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Furchtsam, aber gleichzeitig auch hoffnungsfroh, ging ich langsam durch das Haus, verließ es durch den Hintereingang und stieg die kleine Anhöhe zu den Kirschbäumen hinauf. Ich stand unter ihren blütenbeladenen Zweigen und öffnete meine Hand, in der die Blüten lagen, die ich am Vortag eingesammelt hatte.

»Benny?« fragte ich zögernd.

Und wieder fielen auf einen Schlag alle Blüten von beiden Bäumen. Tausende von Blütenblättern schwebten langsam auf das Gras hinunter und verfingen sich in meinem Haar und in meiner Kleidung.

Nach Luft ringend drehte ich mich um. »Benny? Benny?« stieß ich hervor.

Innerhalb einer Minute war der Boden mit einer weißen Blütenschneedecke übersät, und auch diesmal blieb nicht eine einzige Blüte an den Bäumen hängen.

Ich brach in ein lautes Lachen aus. Es war ein krampfhaftes, hysterisches Lachen, das in ein irres Gegacker überging. Ich hatte die Kontrolle über mich verloren.

Ohne zu wissen, warum ich laut sprach, sagte ich: »Ich habe Angst. Oh, verdammt, ich habe Angst.«

Plötzlich schwebten die am Boden liegenden Blütenblätter wieder in die Höhe. Nicht nur einige Blüten, sondern sämtliche tausend. Sie stiegen wieder auf zu den Zweigen, von denen sie kurz zuvor herabgefallen waren. Es war wie ein rückwärts ablaufender Schneesturm. Die zarten Blütenblätter streiften an meinem Gesicht vorbei.

Wieder fing ich laut und unkontrolliert an zu lachen. Doch diesmal war es kein irres Lachen, und meine Furcht ließ rasch nach.

Eine Minute später standen die Kirschbaumzweige wieder in voller Blüte, und alles war still.

Nicht, daß ich etwa geglaubt hätte, Benny säße auf einem der Äste! Mir war klar, daß dieses Phänomen mit einem heidnischem Glauben ebensowenig zu tun hatte wie mit einem traditionellen christlichen Glauben. Aber trotzdem mußte er irgendwo sein. Er war nicht wirklich tot. Er war irgendwo dort draußen, und wenn meine Zeit kommen würde, dorthin zu gehen, wo Benny und Ellen hingegangen waren, würde ich sie mit Sicherheit finden, vorausgesetzt, ich glaubte fest daran.

Der Knall, den meine zerplatzende Obsession verursachte, muß bis nach China zu hören gewesen sein.

Ein Zitat von H. G. Wells ging mir durch den Kopf. Ich hatte seine Werke schon immer sehr bewundert, doch nichts von dem, was er je geschrieben hatte, war mir je so wahr vorgekommen wie der Ausspruch, an den ich mich erinnerte, während ich unter den Kirschbäumen stand:    »Die Vergangenheit ist nur das Vorspiel zu dem, was noch geschehen wird; und alles was heute besteht und bisher geschehen ist, ist erst die Dämmerung des Morgens.« Er bezog sich selbstverständlich auf die Geschichte und auf die lange Zukunft, die der Menschheit noch bevorstand, doch diese Worte schienen mir sowohl auf den Tod als auch auf die rätselhafte Wiedergeburt zuzutreffen, die auf ihn folgte. Ein Mensch mag hundert Jahre alt werden, dennoch ist ein langes Leben nichts weiter als eine Morgendämmerung.

»Benny!« rief ich. »Ach, Benny!«

Aber die Blüten fielen nicht wieder herab, und auch in den darauffolgenden Jahren erhielt ich keine weiteren derartigen Zeichen. Ich brauchte sie auch nicht mehr.

Von diesem Tag an wußte ich, daß der Tod nicht das endgültige Ende bedeutete und daß ich in einer anderen Welt wieder mit Ellen und Benny zusammenkommen würde.

Und was ist mit Gott? Existiert er nun oder nicht? Ich weiß es bis heute nicht. Wenn ich nun auch seit zehn Jahren an eine Art Leben nach dem Tod glaube, so bin ich dennoch kein Kirchgänger geworden. Sollte ich aber bei meinem Tod zufällig in jene andere Bewußtseinsebene gelangen, wo Er auf mich wartet, so werde ich nicht völlig überrascht sein und ich werde Ihm genauso glücklich und dankbar in die Arme fallen wie Ellen und Benny.

Aus dem Amerikanischen von Karina Of

Anmerkungen für den Leser

1

Als ich acht Jahre alt war, schrieb ich Kurzgeschichten auf Notizblockpapier, malte bunte Einbände, heftete jede Geschichte an der linken Seite ordentlich zusammen, klebte Isolierband über die Heftklammern, damit es hübscher aussah, und ging mit diesen »Büchern« bei Verwandten und Nachbarn hausieren. Ich verkaufte jedes meiner Werke für fünf Cent, und das war zweifellos ein Preisschlager - jedenfalls hätte kaum jemand meine Preise unterbieten können, wenn es in der Nachbarschaft andere Schriftsteller im Grundschulalter gegeben hätte, die ihre Phantasien geradezu zwanghaft zu Papier bringen mußten. Die anderen Kinder hatten jedoch viel normalere und gesündere Interessen, die zudem der Charakterbildung förderlich waren: Sie spielten Baseball, Football und Basketball, rissen Fliegen die Flügel aus, terrorisierten und verprügelten kleinere Kinder oder führten gewagte Experimente durch, wie man aus Waschpulver und Spiritus Sprengstoff herstellen konnte. Ich verkaufte meine Geschichten mit solch unerbittlichem Enthusiasmus, daß ich eine kolossale Landplage gewesen sein muß - sozusagen ein Hare-Krishna-Jünger in Miniformat.

Für meine bescheidenen Einnahmen hatte ich keine besondere Verwendung. Ich träumte nicht von grenzenlosem Reichtum. Und ich hatte nicht mehr als zwei Dollar verdient, als die verständnislosen Verwandten und Nachbarn in einer geheimen und konspirativen Versammlung übereinkamen, den Vertrieb handgeschriebener Geschichten durch achtjährige Jungen zu unterbinden. Natürlich war das eine illegale Handelsbeschränkung, möglicherweise sogar ein ernsthafter Verstoß gegen die Menschenrechte. Sollte sich jemand im Justizministerium der USA dafür interessieren - ich glaube, daß einige der damaligen Verschwörer noch am Leben sind und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden könnten.

Obwohl ich nicht die Absicht hatte, mein sauer verdientes Geld in den Erwerb eines Spielplatzes zu investieren, um dann Wucherpreise für den Eintritt zu verlangen, und obwohl ich es auch nicht versaufen wollte, wußte ich instinktiv, daß ich für meine Geschichten etwas verlangen mußte, damit die Leute sie ernst nahmen. (Hätte Henry Ford seine Autos verschenkt, hätten die Leute sie mit Erde gefüllt und als überdimensionale Blumenkästen mißbraucht. Bis heute gäbe es keine Highways, keine Drive-in-Burger-Ketten, keine Hollywoodfilme mit wilden Verfolgungsjagden und keine ästhetisch ansprechenden Hunde mit Wackelköpfen, mit denen viele Autofahrer den Platz zwischen Rücksitz und Heckfenster schmücken.)

Doch nachdem das örtliche Literaturverbraucherkartell einen Achtjährigen zu boykottieren versuchte, produzierte ich weiterhin meine Geschichten und verteilte sie gratis.

Später, als Erwachsener (soweit ich überhaupt erwachsen geworden bin), begann ich Geschichten zu schreiben, die von New Yorker Verlegern veröffentlicht wurden. Sie verwendeten weder Heftklammern noch Isolierband, und es gab von jeder Geschichte mehr als nur ein einziges Exemplar. Ich erhielt auch mehr als fünf Cent Honorar - obwohl es anfangs nicht viel höher war. Jahrelang wollte ich nicht so recht glauben, daß man als Schriftsteller leben kann, ohne eine zweite Einnahmequelle zu haben. Weil ich wußte, daß Schriftsteller interessante Nebenbeschäftigungen brauchen, die in den biographischen Angaben etwas hermachen, überlegte ich, ob ich Bomben legen oder Flugzeuge entführen und dann Lösegeld fordern sollte. Glücklicherweise bewahrte mich die Sparsamkeit meiner wunderbaren Frau, ihr Talent zum Geldverdienen und ihr gesunder Menschenverstand davor, entweder als Gefängnisinsasse zu enden oder von einer Bombe zerfetzt zu werden.

Als meine Bücher schließlich auf die Bestsellerlisten kamen, hatte ich Fünf-Cent-Münzen in Hülle und Fülle, und eines Tages unterschrieb ich einen Vertrag für vier Bücher, der genauso lukrativ wie die erfolgreichste Flugzeugentführung der Geschichte war. Und obwohl es harte Arbeit war, diese vier Bücher zu schreiben, mußte ich wenigstens keine Panzerweste tragen, keine schweren Munitionsgurte herumschleppen und nicht mit Leuten namens Mad Dog zusammenarbeiten.