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»Sehr richtig.«

»Sie verstehen doch, was ich sagen will, oder? Die Zeit ist gekommen, ihm eins auf die Finger zu geben, ihn platt zu schlagen wie eine Stechmücke. Ich will, dass dies der letzte Schmutz ist, den dieser Arsch je über meine Tochter schreibt.«

»Ich habe verstanden.«

Ozmian betrachtete seine Vizedirektorin. »Tatsächlich? Ich rede hier nicht nur davon, ihm einen Schrecken einzujagen. Ich will, dass er neutralisiert wird.«

»Ich werde dafür sorgen.«

Ozmians Mundwinkel zuckten. Es hätte allerdings auch ein Lächeln sein können. »Ich vermute mal, Sie haben seit unserem letzten Gespräch über dieses Thema und über eine angemessene Reaktion nachgedacht.«

»Selbstverständlich.«

»Und?«

»Ich habe mir etwas ziemlich Erlesenes ausgedacht. Nicht nur wird es die gewünschte Aufgabe erledigen, sondern dies auch mit einer Ironie bewerkstelligen, die Sie, wie ich glaube, zu schätzen wissen werden.«

»Ich hab doch gewusst, dass ich mich auf Sie verlassen kann, Isabel. Erzählen Sie mal.«

Alves-Vettoretto fing an, es ihm zu erklären. Ozmian lehnte sich im Stuhl zurück und lauschte der kühlen, präzisen Stimme seiner Geschäftsführerin, während sie ihm ihren ganz famosen Plan unterbreitete. Und dann kehrte das Lächeln in sein Gesicht zurück. Nur war es diesmal echt, und es verweilte dort sehr lange.

30

Bryce Harriman stieg die Treppe zum Haupteingang des New York Post-Gebäudes hinauf, dann blieb er stehen. Diese Stufen hatte er in den vergangenen Jahren wohl Tausende Male erklommen. Doch an diesem Morgen war irgendetwas anders. An diesem Morgen, dem zweiten Weihnachtsfeiertag, war er zu einer außerplanmäßigen Besprechung ins Büro des Chefredakteurs, Paul Petowski, zitiert worden.

Das war ungewöhnlich. Petowski mochte keine Besprechungen – er zog es vor, mitten im Newsroom zu stehen, schnellfeuermäßig seine Befehle zu schreien und Arbeitsaufträge, Follow-ups und Rechercheaufgaben wie Konfetti über die Umstehenden zu verteilen. Harrimans Erfahrung nach wurde man aus zwei Gründen in Petowskis Büro zitiert: Entweder man sollte runtergeputzt oder rausgeschmissen werden.

Er stieg die letzten Stufen hoch und betrat durch die Drehtür die Lobby. Nicht zum ersten Mal seit dem vorhergehenden Tag plagten ihn Selbstzweifel, was den Artikel betraf – und die zugrunde liegende Theorie. Oh, natürlich war der Artikel vor der Veröffentlichung geprüft und durchgewunken worden, wie auch der Follow-up-Artikel, doch ihm war zu Ohren gekommen, dass er ziemlich heftige Reaktionen ausgelöst hatte. Aber wie sahen die aus? Waren die Artikel nach hinten losgegangen? Er betrat den Aufzug, schluckte schmerzhaft und drückte den Knopf für den achten Stock.

Als er den Newsroom betrat, wirkte der Raum ungewöhnlich ruhig. Für ihn hatte die Ruhe einen unheilvollen Unterton, etwas Lauschendes, Beobachtendes, als warteten die Wände nur darauf, dass etwas Übles passierte. Verflucht, konnte es wirklich sein, dass er die Sache total vergeigt hatte? Seine Theorie war ihm so vernünftig erschienen – doch er hatte sich ja schon einmal geirrt. Falls man ihn bei der Post hinausschmiss, musste er die Stadt verlassen, wenn er eine andere Stelle in der Zeitungsbranche finden wollte. Und jetzt, wo Zeitungen überall Auflage verloren und Kosten kürzten, würde es verdammt schwer werden, eine neue Anstellung zu finden, selbst bei seiner Reputation. Er könnte von Glück reden, wenn er eine Stelle bekäme, bei der er über Hunderennen in Dubuque schreiben durfte.

Petowskis Büro befand sich im hinteren Teil des riesigen Raums. Die Tür war geschlossen, die Jalousie am Fenster heruntergezogen – noch ein schlechtes Zeichen. Während sich Harriman zwischen den Schreibtischen hindurchschlängelte und dabei an mehreren Leuten vorbeiging, die bewusst so taten, als seien sie überaus beschäftigt, spürte er die Blicke aller auf sich ruhen. Er sah auf die Uhr: zehn. Es war Zeit.

Er näherte sich der Tür, klopfte schüchtern.

»Jaa?«, ertönte Petowskis schroffe Frage.

»Ich bin’s, Bryce«, sagte Harriman, wobei er sich ziemlich anstrengen musste, seine Stimme davon abzuhalten, zu kieksen.

»Kommen Sie rein.«

Harriman drehte den Türknauf und schob die Tür auf. Er machte einen Schritt in das Zimmer, blieb dann stehen. Es dauerte eine Weile, bis er das Bild verarbeitet hatte, das sich ihm dort bot. Das kleine Büro war gedrängt volclass="underline" Da war nicht nur Petowski, sondern auch Petowskis Chefin, die Geschäftsführerin; deren Chef, der Vorstandsvorsitzende; sogar Willis Beaverton, der bärbeißige alte Verleger selbst. Als sie Harriman sahen, brachen alle in Applaus aus.

Harriman hörte den Beifall wie im Traum. Er merkte, wie ihm die Hand geschüttelt wurde, spürte, wie ihm auf die Schulter geklopft wurde. »Brillante Arbeit, mein Sohn!«, erklärte Beaverton, der Verleger, und pustete ihn dabei mit seinem Zigarrenatem an. »Absolut brillant!«

»Sie haben unseren freien Verkauf verdoppelt, im Alleingang«, sagte Petowski, dessen übliche mürrische Miene einem gierigen Lächeln gewichen war. »Das war die auflagenstärkste Weihnachtsausgabe, die wir seit fast zwanzig Jahren hatten.«

Trotz der frühen Stunde holte jemand eine Flasche Champagner hervor. Es gab Trinksprüche, es gab lautes Klatschen und Lob. Beaverton hielt eine kurze Rede. Und dann gingen sie alle wieder hinaus, wobei jeder Harriman im Vorbeigehen gratulierte. Nach einer Minute war das Büro bis auf ihn und Petowski leer.

»Bryce, Sie sind da auf etwas ganz Großes gestoßen«, sagte Petowski, ging zurück hinter seinen Schreibtisch und schenkte sich den Rest des Champagners in einen Plastikbecher. »Reporter suchen ihr ganzes Leben nach einer derartigen Geschichte.« Er trank aus und ließ den Becher in den Papierkorb fallen. »Sie bleiben dran an dieser Enthaupter-Story, ja? Bleiben hart dran.«

»Das habe ich vor.«

»Ich hätte da allerdings einen Vorschlag.«

»Ja?«, fragte Harriman, plötzlich auf der Hut.

»Dieser Spin mit den Einprozentern gegen die Neunundneunzigprozenter. Das hat wirklich einen Nerv getroffen. Spielen Sie das hoch. Konzentrieren Sie sich auf die Einprozenter, diese rücksichtslosen Dreckskerle, und darauf, was sie dieser Stadt antun. Wird die Stadt zum Tummelplatz der Ultrareichen, während die übrigen, die im Dunkeln leben, kaum ihren Lebensunterhalt zusammenkratzen können? Haben Sie verstanden, was ich meine?«

»Selbstverständlich.«

»Und diese Formulierung, die Sie da in Ihrem letzten Artikel verwendet haben: Die Stadt der ›Endlosen Nacht‹. Die war gut. Verdammt gut. Machen Sie die zu einer Art Mantra, arbeiten Sie sie in jeden Artikel ein.«

»Gerne.«

»Ach, und noch etwas: Ab heute gebe ich Ihnen eine Gehaltserhöhung von hundert Dollar pro Woche.« Petowski beugte sich über den Schreibtisch und geleitete Harriman mit einem letzten Schlag auf die Schulter aus seinem Büro hinaus.

Harriman trat durch die Tür in den großen Newsroom. Seine Schulter tat noch ein bisschen weh nach Petowskis kräftigem Hieb. Während er in das Meer der Gesichter schaute, die seinen Blick erwiderten – und insbesondere in die verdrießlichen Mienen seiner jungen Rivalen –, registrierte er mit einer Art goldenem innerem Glühen das Aufsteigen eines Gefühls, das ganz anders war als irgendeines, das er bislang kannte: intensive, vollkommene und unübertreffliche Genugtuung.