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Ida war gerade in ihrem Labor und entwickelte Fotos, die sie von den steinernen Löwen der Stadt gemacht hatte. Überall an den Wänden hingen sie, sitzende, schreitende, brüllende, rund- und spitzmäulige Löwen, mit und ohne Flügel, Ida las den Aufruf von Dottor Massimo und seufzte. »Weißt du, wo Scipio ist?«, fragte sie Wespe, die ihr beim Entwickeln zusah.

Aber Wespe schüttelte nur den Kopf. »Wir wissen es alle nicht«, sagte sie. »Nicht mal Prosper.«

»Man sollte dem dottore eine Nachricht zukommen lassen«, brummte Victor. »Auch wenn der Herr der Diebe das anders sieht.« Ida nickte. »Ja, das denke ich auch. Bin gleich zurück«, sagte sie zu Wespe und ging mit Victor in den salotto, wo Barbarossa sich gelangweilt auf dem Sofa rekelte und in einem Buch über Venedigs Kunstschätze blätterte.

»Ich habe nichts angerührt«, sagte er mürrisch, als Ida mit Victor hereinkam. Schon bei Morgengrauen hatte er das Haus wachgeschrien, als er feststellte, dass Ida ihn im salotto eingeschlossen hatte.

»Das will ich dir auch nicht geraten haben, Rotlöckchen«, knurrte Victor.

Ida setzte sich an ihren Sekretär und schrieb etwas auf eine Karte. Die reichte sie dann Victor.

»Lieber Dottor Massimo!«, las er. »Ich möchte Ihnen mitteilen, dass es Ihrem Sohn Scipio gut geht. Allerdings möchte er im Moment nicht nach Hause zurückkehren, und ich fürchte, dass er es auch in nächster Zeit nicht vorhat. Er erfreut sich bester Gesundheit, weiß, wo er schlafen kann, und leidet auch sonst keinen Mangel. Ich bedaure, Ihnen nicht mehr sagen zu können.

Mit freundlichen Grüßen.

Eine Freundin Ihres Sohnes.«

»Könntest du die Karte bei den Massimos in den Briefkasten werfen?«, fragte Ida. »Ich würde das ja auch Giaco erledigen lassen, aber seit Prosper mir erzählt hat, dass er dem Conte den Grundriss meines Hauses verkauft hat, traue ich ihm nicht mehr.«

»Kein Problem«, sagte Victor und steckte die Karte ein. »Kann ich sonst noch irgendwie zu Diensten sein?«

»Was ist mit der Tante?«

Barbarossa rutschte vom Sofa. Mit verschränkten Armen baute er sich vor Ida auf und blickte zu ihr hoch. »Es ist bereits nach zehn. Ich schlage vor, Sie rufen sie endlich an, damit sie herkommt und ich sie mir ansehen kann.«

Victor hatte schon eine unfreundliche Antwort auf den Lippen, als Wespe den Kopf durch die Tür schob.

»Ich habe die Fotos zum Trocknen aufgehängt, Ida«, sagte sie. »Soll ich sonst noch was machen?«

»Ja. Du könntest Prosper und Bo Bescheid sagen«, antwortete Ida und warf Barbarossa einen ärgerlichen Blick zu. »Ich werde gleich ihre Tante anrufen. Vielleicht wollen sie dabei sein.«

Prosper und Bo spielten mit Riccio und Mosca Fußball auf dem Campo. Als Wespe herunterkam und ihnen erzählte, dass Ida tatsächlich ausprobieren wollte, ob Scipios verrückte Idee funktionierte, liefen sie alle mit ins Haus.

Ida saß schon neben dem Telefon, als die vier hereindrängten. Eilig hockten sie sich auf den Teppich, Wespe und Prosper vorsorglich an Bos Seite, damit sie ihm den Mund zuhalten konnten, falls er kichern

musste. Barbarossa thronte in Idas bestem Sessel wie ein König, dem eine Truppe unwerter Schauspieler etwas vorführen wollte.

»Dass du dir wegen dieses Bürschchens solche Mühe machst«, raunte Victor Ida zu. »Guck dir das Kerlchen bloß an, wie er da sitzt.«

»Genau deshalb mache ich mir die Mühe: damit er den Barmherzigen Schwestern erspart bleibt«, flüsterte Ida zurück. »Außerdem könnte es Bo und Prosper helfen. Ich glaube, Prosper macht sich immer noch Sorgen, dass seine Tante es sich wegen Bo wieder anders überlegen könnte. Geben wir ihr.«, sie lächelte Barbarossa zu, der sie und Victor argwöhnisch beobachtete, ». das Rotbärtchen.«

»Na, wenn du es so siehst«, brummte Victor. »Du kannst italienisch mit ihr sprechen.«

»Umso besser«, sagte Ida, griff zum Telefon und wählte die Nummer des Hotels, in dem die Hartliebs untergekommen waren. Es hatte Victor nicht viel Mühe gekostet, den Namen herauszufinden. »Buon giorno!«, sagte Ida mit fester Stimme, als sich am anderen Ende der Portier meldete. »Hier spricht Schwester Ida vom Orden der Barmherzigen Schwestern. Könnte ich wohl bitte mit Signora Esther Hartlieb sprechen?«

Es dauerte eine Weile, bis Esthers Stimme aus dem Hörer drang. »Ah, guten Morgen, Signora Hartlieb«, sagte Ida. »Die Rezeption hat Ihnen gesagt, wer ich bin? Gut. Es geht um Folgendes, Signora. Gestern Nacht hat die Polizei zwei Jungen in unser Waisenhaus gebracht. Eine unserer Schwestern hat sofort erkannt, dass es sich um Ihre Neffen handelt, nach denen Sie mit Plakaten in der ganzen Stadt suchen lassen.« Ida machte eine Pause und lauschte. »Ach. Wirklich? Nein, wie unangenehm. Nun ja. Wie bitte? Was heißt das, Sie wollen die Jungen nicht mehr?« Sie lauschte wieder. Bo kaute beunruhigt auf seinen Fingern, bis Wespe den Arm um ihn schlang.

»Ja, sind Sie denn nicht der Vormund der beiden?«, fuhr Ida fort. »Ich verstehe. Ja, die Kinder haben so etwas Ähnliches erzählt. Das ist traurig, Signora, sehr traurig. Wir werden uns natürlich um Ihre Neffen kümmern, das ist unser Auftrag, aber wir müssen Sie unter diesen Umständen bitten, wegen der nötigen Formalitäten hier vorbeizukommen. Ja, das ist unumgänglich, Signora.« Ida setzte eine strenge Miene auf, als könnte Esther das an ihrem Ende der Leitung sehen. »Doch, auf jeden Fall. Wann, sagten Sie, reisen Sie ab?. So bald schon. Nun, dann werde ich morgen Nachmittag einen Termin für Sie freimachen. Moment, ich sehe in meinen Terminkalender.« Ida blätterte in der Zeitung, die neben ihr auf dem Sofa lag. »Hören Sie, Signora?«, sagte sie in den Hörer. »Gegen drei könnte ich mich freimachen.. Nein, es lässt sich wirklich nicht vermeiden. Sie finden mich in unserer Zweigstelle, Casa Spavento, Campo Santa Margherita 423. Fragen Sie nach Schwester Ida. Ja. Vielen Dank, Signora Hartlieb. Arrivederla.«

Mit einem tiefen Seufzer legte Ida den Hörer auf. »Fabelhaft«, sagte Victor. »Hätte ich nicht besser machen können.«

»Und ich hab nicht gekichert«, sagte Bo und schob Wespes Arm weg.

»Sie kommt tatsächlich?« Prosper guckte Ida ungläubig an. Ida nickte.

»Unglaublich!« Barbarossa schubste eine von Bos Katzen weg, die versucht hatte sich auf seinen Schoß zu setzen. »Manche Leute sind wirklich unfassbar leichtgläubig.«

Ida zuckte die Achseln und nahm sich eine Zigarette. »Ich habe den Köder ausgeworfen«, sagte sie. »Jetzt liegt es an dir, ob Signora Hartlieb ihn schluckt.« Barbarossa strich sich selbstzufrieden über die dichten Locken. »Das dürfte kein Problem sein.«

»Ich will nicht hier sein, wenn Esther kommt«, murmelte Bo und rieb sich beunruhigt die Nase.

Prosper stand auf und ging ans Fenster. »Ich auch nicht«, sagte er.

»Warum solltet ihr?«, fragte Victor und trat neben ihn. Er zeigte nach draußen. »Seht ihr das Cafe dort? Ich schlage vor, ihr alle geht morgen dorthin und genehmigt euch ein paar Becher Eis, während Signora Hartlieb sich mit Schwester Ida unterhält. Ich gebe euch auch Geld, damit ihr nicht mit euren Falschgeldvorräten bezahlt.«

»Ich hoffe, du machst deine Sache gut, Barbarino!«, knurrte Mosca. »Damit wir dich endlich los sind.« »Rotbärtchen, Barbarino, ich verbitte mir diese albernen Namen!«, schimpfte Barbarossa, den es einige Mühe kostete, aus dem großen Sessel wieder auf den Teppich zu kommen. »Ich hoffe wirklich, diese Tante hat so viel Geld, wie ihr behauptet. Wehe, das erweist sich als Lüge, dann werde ich ihr auf der Stelle erzählen, was für ein Spiel hier mit ihr getrieben wird.« »Auf jeden Fall ist Esther immer gekämmt«, antwortete Prosper spöttisch.