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Und die Geschichte, die er zu erzählen hatte, war der Hammer.

Während er sich auf den Weg zum Logan Airport machte, lehnte sich Harriman auf dem Rücksitz zurück und ging seine Notizen durch. Sanderton war damals vor dreißig Jahren in der Mittagsmesse gewesen – die von Pater Anselm gelesen wurde, einem der angeseheneren Priester der Kirche –, als sich mitten in der Predigt die Kirchentür öffnete und der jugendliche Anton Ozmian erschien. Wortlos ging er bis zum Chor, stieß den Altartisch um, schnappte sich ein Kruzifix, schwang es wie einen Baseballschläger gegen Pater Anselm, stieß diesen zu Boden und fuhr dann fort, ihm die Seele aus dem Leib zu prügeln. Nachdem Ozmian den Priester blutend und bewusstlos vor der Kanzel liegen gelassen hatte, hatte er das blutige Kruzifix auf die ausgestreckt auf dem Boden liegende Gestalt fallen lassen, sich umgedreht und war ebenso ruhig aus der Kirche hinausgegangen, wie er hereingekommen war. In seinem Gesicht zeigte sich keinerlei Anzeichen von Wut – nur kühle Absicht. Erst Monate später konnte Pater Anselm wieder normal sprechen und gehen, und kurz darauf zog er in ein Heim für pensionierte Priester und verstarb nicht lange danach.

Harriman rieb sich die Hände vor kaum verhohlener Freude. Das Ganze hatte sich so schnell zu seinen Gunsten entwickelt, dass es an Zauberei grenzte. Noch beim Frühstück hatte er nichts in Händen gehalten, und jetzt am Nachmittag hatte er den Beweis für eine Story über Ozmian, die so grässlich und brutal war – einen Priester mit einem Kruzifix beinahe zu Tode zu prügeln! –, dass er Ozmian damit seinen Willen aufzwingen konnte. Zwar behauptete der, nichts auf die Meinung der Leute zu geben, doch diese entsetzliche Enthüllung würde mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit den Aufsichtsrat dazu bringen, ihn von seinem Posten abzuberufen. DigiFlood war in der ersten Zeit von mehreren Toprisikokapitalunternehmen und Hedgefonds unterstützt worden, vom erheblichen Investment von Microsoft ganz zu schweigen. Diese Unternehmen hatten einen Ruf zu schützen, und sie hielten mehr als fünfzig Prozent der Aktien von DigiFlood. Ja, Harriman war überzeugt davon, dass Ozmian aus dem Unternehmen hinausgedrängt werden würde, sollten seine Enthüllungen veröffentlicht werden.

Es war merkwürdig, dass es keine Anklage wegen Körperverletzung gegeben hatte – bis Harriman herausfand, dass Ozmians Familie eine beträchtliche Summe an die Gemeinde »gespendet« hatte. Das war das letzte Stück in dem Puzzle.

Es war perfekt. Besser als perfekt. Erstens hatte er dadurch etwas – außer Adeyemi, deren bleibende Heiligkeit sich als höchst ungelegen erwies –, worüber er schreiben konnte. Zweitens handelte es sich um eine Geschichte, die zu ignorieren Ozmian sich nicht leisten konnte. Als das Taxi am Flughafen vorfuhr, stellte sich Harriman nur noch eine Frage: Sollte er als Erstes die Geschichte herausbringen und Ozmian auf diese Weise neutralisieren? Oder sollte er erst einmal Ozmian aufsuchen und damit drohen, sie zu veröffentlichen, um ihn auf diese Weise zur Aufgabe seines Erpressungsversuchs zu zwingen?

Während Harriman darüber nachdachte, fielen ihm Ozmians höhnische Sätze ein, und sie taten immer noch genauso weh wie zum Zeitpunkt, als er sie zum ersten Mal gehört hatte. Es ist wirklich ganz einfach. Sie müssen nur eines tun: unseren beiden Bedingungen zustimmen – von denen keine schwer zu erfüllen ist. Wenn Sie einwilligen, sind alle zufrieden, und keiner geht ins Gefängnis. Damit war die Sache beschlossen: Er würde die Geschichte Ozmian persönlich vorlegen und drohen, ihn damit zu ruinieren. Das wäre ausgleichende Gerechtigkeit. Mehr noch, er konnte es gar nicht erwarten, Ozmians Gesicht zu sehen, wenn er ihm den Artikel unter die Nase hielt.

Harriman freute sich aufs Neue darüber, auf welch brillante Weise er das Mittel gefunden hatte, es mit diesem Industriekapitän aufzunehmen – und ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen hatte.

42

Was für ein Tag es doch für Marsden Swope gewesen war. Die Demonstrationen gegen die Einprozenter hatten wirklich Fahrt aufgenommen. Twitter, Facebook und Instagram quollen förmlich über von Protestaufrufen. Die meisten Demonstranten hatten sich um den neuen Wolkenkratzer an der Park Avenue 432, dem höchsten Wohngebäude der Welt, versammelt, in dem eine Wohnung bis zu hundert Millionen Dollar kostete. Irgendwie schien das Gebäude – obwohl es nicht mit den Morden zusammenhing – für die Demonstranten das Symbol schlechthin für die Habgier, das Übermaß und die Großtuerei geworden zu sein, zum perfekten Beispiel für die Übernahme der Stadt durch die Ultrareichen.

Und so war er dort hingegangen, um sich das Ganze einmal aus der Nähe anzusehen. Und was für ein Bild sich ihm da bot: Reihe um Reihe von Demonstranten skandierten ihre Sprüche, blockierten die Eingänge des Wolkenkratzers, der Verkehr ringsum war komplett zusammengebrochen. Und dann war ein Tweet gepostet worden, in dem um Eier gebeten wurde – und der sofort viral geworden war. Binnen Minuten hatten die Demonstranten die Nachbarschaftsläden leer gekauft und warfen die Eier von allen Seiten gegen die Fassade, sodass ein tropfender gelber Glibber den schneeweißen Marmor und die schimmernden Glasfronten überzogen hatte. Die Polizei kam, die Gegend wurde abgesperrt, und Swope war im letzten Moment entkommen, indem er seinen Mantel wegwarf und sich in seiner Soutane mit abgewetztem Kollar als Priester ausgab.

Mehr denn je hatte das Handgemenge ihn davon überzeugt, dass Gewalt nicht die Antwort war, dass die Einprozenter und die Antieinprozenter alle Teil derselben Verschwörung aus Hass, Bösem und Gewalt waren. Endlich begriff er, dass er nicht länger warten konnte – er musste handeln, um dem Wahnsinn, der sich auf allen Seiten erhob, Einhalt zu gebieten.

Es war ein paar Minuten nach ein Uhr morgens, als Swope die Grand Army Plaza überquerte und sich in die winterliche Feste des Central Park begab. Als er die Fifth Avenue entlanggegangen war, musste er sich den Weg durch Grüppchen lachender, betrunkener Neujahrs-Nachtschwärmer bahnen, doch jetzt, da er sich weiter in den Park hineinbegab, vorbei am Zoo und am Wollman Rink, waren es nicht mehr so viele, bis er schließlich zum Glück in Ruhe gelassen wurde.

Es ging ihm viel durch den Kopf. Nach diesem jüngsten Mordfall schien die Stadt überzukochen. Es war nicht nur der Protest an der Park Avenue 432. Es kursierten auch Geschichten, wonach die Superreichen flüchteten. Irgendein Typ hatte einen Blog gestartet, in dem er die Privatjets aufführte, die vom Flughafen Teterboro abhoben, mit riesigem Teleobjektiv geschossene Fotos, die einzelne Milliardäre und ihre Familien zeigten, wie sie in ihre Gulfstreams und Learjets und modifizierten B727er stiegen – Hedgefonds-Manager, Industriekapitäne, russische Oligarchen und saudi-arabische Prinzen. Die Demonstrationen, die die Taten des Enthaupters befürworteten, wie auch die Teilnehmerzahl des »Nieder-mit-den-Einprozentern«-Pöbels waren größer geworden. Eine Demonstration hatte die Wall Street vier Stunden lang blockiert, bis die Polizei sie schließlich auflöste.

Auch die Reaktionen auf seinen Aufruf zu einem Fegefeuer der Eitelkeiten hatten enorm zugenommen – ja, es waren so viele, dass er sich sagte, dass die Zeit reif war, seine Pläne in die Tat umzusetzen. Es war ein echtes Wunder – weit über hunderttausend Menschen hatten geantwortet und behauptet, sich auf den Weg nach New York City zu machen beziehungsweise, wenn sie sich bereits dort aufhielten, seine Ankündigung erwarteten, wo und wann das Feuer stattfinden sollte. Die Zeitungen nannten New York die »Stadt der Endlosen Nacht«. Nun, so war es wirklich, doch mit Gottes Hilfe würde er sie in die »Stadt der Endlosen Gerechtigkeit« verwandeln. Er würde allen zeigen, Reichen wie Armen, dass jeglicher Reichtum und jedweder Luxus dem ewigen Leben entgegenstanden.