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Nach links zweigte die Coal Valley Road ab, die in die Kleinstadt Coal Valley führte.

An jenem Sonntagabend vor zwanzig Jahren, auf der Rückfahrt ins College, hatte er wie immer zwanzig Kilometer auf der Coal Valley Road zurücklegen wollen, die zum dreispurigen Black Hollow Highway führte, auf dem man nach 15 Kilometern in westliche Richtung die gebührenpflichtige Autobahn, den Pennsylvania Turnpike, erreichte. Er fuhr immer diese Strecke, weil sie am kürzesten war.

Doch an jenem Abend war er aus irgendwelchen Gründen, an die er sich später nie erinnern konnte, nicht auf die Coal Valley Road abgebogen. Er war geradeaus weitergefahren, knapp 30 km auf der Bundesstraße, und dann hatte er die Interstate genommen, die in weitem Bogen zum Black Hollow Highway führte. Auf dieser Interstate hatte er den Unfall gehabt, und seitdem war alles schief gegangen, sein ganzes Leben.

Er hatte damals einen zehn Jahre alten Ford Mustang gefahren, den er von einem Autofriedhof gerettet und mit Hufe seines Vaters instandgesetzt hatte. O Gott, wie hatte er jenes Auto geliebt! Es war der einzige wirklich schöne Gegenstand gewesen, den er je besessen hatte. Was aber noch wichtiger war - er hatte es mit eigenen Händen aus einem Wrack in ein Prachtstück verwandelt.

Während er an jenen alten Mustang zurückdachte, berührte er zögernd seine linke Schläfe direkt unter dem Haaransatz. Die zweieinhalb Zentimeter lange Narbe war kaum zu sehen, aber leicht zu ertasten. Er erinnerte sich plötzlich wieder lebhaft daran, wie sein Auto auf der regennassen Interstate ins Schleudern geraten und gegen einen Wegweiser geprallt war.

Das Klirren des Fensters. Das viele Blut. Jetzt saß er im Mietwagen an der Kreuzung und starrte die Coal Valley Road zu seiner Linken an, und er wußte plötzlich, wenn er diesen Weg einschlug, wie er es vor zwanzig Jahren hätte tun sollen, hätte er endlich eine Chance, alles in Ordnung zu bringen, sein Leben wieder in die richtige Bahn zu lenken. Das war ein verrückter Einfall, genauso abergläubisch wie seine Einbildung, daß etwas ihn daran hindern würde, Asherville zu verlassen. Trotzdem zweifelte er nicht daran, daß er unerwartet eine zweite Chance bekam. Er wußte, daß irgendeine übernatürliche Kraft am Werke war, er wußte, daß er irgendwo auf dieser einspurigen Bergstraße den Sinn seines Lebens finden würde - denn die Coal Valley Road war vor mehr als neunzehn Jahren geschlossen und aufgerissen worden. Und doch wartete sie jetzt zu seiner Linken, genau wie in jener Nacht. Sie war auf wundersame Weise instand gesetzt worden.

7

Joey lenkte den gemieteten Chevrolet am STOP-Schild vorbei und parkte auf dem schmalen Seitenstreifen, genau gegenüber der Coal Valley Road. Er schaltete die Scheinwerfer aus, ließ aber den Motor laufen.

Von Blumen gesäumt, schimmerte die schmale Straße in der Dämmerung und wurde ein Stück weiter von Schatten verschluckt, die so schwarz wie die lauernde Nacht waren. Das nasse Pflaster war mit bunten Blättern übersät, die im Zwielicht geheimnisvoll schimmerten, so als würden sie indirekt angestrahlt.

Joeys Herz klopfte laut.

Er schloß die Augen und lauschte dem Regen.

Als er seine Augen wieder öffnete, rechnete er halb damit, daß die Coal Valley Road nicht mehr da sein würde, daß er wieder eine Halluzination gehabt hatte. Doch sie war nicht verschwunden, sondern glitzerte silbrig, während das rote und gelbe Herbstlaub funkelnden Edelsteinen glich, die ihn verführen sollten, diesen Weg zwischen den Bäumen einzuschlagen, in die Dunkelheit hinein.

Unmöglich.

Aber wahr.

Vor 21 Jahren war in Coal Valley ein sechsjähriger Junge namens Rudy DeMarco in einen Spalt gestürzt, der plötzlich unter ihm aufbrach, als er im Garten spielte. Mrs. DeMarco stürzte aus dem Haus, als sie ihren Sohn schreien hörte, und fand ihn in einer zweieinhalb Meter tiefen Grube, aus der Schwefeldämpfe aufstiegen. Sie kletterte zu ihm hinunter und hatte den Eindruck, in der Hölle gelandet zu sein, so intensiv war die Hitze. Der Boden dieses Schachts hatte Ähnlichkeit mit einem Feuerrost; Rudys Beine waren zwischen dicken Steinbarren eingeklemmt. Der dichte Rauch verhüllte das Inferno in der Tiefe. Hustend und von den giftigen Dämpfen halb benommen, befreite Mrs. DeMarco ihr Kind, und während der Boden unter ihren Füßen bebte, krachte und zu zerbersten drohte, schleppte sie Rudy zur Seitenwand, krallte ihre Finger in die heiße Erde und versuchte, dieser Hölle zu entkommen. Der Boden brach endgültig ein, der Spalt wurde immer breiter, die Erde rutschte unter ihr weg, aber irgendwie gelang es ihr, mit Rudy den rettenden Rasen zu erreichen. Seine Kleider brannten. Sie warf sich über ihn und versuchte die Flammen zu ersticken, und nun fingen ihre eigenen Kleider Feuer. Den Jungen an sich gepreßt, wälzte sie sich im Gras, und ihre Hilfeschreie klangen besonders laut, weil das Kind verstummt war. Nicht nur seine Kleider hatten gebrannt, - die Haare waren versengt, eine Gesichtshälfte war mit Brandblasen bedeckt, und der kleine Körper wies ebenfalls katastrophale Verbrennungen auf. Drei Tage später erlag Rudy DeMarco im Krankenhaus von Pittsburgh, wohin er mit einem Rettungshubschrauber gebracht worden war, seinen schweren Verletzungen.

Vor dem Tod des kleinen Jungen hatten die Einwohner von Coal Valley schon sechzehn Jahre über einem unterirdischen Feuer gelebt, das sich durch die Labyrinthe ehemaliger Minen fraß, und sich von übriggebliebenem Anthrazit nährte, wodurch die unterirdischen Schächte immer breiter wurden. Während auf Regierungs- und Landesebene darüber debattiert wurde, ob dieser unsichtbare Brandherd irgendwann von allein erlöschen würde, oder ob - und mit welchen Strategien - man ihn bekämpfen mußte, während Unsummen für immer neue Gutachten und Anhörungen ausgegeben wurden, während heftig darüber gestritten wurde, welche Instanz die finanziellen Mittel aufbringen mußte - während dieser Zeit lebten die Menschen in Coal Valley mit Kohlenmonoxid-Monitoren, um nicht nachts durch Dämpfe vergiftet zu werden, die durch die Fundamente ihrer Häuser drangen. Überall im Ort gab es Ventilationsrohre, die in die Tunnels hinabführten, damit der Rauch abziehen konnte. Auf diese Weise hoffte man, die Konzentration giftiger Gase in den Häusern zu vermindern. Eines dieser Rohre ragte sogar auf dem Spielplatz der Grundschule aus dem Boden.

Nach dem Tod des kleinen Rudy DeMarco waren die Politiker und Bürokraten gezwungen, endlich etwas zu unternehmen. Die Bundesregierung erwarb die gefährdeten Immobilien, als erstes die Häuser, die sich direkt über den brennenden Schächten befanden, dann auch die angrenzenden. Innerhalb eines Jahres zogen die meisten Familien weg, und Coal Valley verwandelte sich in eine Geisterstadt.

An jenem regnerischen Oktoberabend vor 20 Jahren, als Joey auf der Fahrt ins College den falschen Weg eingeschlagen hatte, wohnten nur noch drei Familien in Coal Valley, und auch sie sollten vor dem Thanksgiving Day ihre Häuser räumen.

Im Jahr darauf wurden alle Gebäude abgerissen und die Straßen, die vom Druck des unterirdischen Feuers ohnehin schon voller Spalten und Bodenwellen waren, wurden aufgerissen. Dann wurde überall Gras ausgesät, damit der verwüstete Ort sich allmählich nach außen hin in eine friedliche Landschaft verwandelte - während es unter der Erde weiterhin brannte.

Geologen, Bergwerksingenieure, Umweltschützer und andere Experten glaubten, daß dieses Feuer erst nach 100 oder sogar 200 Jahren erlöschen würde, wenn auch die letzte Kohlenader verbraucht war. Sie waren überzeugt, daß mit der Zeit ein Gebiet von mindestens 16 Hektar unterminiert sein würde - und diese Fläche war viel größer als die der zerstörten Ortschaft Coal Valley. Folglich mußte auch auf der Coal Valley Road mit plötzlichen Einbrüchen gerechnet werden -eine tödliche Gefahr für Autofahrer. Deshalb war die Straße vor über neunzehn Jahren gesperrt und aufgerissen worden.