Выбрать главу

»Und wenn ich das nicht tue?«, fragte Harriman mit erstickter Stimme.

»Dann lassen wir das Geld einfach dort liegen, wo es sich befindet. Schon bald wird auffallen, dass Geld fehlt, und dann wird eine ziemlich listige Untersuchung die Spur finden und den Inhaber jenes Nummernkontos aufdecken. Sollten die Ermittler irgendwelche Probleme bekommen, werden wir ihnen natürlich nur allzu gerne ein wenig anonyme Hilfe leisten.«

»Das …« Harriman hielt inne, um durchzuatmen. »Das ist Erpressung.«

»Und Sie verfügen weder über die Kenntnisse noch die Mittel, diese ungeschehen zu machen. Die Uhr tickt. In diesem Moment wird auffallen, dass das Geld fehlt. Am besten, Sie beeilen sich.«

Ozmian verlagerte seine Haltung in dem Stuhl. »Wie Ms. Alves-Vettoretto sagt, es ist wirklich ganz einfach. Sie müssen nur eines tun: unseren beiden Bedingungen zustimmen – von denen keine schwer zu erfüllen ist. Wenn Sie das tun, sind alle zufrieden, und keiner geht ins Gefängnis.«

Harriman fasste es kaum, was er da hörte. Vor fünf Minuten noch war er ein umschwärmter Reporter gewesen, jetzt wurde ihm finanzielle Untreue in die Schuhe geschoben, und das zulasten seiner verstorbenen Freundin. Und er saß da, kaum fähig, sich zu bewegen, während vor seinem inneren Auge ein Dutzend Szenarien – keines davon gut – erschien. Schaudernd wurde ihm klar, dass er keine Wahl hatte.

Er schwieg und nickte.

»Ausgezeichnet«, sagte Ozmian, wobei sich in seinen Gesichtszügen noch immer keinerlei Ausdruck zeigte. »Ms. Alves-Vettoretto hier wird Ihnen die wichtigsten Stichpunkte für Ihren Artikel über Grace geben.«

Die Frau auf Harrimans anderer Seite griff wieder in ihre Aktentasche, zog ein Blatt Papier hervor und reichte es ihm.

»Und damit wäre unser Geschäft besiegelt.« Ozmian stand auf und ging zurück hinter seinen Schreibtisch. »Ms. Alves-Vettoretto, würden Sie bitte Mr. Harriman zum Aufzug begleiten?«

Zwei Stunden später – er war zurück in seiner Wohnung – lag Harriman auf dem Wohnzimmersofa, von dem er sich nicht fortbewegt hatte, seit er aus dem DigiFlood-Tower zurückgekehrt war und online nachgeprüft und entdeckt hatte, dass das Konto tatsächlich leer war. Seine wunderschöne Karriere stand auf dem Spiel, sie könnte einem gewieften, schändlichen Erpressungsversuch zum Opfer fallen. Und seine wunderschöne Theorie lag auch in Trümmern. Von beiden Katastrophen war erstere die größere. So sehr er auch die Idee hasste, der Story seines Lebens verlustig zu gehen, die Schande hasste er noch mehr – die Scham und die Schmach, wenn alle Leute glaubten, er hätte Geld aus dem Gedenkfonds für seine tote Freundin veruntreut. Die Demütigung und der Skandal wären fast schlimmer als die lange Haftstrafe, die mit Sicherheit darauf folgen würde.

Aber was sollte er machen? Wie sollte er diese verlogene Grace-Ozmian-Story, auf die ihr Vater beharrte, diese jähe Kehrtwendung glaubhaft aussehen lassen? Möglicherweise konnte er ja irgendeine Herzblatt-Story schreiben, auf das Gute in Grace’ Leben hinweisen und versuchen, sie als Versuch eines löbliches Ausgleichs nach all der schlechten Presse zu positionieren, wobei die Moral der Geschichte wäre, dass selbst die bösesten Schurken eine gute Seite hatten. Aber das würde bei seinem Chefredakteur bei der Post gar nicht gut ankommen, einer Zeitung, die ihre Schurken so sehr liebte. Wahrscheinlich würde er den Artikel nicht einmal genehmigt bekommen. Allein schon bei dem Gedanken, der Erpressung nachzugeben, wurde ihm ganz anders. Mit seinem ganzen Wesen revoltierte er dagegen, vor diesem arroganten Mistkerl von Milliardär zu kuschen.

Je länger Bryce Harriman darüber nachdachte, desto mehr versuchte er, der frischgebackene Star, der Liebling der Zeitungen und der Ätherwellen, sich wieder zu behaupten. Niederträchtige Lügen, hatte Ozmian gesagt. Rufmord. Tja, alles, was du kannst, kann ich noch besser. Ozmians Erpressung – vielleicht könnte das eine Story für sich sein. Er, Harriman, hatte die ganze Macht der Post hinter sich, von Paul Petowski ganz bis nach oben zu Beaverton, dem Verleger. Mehr noch, er besaß darüber hinaus die Unterstützung der New Yorker Bevölkerung.

Er würde sich diesen Scheiß nicht gefallen lassen. Es war an der Zeit, noch etwas tiefer zu graben – und zwar diesmal in Anton Ozmians Vergangenheit. Und schon bald, dessen war er sich sicher, hätte er genügend Schmutz aus Ozmians Vergangenheit ausgegraben, um den Spieß umdrehen und dieses abgekartete Spiel beenden zu können. Und wer weiß? Möglicherweise konnte die Story ja die Aufmerksamkeit von seinen eigenen Problemen mit der verstorbenen Heiligen der Vereinten Nationen ablenken.

Mit einem Mal erfüllte ihn eine neu erwachte Zielstrebigkeit. Harriman sprang vom Sofa auf und lief zu seinem Laptop.

38

Als D’Agosta durch den Eingang an der Second Avenue die nigerianische Botschaft bei den Vereinten Nationen betrat, fiel ihm sofort die düstere Atmosphäre in der Eingangshalle auf. Das hatte jedoch nichts mit den Absperrungen vor dem Gebäude zu tun, auch nicht mit der starken, durch nigerianische Sicherheitskräfte ergänzten Präsenz des NYPD. Sondern vielmehr mit den schwarzen Armbinden, die praktisch alle Leute in Sichtweite trugen; mit den verloren wirkenden, niedergeschlagenen Gesichtern, an denen er vorbeiging; mit den kleinen Grüppchen, die sich in betrübtem Ton unterhielten. Es schien, als habe man dem Gebäude das Herz herausgerissen. Was ja auch der Fall war, denn Nigeria hatte kurz zuvor Dr. Wansie Adeyemi, seine vielversprechendste Politikerin und frischgekürte Nobelpreisträgerin, an den Enthaupter verloren.

Und doch konnte, wie D’Agosta wusste, Dr. Adeyemi nicht so heilig sein, wie man es den Leuten weismachen wollte. Es passte einfach nicht zu der Theorie, an die er glaubte und die auch von der Task Force des NYPD begeistert vertreten wurde. Irgendwo im Leben der Dame würde er die grausame und schmutzige Vergangenheit finden, über die der Mörder Bescheid gewusst hatte. Früher am Nachmittag hatte er Pendergast angerufen und war mit ihm verschiedene Wege durchgegangen, wie man den »rauchenden Colt« finden konnte, der doch irgendwo in der Vergangenheit der Frau versteckt sein musste. Pendergast hatte schließlich vorgeschlagen, ein Gespräch mit jemandem von der nigerianischen Vertretung zu vereinbaren, der mit Dr. Adeyemi gut bekannt gewesen war, und angeboten, alles zu arrangieren.

D’Agosta und Pendergast gingen durch mehrere Sicherheitsschleusen und zeigten mehrmals ihre Ausweise, bis sie schließlich im Büro des nigerianischen diplomatischen Geschäftsträgers standen. Dieser wusste von ihrem Kommen und führte sie trotz der Menschen, die überall herumliefen, und des schweren Mantels der Tragödie, der über allem lag, persönlich den Flur entlang zu einer unscheinbaren Tür mit dem Schild OBAJE, F. Er öffnete die Tür – und zum Vorschein kam ein kleines, gepflegtes Büro mit einem ebenso gepflegten Mann hinter einem tadellos aufgeräumten Schreibtisch. Der Mann war klein und drahtig und hatte kurz geschnittenes Haar.

»Mr. Obaje«, sagte der Chargé d’affaires mit ausdrucksloser Stimme, »das hier sind die Herren, deren Kommen ich Ihnen angekündigt habe. Special Agent Pendergast vom FBI und Lieutenant D’Agosta von der New Yorker Polizei.«

Der Mann erhob sich hinter seinem Schreibtisch. »Natürlich.«

»Vielen Dank«, sagte der Chargé d’affairs. Er nickte erst Pendergast und dann D’Agosta zu und verließ das Büro mit der Ausstrahlung eines Mannes, der soeben einen Familienangehörigen verloren hatte.