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Ohne dass sie sich weiter unterhalten hatten, bogen sie in den City Hall Park und betraten die opulente neoklassische Rotunde des New Yorker Rathauses. Ein Diener im grauen Anzug, der auf ihre Ankunft gewartet hatte, führte sie an der Security vorbei und brachte sie nach oben in einen riesigen, Furcht einflößenden Marmorflur mit düsteren Gemälden an den Wänden, bis zu einer zweiflügeligen Tür. Sie wurden durch ein Vorzimmer geradewegs ins Büro des Bürgermeisters geleitet. Kein Warten.

Kein Warten. Das schien D’Agosta das schlimmste Omen von allen zu sein.

Der Bürgermeister stand hinter seinem Schreibtisch. Darauf lagen zwei penibel ausgelegte Exemplare der Post: die gestrige Ausgabe mit der großen Harriman-Story, daneben die Ausgabe vom heutigen Morgen mit Harrimans Follow-up-Artikel.

Der Bürgermeister bot ihnen weder einen Stuhl an, noch nahm er selbst Platz oder bot ihnen die Hand zum Gruß.

»Nun gut«, sagte er in dem ihm eigenen dröhnenden Tonfall. »Ich bekomme Druck von allen Seiten. Sie haben gesagt, Sie hätten erste Spuren. Ich muss wissen, wo wir stehen. Ich will die neuesten Details erfahren.«

Singleton hatte D’Agosta bereits vorher klargemacht, dass er in seiner Funktion als Commander der Detective Squad das Gespräch bestreiten müsse. Und zwar das gesamte Gespräch. Es sei denn, der Bürgermeister spräche ihn, Singleton, direkt an.

»Bürgermeister DeLillo, vielen Dank für Ihr Interesse –«, begann D’Agosta.

»Hören Sie auf mit diesem Schwachsinn und sagen Sie mir, was ich wissen muss.«

D’Agosta holte tief Luft. »Es ist …« Er beschloss, bei der Wahrheit zu bleiben. »Es sieht ehrlich gesagt nicht gut aus. Anfangs hatten wir mehrere Spuren, von denen uns einige vielversprechend erschienen sind, die aber zu keinen neuen Erkenntnissen geführt haben. Es ist frustrierend.«

»Endlich mal Klartext. Reden Sie weiter.«

»Beim ersten Mord hatten wir Gründe, den Vater des kleinen Jungen zu verdächtigen, den das Opfer bei einem Unfall mit Fahrerflucht getötet hatte. Aber er hat ein felsenfestes Alibi. Beim zweiten Mord waren wir sicher, dass es jemand war, der sich mit dem Sicherheitssystem des Opfers auskannte. Mehr noch, wir sind uns noch nicht ganz sicher, aber die drei wahrscheinlichsten Verdächtigen scheiden aus.«

»Was ist mit diesem Kerl, Lasher, der einen Ihrer Beamten angeschossen hat?«

»Er hat ein Alibi.«

»Wie sieht das aus?«

»Er wurde von den Drogenfahndern im Rahmen eines Drogendeals exakt zur Tatzeit auf Video aufgenommen.«

»Verdammt. Und der dritte Mord?«

»Die Labore arbeiten noch am Beweismaterial. Wir haben das Boot gefunden, das der Mörder benutzt hat – natürlich gestohlen. Aber es scheint sich dabei um eine Sackgasse zu handeln. Es wurden im Boot keinerlei Beweismittel gefunden, auch nicht im Jachthafen, aus dem es gestohlen wurde. Wir haben allerdings einen deutlichen Schuhabdruck des Mörders. Schuhgröße siebenundvierzig.«

»Was sonst noch?«

D’Agosta zögerte. »Was solide Spuren betrifft, wäre das alles.«

»Das ist alles? Ein verdammter Schuhabdruck? Wollen Sie mir das sagen?«

»Ja, Sir.«

»Und das FBI? Haben die irgendetwas? Verschweigen die Ihnen etwas?«

»Nein. Wir unterhalten ausgezeichnete Beziehungen zum FBI. Die tappen offenbar genauso im Dunkeln wie wir.«

»Was ist mit der Abteilung für Verhaltenswissenschaften beim FBI, diesen Klapsdoktoren, die die Motive des Täters analysieren und ein Profil liefern sollen? Gibt’s da irgendwelche Ergebnisse?«

»Noch nicht. Wir haben ihnen natürlich alle relevanten Materialien zugeschickt, aber in der Regel dauert es ein paar Wochen, bis man die Ergebnisse bekommt. Wir haben Druck gemacht, was unsere Anfrage betrifft, und hoffen, in zwei Tagen etwas zu erhalten.«

»Zwei Tage? Jesses.«

»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um das Ganze zu beschleunigen.«

Der Bürgermeister griff nach der gestrigen Ausgabe der Post und wedelte damit vor ihren Gesichtern herum. »Was ist hiermit? Dieser Harriman-Story? Warum haben Sie diese Möglichkeit nicht selbst erkannt? Warum muss erst ein gottverdammter Reporter daherkommen, um eine brauchbare Geschichte zu liefern.«

»Wir untersuchen das ganz genau.«

»Wir untersuchen das. Untersuchen das! Ich habe drei Leichen. Drei Leichen ohne Kopf. Von drei reichen, berüchtigten Leuten. Und ich habe einen Polizisten, der an lebenserhaltenden Maschinen hängt. Ich muss Ihnen sicher nicht erklären, was für einem Druck ich ausgesetzt bin, Ermittlungserfolge vorzuweisen.«

»Herr Bürgermeister, es gibt noch keine belastbaren Beweise, die Harrimans Theorie stützen, derzufolge es sich um Rachemorde handelt, aber wir ermitteln in dieser Richtung – so wie wir auch vielen weiteren Spuren nachgehen.«

Der Bürgermeister ließ die Zeitung angewidert zurück auf den Schreibtisch fallen. »Diese Theorie, wonach wir irgendeine Art Psycho auf dem Kriegspfad dort draußen haben, der sein Urteil über die Bösen fällt, hat wirklich einen Nerv getroffen. Das wissen Sie doch, oder? Viele Menschen in dieser Stadt – wichtige Leute – werden nervös. Und es gibt andere, die den Mörder anfeuern, als wäre er eine Art Serienmörder-Robin-Hood. Diese Bedrohung unseres sozialen Zusammenhalts ist inakzeptabel. Wir sind hier nicht in Keokuk oder Pocatello, sondern in New York, wo Menschen aller Nationalitäten endlich harmonisch zusammenleben und wir die niedrigste Kriminalitätsrate von allen Großstädten der USA haben. Ich werde nicht zulassen, dass das alles während meiner Amtszeit kaputtgeht. Haben Sie das verstanden? Nicht mit mir

»Ja, Sir.«

»Das ist doch ein Witz! Vierzig Detectives, Hunderte Streifenpolizisten – ein Schuhabdruck! Wenn ich nicht umgehend Fortschritte sehe, dann werden Sie noch Ihr blaues Wunder erleben, Lieutenant. Und Sie auch, Captain.« Er schlug mit seiner großen, geäderten Pranke auf den Tisch und blickte von einem zum anderen. »Und zwar ein sehr blaues

»Herr Bürgermeister, wir werden alle Hebel in Bewegung setzen, ich verspreche es Ihnen.«

Der Bürgermeister holte tief Luft, blähte sich förmlich auf, atmete schließlich auf dramatische Weise aus. »Und nun gehen Sie da raus und bringen Sie mir etwas Besseres als einen verdammten Schuhabdruck.«

29

Als Alves-Vettoretto das Adlernest ihres Chefs im obersten Stock des DigiFlood-Towers betrat, saß Anton Ozmian hinter seinem Schreibtisch und tippte heftig an einem Laptop. Er blickte auf, ohne innezuhalten, betrachtete sie durch seine Metallgestellbrille und nickte kaum wahrnehmbar. Sie nahm auf einem der Chrom-und-Leder-Stühle Platz und wartete. Das Getippe setzte sich – manchmal schnell, manchmal langsam – noch fünf Minuten lang fort. Dann schob Ozmian endlich den Laptop von sich weg, stützte die Ellbogen auf die schwarze Granitplatte seines Schreibtisches und schaute seine »rechte Hand« an.

»Die Übernahme von SecureSQL?«, fragte Alves-Vettoretto.

Ozmian nickte, massierte sich das ergraute Haar an den Schläfen. »Ich musste bloß dafür sorgen, dass die Giftpille an Ort und Stelle ist.«

Sie nickte. Ozmian genoss feindliche Übernahmen fast genauso sehr wie die Entlassung seiner eigenen Angestellten.

Jetzt trat er hinter dem Schreibtisch hervor und ließ sich auf einem der anderen Chrom-und-Leder-Stühle nieder. Er stand unter enormer innerer Anspannung, und sie wusste auch, warum.

Ozmian deutete auf eine Boulevardzeitung, die zwischen ihnen auf dem Tisch lag, ein Exemplar der Weihnachtsausgabe der Post. »Sie haben das gesehen, nehme ich an«, sagte er.

»Ja.«

Er nahm die Zeitung in die Hand, zog dabei eine Grimasse, als ob er Hundekacke anfasste, und blätterte auf Seite drei. »›Grace Ozmian‹«, zitierte er, wobei kaum beherrschte Wut in seiner Stimme lag. »›23-jähriges Partygirl ohne ein größeres Bestreben im Leben, als Daddys Geld auszugeben, dem Konsum illegaler Drogen und einem parasitären Lebensstil zu frönen, wenn sie nicht gerade vor Gericht steht, das ihr einen Klaps aufs Handgelenk versetzte, nachdem sie in alkoholisiertem Zustand einen achtjährigen Jungen totgefahren hatte.‹« Mit einer jähen, gewalttätigen Geste riss er das Boulevardblatt in zwei Teile, dann in vier und warf diese dann herablassend auf den Boden. »Dieser Harriman gibt einfach keine Ruhe. Ich habe ihm die Chance gegeben, zu schweigen und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Aber dieser Scheiße fressende Drecksack reibt sie mir weiter unter die Nase und beschmutzt den guten Namen meiner Tochter. Na ja, er hat seine Chance gehabt – und verspielt.«