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Der Mann hinter dem Schreibtisch schaute seine beiden Gäste an. »Ich bin Fenuku Obaje, Verwaltungsassistent in der ständigen Vertretung Nigerias bei der UN.«

»Wir wissen es außerordentlich zu schätzen, dass Sie sich in dieser tragischen Zeit einen Augenblick Zeit nehmen, um mit uns zu sprechen«, sagte Pendergast.

Obaje nickte. »Bitte nehmen Sie Platz.«

Pendergast setzte sich, D’Agosta folgte seinem Beispiel. Verwaltungsassistent? Wie es aussah, wollte man sie mit irgendeinem niederen Beamten abspeisen. Etwas Besseres hat Pendergast nicht hinbekommen? Er beschloss, mit seiner Kritik so lange hinter dem Berg zu halten, bis sie mit dem Diplomaten gesprochen hatten.

»Zunächst«, sagte Pendergast, »möchte ich Ihnen unser tiefstes Beileid aussprechen. Dr. Adeyemis Tod stellt einen schrecklichen Verlust dar, nicht nur für Nigeria, sondern für alle friedliebenden Menschen und Völker.«

Obaje machte eine Geste des Dankes.

»Wenn ich recht informiert bin, haben Sie Dr. Adeyemi gut gekannt«, fuhr Pendergast fort.

Wieder nickte Obaje. »Wir sind quasi zusammen aufgewachsen.«

»Ausgezeichnet. Mein Kollege, Lieutenant D’Agosta, möchte Ihnen lediglich einige Fragen stellen.« Und damit drehte sich Pendergast demonstrativ zu D’Agosta um.

D’Agosta begriff sofort: Pendergast platzte vor Ungeduld, er wollte den Lack der Heiligkeit abkratzen und an die schmutzigen Details in Adeyemis Vergangenheit herankommen. Freundlicherweise überließ er ihm die Führung dabei. Der Ball war in seinem Feld. Er verlagerte das Gewicht auf seinem Stuhl.

»Mr. Obaje«, sagte er. »Sie haben uns gerade eben gesagt, Sie und Dr. Adeyemi seien quasi gemeinsam aufgewachsen.«

»Das ist übertrieben. Wir haben zusammen studiert. An der Benue State University, in Makundi – wir beide gehörten dem ersten Abschlussjahrgang 1996 an.« Kurz erhellte ein stolzes Lächeln den Ausdruck des Schmerzes, der seine Gesichtszüge furchte.

D’Agosta hatte sein Notizbuch hervorgeholt und notierte sich das. »Entschuldigen Sie – was ist Benue?«

»Einer der neueren nigerianischen Bundesstaaten, gegründet 1976. Die Kornkammer des Landes –«

»Verstehe.« D’Agosta machte sich weiter Notizen. »Und Sie kannten Dr. Adeyemi gut, als Sie zusammen auf der Universität waren?«

»Wir waren einigermaßen gut bekannt, sowohl an der Uni als auch in den unmittelbar darauffolgenden Jahren.«

Unmittelbar darauffolgend. Gut. »Mr. Obaje, mir ist durchaus bewusst, dass Sie eine sehr schwierige Zeit durchleben, aber ich muss Sie trotzdem bitten, so offen wie möglich mit uns zu sein. Wir versuchen eine Reihe von Morden aufzuklären – nicht nur den Mord an Dr. Adeyemi, sondern auch mehrere andere. Also, alles, was ich über Dr. Adeyemi gehört habe, war äußerst lobend. Für die Menschen ist sie eine Art Heilige.«

»In Nigeria haben wir sie im Grunde genommen genau dafür gehalten.«

»Warum genau ist das so?«

Obaje breitete die Hände aus, als gäbe es zu viele Gründe, um sie alle aufzuzählen. »Das ist doch alles bekannt. Dr. Adeyemi wurde zur jüngsten Gouverneurin des Bundesstaates Benue gewählt, wo sie zahlreiche Maßnahmen einleitete, die darauf abzielten, die Armut zu bekämpfen und das Bildungssystem zu verbessern, ehe sie letztlich nach Lagos ging. Später dann hat sie in Westafrika eine Reihe von HIV-Kliniken gegründet. Daneben gründete sie fast im Alleingang eine Vielzahl von Bildungsprogrammen. Trotz ständiger Androhung von Gewalt und ohne Gedanken an ihre persönliche Sicherheit hat sie mutig eine Botschaft des Friedens in unseren Nachbarstaaten verbreitet. Alle diese Initiativen haben Tausende Menschenleben gerettet.«

»Das klingt beeindruckend.« D’Agosta machte sich weiter Notizen. »Doch mir ist oftmals aufgefallen, Mr. Obaje, dass, wenn jemand besonders rasch im Leben aufsteigt, dies geschieht, indem er anderen auf die Füße tritt. Ich hoffe, Sie entschuldigen die Frage, aber hat Dr. Adeyemi ihre Erfolge auf Kosten anderer erzielt?«

Obaje runzelte die Stirn, als verstünde er die Frage nicht. »Wie meinen Sie?«

»Hat sie andere Menschen beiseitegedrängt, um ihre persönlichen Erfolge zu sichern?«

Obaje schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Nein, natürlich nicht. Das war nicht ihre Art.«

»Wie steht’s mit ihrer Vergangenheit? Ihrer Familie? Haben Sie je irgendwelche Gerüchte über ihre Angehörigen gehört? Sie wissen schon – Missetaten der einen oder anderen Art? Vielleicht, beispielsweise, dass ihr Vater sein Vermögen durch skrupellose Geschäfte gemacht hat.«

»Ihr Vater ist gestorben, als sie zwölf war. Nicht lange danach ist ihre Mutter in ein Kloster eingetreten, und ihr einziger Bruder hat sich in ein Priesterseminar eingeschrieben und ist schließlich Priester geworden. Wansie hat es ganz ohne fremde Hilfe zu etwas gebracht in der Welt – auf ehrliche Weise.«

»Auf sich allein gestellt in so jungen Jahren – das ist nicht leicht, ganz gleich, wo man lebt. Hat sie möglicherweise Abkürzungen genommen, um voranzukommen, oder hat sie – Sie sind doch ein Mann von Welt, Mr. Obaje – geglaubt, ihr Einkommen auf gewisse, äh, altehrwürdige Weise aufbessern zu müssen?«

Obajes Trauermiene wandelte sich, jetzt spiegelte sich darin Erstaunen und Beleidigtsein. »Selbstverständlich nicht, Lieutenant. Offen gestanden beunruhigt und entsetzt mich diese Art der Befragung.«

»Entschuldigen Sie bitte.« Ist besser, ein klein bisschen zurückzurudern. »Ich versuche nur dahinterzukommen, ob sie irgendwelche Feinde hatte, die ihr möglicherweise übel gesinnt waren.«

»Sie hatte sicher Feinde. Mehrere dschihadistische Gruppen haben die HIV-Kliniken und Dr. Adeyemis Bemühungen um die Ausbildung von Frauen mit allen Mitteln bekämpft. Meines Erachtens ist das eine Spur, der Sie nachgehen sollten.«

»War Dr. Adeyemi verheiratet?«

»Nein.«

»Gab es Männer oder vielleicht Frauen, mit denen sie eine Beziehung hatte? Ich meine, von einer besonders engen Art.«

Obaje antwortete mit einem kategorischen »Nein«.

D’Agosta brauchte zwar nicht lange, um seine Antwort darauf zu notieren, tat aber so, als würde er sich zusätzlich umfangreiche Notizen machen. Schließlich sah er wieder hoch. »Sie sagten, Sie hätten die Botschafterin während des Studiums und danach gekannt.«

Obaje nickte knapp. »Eine Zeit lang, ja.«

»Haben Sie – nochmals, bitte verzeihen Sie meine Direktheit, aber es ist unsere Pflicht, schwierige Fragen zu stellen – in dieser Zeit jemals Klatschgeschichten über sie gehört, irgendetwas, das ein schlechtes Licht auf sie werfen könnte?«

Daraufhin stand Obaje auf. »Nein, und ehrlich gesagt bestürzt mich der Tenor Ihrer Fragen. Sie sind in mein Büro gekommen mit der offensichtlichen Absicht, Dr. Adeyemis Ruf zu schädigen. Lassen Sie mich Ihnen eines sagen, Lieutenant: Dr. Adeyemis Leumund ist über jeden Zweifel erhaben, und Sie werden nichts, nirgendwo, finden, das Sie zu einer anderen Schlussfolgerung führen wird. Ich weiß zwar nicht, was hinter Ihrem Kreuzzug steckt, aber ich werde weder diesen noch Sie länger dulden. Das Treffen ist hiermit beendet. Und nun, Sir, verlassen Sie bitte freundlicherweise dieses Büro und dieses Gebäude.«

Draußen auf der Straße steckte D’Agosta sein Notizbuch wütend in die Manteltasche. »Ich hätte damit rechnen müssen«, grummelte er. »Diese gottverdammte Schönfärberei. Aus der Dame eine Märtyrerin zu machen.« Er schüttelte den Kopf. »Verwaltungsassistent. Verdammt noch mal!«

»Mein lieber Vincent«, sagte Pendergast und schlang den Mantel enger um seine schmale Gestalt, »lassen Sie mich Ihnen etwas über Mr. Obaje erzählen. Sie haben doch vernommen, dass er Ihnen sagte, Dr. Adeyemi sei die jüngste Gouverneurin des Bundesstaates Benue gewesen?«

»Ja. Und?«

»Was er Ihnen nicht verraten hat, ist, dass er für den gleichen Gouverneursposten kandidiert hat. Zu der Zeit war Obajes politischer Stern im Aufstieg begriffen. Man erwartete große Dinge von ihm. Doch er verlor die Wahl – erdrutschartig. Danach ist Obajes Stern weiter gesunken. Und nun findet man ihn hier, als Verwaltungsassistenten in der nigerianischen Botschaft, und seine Karriere ist beendet, und zwar dank Dr. Adeyemi – auch wenn sie natürlich keine Schuld daran trägt.«