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»Und du, Ernesto«, erwiderte Ida, »hast da, wo dein Herz sitzen sollte, vermutlich ein Portemonnaie.« Barbarossa zuckte nur gelangweilt die Achseln und griff in die feine Jacke, die Esther ihm gekauft hatte. »Apropos Portemonnaie«, sagte er und zog eine wohl gefüllte Geldbörse aus der Tasche. »Ich würde einen der hier Anwesenden bitten, in den nächsten Monaten regelmäßig bei meinem Laden vorbeizuschauen. Gegen ein angemessenes Entgelt, versteht sich. Nach dem Rechten sehen, etwas sauber machen, nun, ihr wisst schon. Außerdem muss dringend eine Verkäuferin gefunden werden, die etwas von ihrer Arbeit versteht und nicht ständig die Finger in der Ladenkasse hat. Das dürfte schwierig sein, aber ich verlasse mich da ganz auf euch.« Erstaunt sahen die andern ihn an.

»Hältst du uns neuerdings für so was wie deine Diener?«, fragte Riccio unfreundlich. »Warum machst du das nicht selber?« Barbarossa verzog herablassend den Mund. »Weil, du struppiger Dummkopf, ich mich schon morgen mit Signora Hartlieb an Bord eines Flugzeuges begeben werde«, erwiderte er, »und mein Wohnsitz künftig außer Landes ist. Noch heute Abend wird meine künftige Pflegemutter Schwester Ida anrufen und sie um die Adoptionsgenehmigung ersuchen. Ein Rechtsanwalt ist auch bereits eingeschaltet, er wird alle rechtlichen Probleme aus dem Weg räumen. Von meinem Laden wissen meine zukünftigen Eltern nichts, und das soll auch so bleiben. Ich werde versuchen, ein Konto einzurichten, auf das man mir die Einnahmen überweisen kann. Schließlich habe ich nicht vor, künftig von Taschengeld zu leben.« Riccio war so verblüfft, dass er seine Karten sinken ließ. Mosca ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen und schaute schnell nach, was für ein Blatt Riccio hatte. »Herzlichen Glückwunsch, Barbarino«, sagte Wespe. »Da hast du ja jetzt wohl ein feines Leben vor dir, was?« Barbarossa zuckte nur verächtlich die Achseln. »Nun«, sagte er und sah sich spöttisch in Idas salotto um, »sicherlich ein komfortableres als ihr.« Dann drehte er sich auf dem Absatz um und stakste hinaus. Bo streckte seinem Rücken die Zunge heraus. Die anderen starrten nachdenklich in ihre Karten. »Ida«, sagte Mosca schließlich, »Riccio und ich wollen auch fort. Ende der Woche oder so. Riccio hat ein verlassenes Lagerhaus entdeckt, drüben in Castello. Direkt am Wasser. Da ist sogar ein Anleger für mein Boot.«

Ida spielte mit ihren Ohrringen. Heute waren sie golden, winzige Fische mit Augen aus rotem Glas.

»Wie wollt ihr zurechtkommen?«, fragte sie. »Das Leben in Venedig ist teuer. Der Herr der Diebe ist erwachsen und sorgt nicht mehr für euch. Wollt ihr wieder anfangen zu stehlen?« Riccio spielte mit seinen Karten herum, als hätte er Idas Frage nicht gehört, aber Mosca schüttelte den Kopf. »Ach was. Fürs Erste haben wir genug Geld, von unserem letzten Geschäft mit Barbarossa. Wenn das nicht auch Falschgeld ist.« Ida nickte und blickte die andern drei an: Prosper, Bo und Wespe, einen nach dem anderen.

»Was ist mit euch?«, fragte sie. »Ihr verlasst mich doch wohl nicht alle auf einmal? Wer soll dann all die Vorräte essen, die Lucia schon eingekauft hat? Wer ärgert Lucias Hunde, wer liest meine Bücher, wer spielt mit mir Karten?«

Wespe musste lächeln, aber Bo stand auf und hockte sich an Idas Seite. »Wir bleiben bei dir«, sagte er und setzte ihr eine von seinen Katzen auf den Schoß. »Wespe hat sowieso gesagt, dass sie am liebsten immer hier wohnen würde.«

»Bo!« Wespe wurde rot vor Scham.

Ida aber stieß einen tiefen Seufzer aus. »Na, da bin ich ja erleichtert«, sagte sie. Dann beugte sie sich zu Bo hinunter und flüsterte: »Was ist mit deinem großen Bruder?« Prosper blickte verlegen zu den beiden herüber.

»Der will auch hier bleiben«, raunte Bo. »Aber er traut sich nicht, dich zu fragen.«

Prosper stöhnte und vergrub das Gesicht in den Händen. »Tja, wie gut, dass er für solche Fragen einen Bruder hat«, sagte Ida. Sie ordnete ihre Karten und hielt sie so, dass Bo nicht hineinschielen konnte. »Ida und Wespe, Prosper und Bo. Das macht vier!«, sagte sie. »Eine gute Zahl, vor allem beim Kartenspielen. Aber wir müssen Bo, glaube ich, noch mal erklären, dass er sich nicht ständig seine eigenen Regeln machen kann.«

Am nächsten Tag stieg Barbarossa, wie er angekündigt hatte, mit Esther Hartlieb ins Flugzeug. Ida hatte der Adoption natürlich sofort zugestimmt, und alles Übrige regelte Esther Hartliebs Anwalt.

Auf dem Bootstaxi zum Flughafen war Barbarossa schweigsam, und als Venedig am Horizont verschwand, seufzte er. Doch als Esther ihn besorgt fragte, was er hätte, schüttelte er nur den Kopf und behauptete, dass er Bootfahren noch nie vertragen hätte. Ja, so nahm Barbarossa Abschied von Venedig, aber tief in seinem trotzig gierigen Herzen nahm er sich vor zurückzukommen. Irgendwann in seinem nagelneuen Leben.

Zwei Tage und zwei Nächte später, als die Sonne schon hinter den Dächern unterging, packten Riccio und Mosca die wenigen Habseligkeiten, die sie aus dem Sternenversteck gerettet hatten, in Moscas Boot, verabschiedeten sich von Prosper, Bo und Wespe, von Ida und von Lucia, die ihnen noch zwei Plastiktüten voll Proviant in die Hand drückte, und ruderten davon, Richtung Castello, wo Venedig am ärmsten ist, mit dem Versprechen, von sich hören zu lassen, sobald sie eine feste Bleibe gefunden hatten. Die anderen drei vermissten sie, vor allem Bo vergoss viele Tränen, aber Wespe tröstete ihn damit, dass Riccio und Mosca schließlich in der Stadt blieben. Und Victor fütterte mit Bo die Tauben auf dem Markusplatz, um ihn abzulenken. Ida zeigte Wespe die Schule, die sie und Prosper besuchen sollten, wenn der Frühling kam. Und Prosper blickte jeden Abend vor dem Schlafengehen aus dem Fenster und fragte sich, was Scipio trieb. Aber nicht er, sondern Victor war es, der den Herrn der Diebe als Erster wieder sah. Eines Abends, als Victor von einer Beschattung kam, ging er auf dem Heimweg noch schnell zu Barbarossas Laden, um ein Schild an die Tür zu kleben, das Ida geschrieben hatte:

Verkäufer oder Verkäuferin gesucht, wenn möglich mit Erfahrung. Bewerbungen an Ida Spavento, Campo Santa Margherita 423.

Das Klebeband blieb ihm ständig am Daumennagel hängen und Victor fluchte leise vor sich hin, als plötzlich eine hoch gewachsene Gestalt auf ihn zutrat.

»Hallo, Victor«, sagte der Fremde. »Wie geht es dir? Und wie geht es den anderen?« Victor starrte ihn entgeistert an.

»Herrgott, Scipio, musst du dich so anschleichen?«, stöhnte er. »Tauchst hier wie ein Geist aus der Dunkelheit auf. Mit dem Hut hätte ich dich fast nicht erkannt.«

Den Umhang des Conte trug Scipio auch nicht mehr, sondern einen dunklen Mantel.

»Ja, der Hut war das Erste, was ich mir angeschafft habe«, sagte er und zog ihn vom schwarzen Haar. »Wenn ich ihn trage, nennt man mich nur noch dreimal täglich Dottor Massimo.«

»Ida hat deinem Vater eine Karte geschrieben.« Victor versuchte noch einmal, den Zettel an die Ladentür zu kleben. Diesmal klappte es. »Sie hat geschrieben, dass es dir gut geht und du erst mal nicht nach Hause kommen wirst. Hast du den Aufruf deines Vaters in der Zeitung gesehen?« Scipio nickte nur.

»Ja, ja«, murmelte er. »So ein Sohn ist wirklich lästig. Jetzt ist er auch noch verloren gegangen. Ich war gestern Nacht zu Hause. Habe meine Katze geholt.