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Die Familie an unserem Nachbartisch hatte aufgehört zu essen. Alle starrten Mister Jenkins an.

Meine Großmutter saß friedlich da und paffte genüsslich an ihrer schwarzen Zigarre. «Ich kann Ihre Aufregung gut verstehen, Mister Jenkins», sagte sie. «Jeder andere englische Vater würde genauso aus der Haut fahren wie Sie. Aber drüben in Norwegen, woher ich stamme, sind wir an solche Ereignisse gewöhnt. Wir haben gelernt, sie als einen Teil des Alltagslebens zu akzeptieren.»

«Sie müssen verrückt sein, Weib!», schrie Mister Jenkins. «Wo ist Bruno? Wenn Sie mir das nicht auf der Stelle sagen, rufe ich die Polizei!»

«Bruno ist eine Maus», antwortete meine Großmutter unerschütterlich ruhig.

«Er ist todsicher keine Maus!», rief Mister Jenkins.

«O doch, ich bin eine!», sagte Bruno und schob seinen Kopf aus der Handtasche.

Mister Jenkins sprang fast einen Meter hoch in die Luft.

«Hallo, Vati», sagte Bruno. Auf seinem Gesicht lag eine Art von mäusischem Lächeln.

Mister Jenkins' Unterkiefer klappte so weit auf, dass man die Goldfüllungen in seinen Backenzähnen erkennen konnte.

«Mach dir keine Sorge, Vati», fuhr Bruno fort. «So schlimm ist das gar nicht. Hauptsache, die Katze erwischt mich nicht.»

«B-b-bruno!», stammelte Mister Jenkins.

«Und nie mehr Schule!», fuhr Bruno fort und grinste jetzt ein breites und dämliches Mausegrinsen. «Nie mehr Hausaufgaben! Ich werde in den Küchenschrank ziehen und von Rosinen und Honig leben.»

«A-a-aber B-b-bruno», stammelte Mister Jenkins wieder. «Wiwiwie ist das nur passiert?» Aus dem armen Mann war die ganze Luft heraus.

«Hexen», erklärte meine Großmutter. «Die Hexen haben das gemacht.»

«Ich kann doch nicht eine Maus als Sohn haben!», schrie Mister Jenkins.

«Aber jetzt haben Sie eine», entgegnete meine Großmutter. «Seien Sie lieb zu ihm, Mister Jenkins.»

«Missis Jenkins wird wahnsinnig werden!», jammerte Mister Jenkins. «So was kann sie nicht ertragen!»

«Sie braucht sich nur an ihn zu gewöhnen», erwiderte meine Großmutter. «Hoffentlich haben Sie keine Katze zu Hause.»

«Aber doch! Aber natürlich!», rief Mister Jenkins. «Meine Frau liebt Topsy über alles in der Welt.»

«Dann werden Sie sich eben von Topsy trennen müssen», stellte meine Großmutter fest. «Ihr Sohn ist wichtiger als eine Katze.»

«Das will ich wohl meinen!», rief Bruno im Inneren des Lederbeutels. «Sag Mami, dass sie Topsy weggeben muss. Eher komm ich nicht nach Hause!»

Unterdessen beobachtete der halbe Speisesaal unsere kleine Gruppe. Messer und Gabeln und Löffel waren längst beiseite gelegt, und überall wurden die Hälse gereckt und die Köpfe gedreht, um Mister Jenkins anzustarren, wie er so dastand und stotterte und fluchte. Sie konnten weder Bruno noch mich sehen, und deshalb zerbrachen sie sich vergeblich die Köpfe, um was der ganze Wirbel ging.

«Ach übrigens», sagte meine Großmutter. «Möchten Sie gerne wissen, wer ihm das angetan hat?» Auf ihrem Gesicht lag ein kleines boshaftes Lächeln, und ich merkte, dass sie auf dem besten Wege war, Mister Jenkins Schwierigkeiten zu bereiten.

«Wer?», rief er. «Wer war das?»

«Diese Dame dort drüben», erwiderte meine Großmutter. «Die zierliche in dem schwarzen Kleid am Kopf der langen Tafel.»

«Sie gehört zum kgvk!», rief Mister Jenkins. «Sie ist die Vorsitzende!»

«Nein, das ist sie nicht», berichtigte meine Großmutter. «Sie ist die Hoch- und Großmeister-Hexe des gesamten Erdkreises.»

«Sie behaupten also, sie hätte das getan? Dieses mickrige kleine Weib da drüben?», rief Mister Jenkins und zeigte mit seinem langen Zeigefinger auf sie. «Bei Gott, der werd ich meine Anwälte auf den Hals hetzen. Die muss mir das bezahlen, und wenn sie Pleite geht!»

«Ich würde nichts überstürzen», riet ihm meine Großmutter. «Diese Dame besitzt Zauberkräfte. Sie könnte den Entschluss fassen, Sie in etwas noch Lächerlicheres als eine Maus zu verhexen. Vielleicht in eine Kakerlake.»

«Mich in eine Kakerlake verwandeln?», rief Mister Jenkins und warf sich in die Brust. «Das wollen wir doch mal sehen!»

Er drehte sich um und begann, quer durch den Speisesaal auf den Tisch der Hoch- und Großmeister-Hexe zuzumarschieren. Meine Großmutter und ich beobachteten ihn. Bruno war auf unseren Tisch gehüpft und beobachtete seinen Vater auch. Fast jeder im Speisesaal verfolgte jetzt das, was Mister Jenkins tat. Ich blieb, wo ich war, und spähte aus der Handtasche meiner Großmutter heraus. Ich dachte, es könnte gescheiter sein, in Deckung zu bleiben.

Der Triumph

Als Mister Jenkins nicht mehr als ein paar Schritte auf den Tisch der Hoch- und Großmeister-Hexe zumarschiert war, übertönte ein schriller Schrei alle anderen Geräusche im Saal, und im gleichen Augenblick sah ich, wie die Hoch- und Großmeister-Hexe in die Höhe schoss.

Sie stand jetzt auf ihrem Stuhl und schrie aus vollem Halse... Jetzt war sie auf dem Tisch und wedelte mit den Armen... «Was geschieht denn da um Himmels willen, Großmama?»

«Wart's ab», entgegnete meine Großmutter. «Schweig stille und schau zu!»

Plötzlich fingen alle anderen Hexen, insgesamt über achtzig, ebenfalls zu schreien an und fuhren von ihren Stühlen hoch, als ob ihnen Nadeln in den Popo gejagt würden. Einige standen auf den Stühlen, andere waren auf die Tische gesprungen, und alle miteinander zappelten und verrenkten sich und schwenkten auf merkwürdige Art und Weise ihre Arme.

Dann wurden sie plötzlich vollkommen stumm. Dann erstarrten sie. Jede einzelne Hexe stand so steif und starr wie eine Leiche da. Eine Totenstille senkte sich auf den ganzen Saal. «Sie schrumpfen, Großmama», sagte ich. «Sie schrumpfen genauso, wie ich es getan habe!» «Ich weiß, ich sehe es», antwortete meine Großmutter.

«Es ist der Mäusemacher!», rief ich. «Sieh doch nur! Bei ein paar Hexen wächst das Fell schon auf dem Gesicht! Warum wirkt das nur so rasch, Großmama?»

«Ich will es dir sagen, warum das so schnell geht», erwiderte meine Großmutter. «Weil jede von ihnen eine erhebliche Überdosis verpasst bekommen hat, genauso wie du. Das hat den Wecker wieder auf den Kopf gestellt.»

Alle Gäste im Speisesaal waren jetzt aufgesprungen, um besser sehen zu können. Die Leute schoben sich neugierig näher. Sie fingen an, sich um die beiden langen Tafeln zu drängen. Meine Großmutter hob Bruno und mich in die Höhe, damit uns auch nichts entging. In ihrer Aufregung sprang sie sogar auf ihren Stuhl, damit sie über die Köpfe der Menge hinwegschauen konnte.

Nach ein paar Sekunden waren alle Hexen vollkommen verschwunden, und auf beiden Tischen wimmelte es von kleinen braunen Mäusen.

Im ganzen Speisesaal kreischten jetzt die Frauen, und selbst starke Männer erblassten und stammelten: «Das ist verrückt! Das kann nicht sein! Lasst uns bloß hier raus! Schnell!»

Die Kellner droschen mit Stühlen und Weinflaschen auf die Mäuse ein und mit allen anderen Gegenständen, die ihnen in die Hände gerieten. Ich sah, wie ein Koch mit seiner hohen weißen Mütze aus der Küche stürmte und eine Bratpfanne schwang, und ein zweiter, der ihm dicht auf den Fersen war, fuhr ihm mit dem Küchenmesser über dem Kopf herum, und alle schrien: «Mäuse! Mäuse! Mäuse! Wir müssen die Mäuse verscheuchen!»

Nur die Kinder im Saal hatten wirklich ihren Spaß daran. Sie schienen allesamt instinktiv zu begreifen, dass genau vor ihrer Nase etwas Gutes geschehen war, und sie klatschten in die Hände und schrien hurra und lachten wie verrückt.