen Tag und die ganze Nacht online gewesen bin‹.«

»Und das beweist sie auch! Das würde sie beweisen, wenn ich nicht aufgrund der Drohnen, digitalen Wanzen und Hirnwellen-Transmitter der Regierung gezwungen wäre, extreme Maßnahmen zu meinem eigenen Schutz zu ergreifen –«

»Lieutenant«, sagte die Krankenschwester, »ich habe Sie doch gebeten, den Mann nicht aufzuregen. Er ist noch sehr schwach. Wenn Sie ihn weiter bedrängen, sehe ich mich gezwungen, die Vernehmung zu beenden.«

Hinter sich hörte D’Agosta leises Gemurmel. Als er sich umdrehte, sah er Pendergast im Türrahmen stehen. Endlich. Er ignorierte die Krankenschwester und wandte sich wieder Lasher zu. »Und deshalb beweist Ihr Beweis gar nichts. Also, gibt es jemanden in dem Mietshaus, der bestätigen kann, dass Sie den ganzen Tag in Ihrer Wohnung verbracht haben?«

»Natürlich.«

Pendergast hatte inzwischen das Zimmer betreten.

»Und wer?«

»Ihre Leute.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Sie beschatten mich jetzt seit Monaten und überwachen mich auf Schritt und Tritt. Sie wissen, dass ich Cantucci nicht umgebracht habe.«

D’Agosta schüttelte den Kopf und wandte sich zu Pendergast um. »Haben Sie irgendwas, was Sie das Arschloch fragen wollen?«

»Nicht direkt. Aber erlauben Sie mir, Sie zu fragen, Vincent: Haben Sie schon die Ergebnisse der Blutuntersuchungen von Mr. Lasher erhalten?«

»Ja, natürlich.«

»Und hat man in seinem Körper Methamphetaminhydrochlorid gefunden?«

»Zum Teufel, ja. Er war high wie nichts.«

»Das habe ich mir gedacht. Könnten wir mal kurz auf den Flur gehen?«

D’Agosta verließ hinter ihm den Raum.

»Ich muss keine Fragen stellen«, sagte Pendergast, »weil ich weiß, dass der Mann unschuldig ist, was den Mord an Cantucci betrifft.«

»Und woher wollen Sie das wissen?«

»Ich habe eine Probe Methamphetamin in seiner Wohnung gefunden. Die großen, gelblichen, salzähnlichen Körner habe ich sogleich als eine spezielle ›Sorte‹ Meth identifiziert. Diese ist bekannt für ihre kristalline Form, Farbe und Konsistenz. Eine schnelle, kurze Recherche ergab, dass die Drogenfahnder den Meth-Koch dieser besonderen Variante überwacht hatten, in Vorbereitung einer Festnahme, und dass die Ware in einem besonderen Nachtklub verkauft wurde. Deshalb hat ein gewisser Kollege von mir es geregelt, dass ich mir die Überwachungsvideos ansehen konnte, die die Drogenfahndung von den Ein- und Ausgängen des Nachtklubs gemacht hatte. Und in der Tat: Lasher wurde dabei beobachtet, wie er den Nachtklub betritt, zweifellos, um einen Kauf zu tätigen, und eine Dreiviertelstunde später wieder verlässt … exakt der Zeitraum, in dem Cantucci getötet wurde.«

D’Agosta starrte ihn an, dann lachte er schließlich und schüttelte den Kopf. »Verdammter Mist. Es ist nicht Baugh, es ist nicht Ingmar, es ist nicht Lasher – jede einzelne anständige Spur verläuft im Sande. Langsam habe ich das Gefühl, einen Felsblock Scheiße einen endlosen Berg hinaufzurollen.«

»Mein lieber Vincent, Sisyphos wäre stolz auf Sie.«

Als sie das Bellevue verließen, brachte gerade ein großer New York Post-Lastwagen eine frühmorgendliche Lieferung. Er hatte auf dem Zebrastreifen geparkt, und als sie um den Lkw herumgingen, ließ der Fahrer neben ihnen einen dicken Packen Zeitungen auf den Bürgersteig fallen. Die reißerische Schlagzeile lautete:

DER ENTHAUPTER ENTTARNT!

28

Das ist eine Premiere für mich«, sagte Singleton, als D’Agosta und er aus dem Municipial Building traten, um den kurzen Fußmarsch vom One Police Plaza zur City Hall anzutreten. Es war ein sonniger, brutal kalter Morgen, die Temperatur lag bei minus zwölf Grad. Weil noch kein Schnee gefallen war, ähnelten die Straßen Korridoren voll frostigen Sonnenlichts.

D’Agosta hatte Angst. Er war noch nie ins Büro des Bürgermeisters zitiert worden, geschweige denn gemeinsam mit dem Captain. »Irgendeine Idee, was uns da erwartet?«, fragte er.

Singleton sagte: »Schauen Sie, das Ganze ist nicht gut. Es ist nicht einmal schlecht. Es ist grauenhaft. Normalerweise macht der Bürgermeister seine Ansichten durch den Commissioner bekannt. Wie gesagt, das hat es noch nie gegeben. Haben Sie seine Miene nach der Pressekonferenz bemerkt?«