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D’Agosta blickte kurz zu Pendergast hinüber, aber der wirkte in seinem Schutzanzug noch undurchsichtiger als üblich.

»Warum haben die Opfer nicht geschrien? Keiner hat irgendwas gehört.«

»Wir sind ziemlich sicher, dass noch eine andere Waffe beteiligt war. Vermutlich eine Schusswaffe. Auf bedrohliche Weise eingesetzt, um die beiden ruhig zu halten. Außerdem sind diese Türen extrem dick, und das gesamte Büro ist sehr gut schallisoliert.«

D’Agosta schüttelte den Kopf. Es war absolut verrückt, die beiden Vorstandschefs eines großen Unternehmens mitten in ihren Büroräumen zu töten, und zwar zur belebtesten Zeit, während die Überwachungskameras liefen und sich Hunderte Leute in der Nähe befanden. Er blickte noch einmal zu Pendergast. Im Unterschied zu seinem üblichen Herumgestocher mit Pinzette und Teströhrchen war er diesmal still und so gelassen, als würde er einen Spaziergang im Park unternehmen. »Also, Pendergast, haben Sie irgendwelche Fragen? Gibt es irgendetwas, das Sie sich ansehen möchten? Beweisstücke?«

»Im Augenblick nicht, danke.«

»Ich untersuche zwar nur die Blutspritzer«, sagte Martinelli »aber ich habe den Eindruck, der Mörder will uns eine Art Botschaft senden. Die Post schreibt, dass –«

D’Agosta schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Ich weiß, was die Post schreibt.«

»Okay, entschuldigen Sie.«

Endlich sagte Pendergast auch etwas. »Mr. Martinelli, hätte der Täter nicht blutüberströmt sein müssen, nachdem er zwei aufrecht stehende Menschen enthauptet hatte?«

»Das sollte man meinen. Allerdings ist der Griff an der Axt ungewöhnlich lang. Wenn der Täter in einer gewissen Entfernung gestanden und beide mit einem sauberen Streich enthauptet hätte, und wenn er flink genug gewesen wäre, beiseitezuspringen, um dem arteriellen Blutstrahl auszuweichen, als die Leichen zu Boden stürzten, könnte er so gerade eben davongekommen sein.«

»Würden Sie sagen, dass der Täter ein Könner im Gebrauch der Axt war?«

»Wenn man so sagen will, ja. Es ist gar nicht leicht, einen Menschen mit einem einzigen Hieb zu enthaupten, vor allem, wenn er steht. Und so etwas hinzubekommen, ohne mit Blut bespritzt zu werden – ja doch, das erfordert richtig viel Übung, würde ich sagen.«

D’Agosta schauderte.

»Vielen Dank, das wäre alles«, sagte Pendergast.

Pendergast und D’Agosta trafen den Mann von der Börsenaufsicht im Büro der Security im Keller an. Auf ihrem Weg nach unten, als sie durch die Lobby gingen, hatten sie vor dem Gebäude eine Menschenmenge gesehen. Zunächst dachte D’Agosta, es handle sich um die übliche ungebärdige Pressemeute, was natürlich auch stimmte, aber da waren auch andere Leute. Die Transparente und Sprechchöre legten nahe, dass es sich um eine Demonstration gegen die Einprozenter handelte. Diese verdammten New Yorker nutzen jeden Anlass, um zu protestieren.

»Wollen wir uns dort drüben unterhalten?«, sagte er und zeigte auf einen Sitzbereich im Warteraum. Die Techniker des NYPD waren schon dabei, die letzten Aufnahmen der Überwachungskameras herunterzuladen und aufzubereiten.

»Wo Sie möchten.«

Die drei nahmen Platz, der Mann von der Börsenaufsicht, Pendergast und D’Agosta.

»Also, Agent Meldrum«, sagte D’Agosta. »Setzen Sie uns doch bitte über die Ermittlungen der Börsenaufsicht in Kenntnis.«

»Gerne.« Meldrum reichte ihm eine Visitenkarte. »Ich lasse Ihnen die Akten in Kopie zukommen.«

»Vielen Dank.«

»Die Burches sind – besser gesagt: waren – ein Ehepaar, zweiundzwanzig Jahre lang. Damals, in der Finanzkrise haben sie ein betrügerisches Geschäftsmodell ausgeheckt, mit dem sie Menschen, die Hypotheken besaßen, um ihr Geld gebracht haben. 2012 ist die Sache dann aufgeflogen, und sie wurden festgenommen.«

»Und dafür sind sie nicht ins Gefängnis gewandert?«

Meldrum lächelte freudlos. »Gefängnis? Entschuldigen Sie bitte, Lieutenant, aber wo sind Sie in den letzten zehn Jahren gewesen? Ich kann Ihnen gar nicht sagen, an wie vielen Fällen ich gearbeitet habe, bei denen wir uns, anstatt einen Prozess anzustrengen, außergerichtlich geeinigt und eine Geldstrafe erhoben haben. Diese beiden Betrüger haben einen Klaps auf die Hand bekommen und in Windeseile einen neuen Abzockerladen aufgemacht – LFX Financial.«

»Und was macht der?«

»Er nimmt die Ehegatten von Soldaten und pensionierten Veteranen ins Visier. Dabei setzen die Burches zwei einfache Betrugsmodelle ein. Man gewinnt einen Soldaten in Übersee als Kunden. Der Ehegatte – normalerweise die Ehefrau – lebt hier in den Staaten, in wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen. Also drängt man die Ehefrau, eine Hypothek mit steigendem Zinssatz auf das Haus aufzunehmen. Zunächst mit kleinen Raten, dann aber wird der Zinssatz so hoch gesetzt, dass sich die Ehefrau die Raten nicht mehr leisten kann. LFX beschlagnahmt das Haus, verkauft es und streicht die Dollars ein.«

»Ist das legal?«

»Größtenteils. Allerdings gelten für Soldaten im aktiven Dienst besondere gesetzliche Vorschriften, die die beiden nicht befolgt haben. Und da komme ich ins Spiel.«

»Und worin besteht die zweite Betrugsmasche?«

»LFX identifiziert die Witwe eines Veteranen, die in einem schönen Haus wohnt, das vollständig abbezahlt ist. LFX überredet sie, eine kleine umgekehrte Hypothek aufzunehmen. Keine große Sache, so etwas wird ständig gemacht. Dann aber erzwingt LFX mit irgendeiner vorgeschobenen Begründung einen Ausfall der umgekehrten Hypothek: Nichtbezahlung der Hauseigentümerversicherung oder irgendeine andere erdichtete oder triviale Verletzung der vertraglichen Bestimmungen. Was so gerade eben als Vorwand ausreicht, um das Haus zu beschlagnahmen, zu verkaufen und obszön hohe Kosten für Mahngebühren, Bußgelder, Zinsen, Konventionalstrafen und andere überzogene Forderungen in Rechnung zu stellen.«

»Mit anderen Worten: Die beiden Chefs waren der Abschaum der Menschheit«, sagte D’Agosta.

»So kann man das ausdrücken.«

»Die Burches müssen sich viele Feinde gemacht haben.«

»Ja. Vor einiger Zeit ist es in diesem Gebäude sogar zu einer Schießerei gekommen – ein Soldat, der sein Haus verloren hatte, hat das Gebäude betreten, wild um sich geschossen und anschließend Selbstmord begangen.«

»Ah ja«, sagte D’Agosta. »Ich erinnere mich. Und Sie glauben, die beiden wurden von einem Betrugsopfer umgebracht, das sich rächen wollte?«

»Das ist eine vernünftige Hypothese, und das habe ich zunächst auch geglaubt, als man mich anrief.«

»Aber jetzt denken Sie das nicht mehr.«

»Nein. Es scheint mir ziemlich klar zu sein, dass es sich um denselben Psycho handelt, der auch die anderen drei Personen ohne Kopf ermordet hat, ein Rächer-Typ, der reiche Dreckskerle bestraft. Sie wissen schon, so wie es in diesen Artikeln in der Post behauptet wird.«

D’Agosta schüttelte den Kopf. So wenig er diesen Mistkerl Harriman ausstehen konnte, seine Theorie kam ihm zunehmend plausibel vor. Er warf Pendergast einen kurzen Blick zu; er musste ihn einfach fragen: »Und? Was denken Sie?«

»Sehr viel.«

D’Agosta wartete, aber schon bald wurde ihm klar, dass Pendergast sich nicht weiter zu der Sache äußern würde. »Das ist doch verrückt. Da werden zwei Menschen am helllichten Tag in einem geschäftigen Bürogebäude enthauptet. Wie ist der Mörder an der Security vorbeigekommen, wie ist er in das Büro gelangt, wie konnte er die beiden umbringen, ihre Köpfe abtrennen und das Gebäude verlassen, ohne dass jemand irgendetwas mitbekommen hat? Kommt mir unmöglich vor, so wie in einem von diesen ›Verschlossener Raum‹-Krimis von – wie hieß der noch gleich? – Dickson Carr.«

Pendergast nickte. »Meiner Meinung nach drehen sich die wichtigen Fragen nicht so sehr darum, wer die Opfer waren, warum sie ausgewählt wurden oder wie der Mord begangen wurde.«