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Und so war er wie unter einer Wolke gegangen und hatte seinen einsamen Kreuzzug im Internet fortgesetzt, wo er gegen Geld, Reichtum und Privilegien gewettert hatte. Er war ein einsamer Rufer in der Wüste gewesen – bis er sich schließlich, einem spontanen Entschluss folgend, jener Demonstration angeschlossen hatte. Und während er mit den Leuten redete und marschierte und noch mehr redete, wurde ihm klar, dass er endlich sein Volk und seine Berufung gefunden hatte.

Erst zwei Tage zuvor, während er in der New York Post über die Enthaupter-Morde gelesen hatte, war ihm eine Idee gekommen. Er würde ein Fegefeuer organisieren, einen symbolischen Scheiterhaufen wie jenen, den der Mönch Savonarola am 7. Februar 1497 auf dem Hauptplatz von Florenz entfacht hatte. An diesem Tag waren Tausende Florentiner Bürger Savonarolas Aufruf gefolgt, Gegenstände, die von Habgier und Eitelkeit kündeten, auf die große Piazza mitzubringen, diese Dinge aufzustapeln und in einem symbolischen Akt der Reinigung ihrer Seele zu verbrennen. Und die Bürger hatten mit ungeheurer Begeisterung darauf reagiert; sie hatten Kosmetika, Spiegel, pornografische Bücher, Spielkarten, reiche Gewänder, frivole Gemälde und weitere Erscheinungsformen weltlicher Habgier daraufgeworfen und anschließend in einem gigantischen »Fegefeuer der Eitelkeiten« in Brand gesetzt.

Und da hatte er wie aufs Stichwort in den sozialen Medien von der Demonstration gehört und sich ihr angeschlossen, worauf sich seine früheren Gedanken und Ideen um eine Vorstellung kristallisiert hatten: ein Fegefeuer der Eitelkeiten des 21. Jahrhunderts zu veranstalten. Gab es denn dafür einen geeigneteren Ort als New York City, das Florenz der Gegenwart, die Stadt der Milliardäre und Obdachlosen, der Reichsten und der Ärmsten, den mitternächtlichen Tummelplatz der Reichen und die mitternächtliche Grube der Verzweiflung der Armen?

Und so hatte der Ex-Jesuit Marsden Swope in den sozialen Medien an alle da draußen, die den Materialismus, den Narzissmus, die Gier, die Selbstsucht, die Ungleichheit und die spirituelle Leere unserer modernen Gesellschaft satthatten, einen bescheidenen Appell gerichtet. Er hatte sie dazu eingeladen, dieses neue Fegefeuer der Eitelkeiten aufzusuchen, das irgendwo in New York City stattfinden sollte. Um die Behörden zu verwirren und durcheinanderzubringen, werde man, so schrieb er, Ort und Zeit des Feuers bis zur letzten Minute geheim halten. Jedoch würde das Ganze in einem öffentlichen Raum stattfinden, einem sehr öffentlichen Raum, und es würde so schnell geschehen, dass die Behörden nicht genug Zeit haben würden, es zu stoppen. Seine Leser, seine Jünger, sollten sich vorbereiten und seine Anweisungen abwarten.

Die Idee, schrieb Swope, sei den brutalen Morden des Enthaupters entsprungen. Einer Person, die vorgab, das Böse in unserer Welt zu erkennen. Wenn man an Satan glaubte (und es gab viele Gründe dafür, diesem Glauben anzuhängen), begriff man, dass der Enthaupter in Wahrheit der Diener Satans war. Er schlug Kapital aus dem räuberischen Bösen der Einprozenter und ihrer Helfershelfer in den Unternehmen, die noch mehr Böses verbreiteten. Der Enthaupter hatte sich angemaßt, sich an die Stelle Gottes zu setzen und die Menschen selbst zu richten – die ultimative Ketzerei. Nein, er war ein Erfüllungsgehilfe, der die Gläubigen von ihrer wahren Pflicht abbrachte, nämlich den Balken im eigenen Auge zu bemerken, ehe man versuchte, den Splitter aus dem ihrer Brüder herauszuziehen. Diese anderen Demonstranten, diejenigen, die zur Vernichtung der Reichen aufriefen, waren ebenso die Diener Satans wie die Reichen selbst. Nein, man vernichtet nicht die Reichen – man tut das, was Jesus getan hat, und bekehrt sie.

Zu diesem Zweck hatte Swope ein Feuer der Sühne angeboten. Er bat alle, die daran teilnehmen wollten, irgendetwas Symbolisches mitzubringen, das verbrannt werden sollte, etwas, das für sie das Böse repräsentierte und das sie in sich selbst auslöschen wollten. Es sollte ein Symbol der Läuterung darstellen, der sich jeder zu unterziehen gedachte, der Erlösung, die sie alle zu erlangen hofften, der Sühne, die sie sich zu verdienen wünschten.

Seine bescheidenen Postings hatten einen Nerv getroffen. Zunächst gab es fast keine Reaktionen, dann gab es ein paar Retweets und vereinzelte Facebook-Shares. Doch plötzlich ging die Sache ab wie eine Rakete. Junge, Junge, war die Botschaft viral geworden! Achtzehn Stunden lang hatte sein Computer vor lauter Posts und Likes und Antworten auf seinen Appell nonstop gepingt: Es waren Hunderttausende. Die Leute waren fasziniert. Sie sehnten sich danach, sich zu läutern, sich vom Schmutz des Materialismus und der Habgier zu befreien. Zigtausende hatten Fotos von Dingen gepostet, die sie für sein Fegefeuer ausgewählt hatten. Es war wirklich erstaunlich, wie viele Menschen in der Dreistaatenregion geantwortet hatten. Sie alle warteten auf seine Ankündigung des Wann und Wo.

Das letzte Chicken McNugget verschwand in Swopes Mund; er kaute langsam und nachdenklich, schmeckte kaum etwas. Er trank die Flasche Kakao aus. Nachdem seine körperlichen Bedürfnisse befriedigt waren, räumte er seinen Tisch auf, entsorgte den Müll, ging zur Tür und trat in die bittere Dezemberkälte. Und dann lief er auf der 125th Street wieder zurück zu seiner Kellerwohnung und seinem uralten PC.

Und von dort würde er die Einwohner New Yorks weiter zusammenrufen, damit sie sich der guten Sache anschlossen.

36

Dr. Wansie Adeyemi war eine höchst imposante Erscheinung, wie sie da bei den Vereinten Nationen eintraf, um gegen zehn Uhr vor der Vollversammlung eine Rede zu halten. Charles Attiah war angefordert worden, um eine anderthalbfach bezahlte Schicht für die UN-Abteilung für Sicherheit und Security (DSS) zu übernehmen, wo er in der himmelhohen Lobby des Vollversammlungsgebäudes postiert wurde. Er gesellte sich den achtzig zusätzlichen DSS-Wachleuten zu, deren Aufgabe darin bestand, die Würdenträger und Delegationen, die zu der Rede eintrafen, sowie die Menschenmenge innerhalb des Gebäudes zu dirigieren. Zudem wollten sie Dr. Adeyemi sehen, die früher im Jahr den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Attiah war besonders begierig, sie zu Gesicht zu bekommen. Er hatte sogar darum gebeten, in diese Schicht eingeteilt zu werden, und zwar, weil er nigerianischer Abstammung war – und deshalb stolz auf Adeyemi, aktuell die UN-Botschafterin Nigerias und berühmteste Bürgerin des Landes – und ihre Rede vor der UNO unbedingt hören wollte.

Adeyemi war vor einer Stunde eingetroffen, mit großem Gefolge und eigenem Sicherheitsdienst. Sie trug spektakuläre nigerianische Kitenge-Kleidung, bedruckt mit umwerfenden, schwarz-weißen geometrischen Mustern und hellroten Borten. Dazu hatte sie ein glänzend orangefarbenes Seidentuch um den Kopf geschlungen. Sie war groß, stattlich, würdevoll und erstaunlich jung angesichts all ihrer Erfolge. Attiah war ganz begeistert von ihrem Charisma.

Tausende waren gekommen, um sie zu begrüßen, als sie unter Jubelrufen und dem Werfen gelber Rosen – ihrer Blume – durch die Lobby schritt. Es war eine Schande, dachte Attiah, dass sich Dr. Adeyemi, eine prominente Christin, aufgrund einer Fatwa, mehrerer Morddrohungen, ja sogar einem Attentatsversuch gezwungen gesehen hatte, mit einer großen Gruppe bewaffneter Sicherheitsleute anzureisen.

Attiah hatte mitgeholfen, die respektvolle Menschenmenge hinter den Samtkordeln in Schach zu halten, als Dr. Adeyemi durch das Spalier ging. Mittlerweile befand sie sich seit einer Stunde im Vollversammlungssaal und hielt dort eine Rede über HIV/Aids, in der sie um mehr Geld von den Regierungen der Welt für die Reihe von HIV-Kliniken bat, die sie in Westafrika gegründet hatte. Zwar konnte er Dr. Adeyemi nicht sehen, doch ihre Rede wurde live in die Lobby übertragen, um auch die Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen. Redegewandt sprach Adeyemi auf Englisch über die Arbeit ihrer Kliniken und den bemerkenswerten Rückgang neuer HIV-Infektionen aufgrund der Bemühungen ihrer Organisation. Tausende Menschenleben waren wegen ihrer Kliniken gerettet worden, die nicht nur lebensrettende Medikamente, sondern auch Bildungsprogramme zur Verfügung stellten. All dies hatte sie jedoch zur Zielscheibe der Islamisten von Boko Haram gemacht, die behaupteten, ihre Kliniken stellten ein Komplott des Westens dar, um muslimische Frauen sterilisieren zu können, und die deshalb Bombenanschläge in mehreren der Hospitäler verübt hatten.