»Ich bin ein Drachenelf«, erklärte der blutbesudelte Krieger mit einer Arroganz, als würde er eine ganze Armee aufwiegen.
»Das glaube ich ja.« Hornbori unterdrückte seinen Ärger. »Aber wo sind die anderen?«
»Es gibt keine anderen.«
Der Heermeister schluckte. »Wie …«
»Nur Fürst Solaiyn und seine Dienerin haben außer mir überlebt, Heermeister. Ihr seht, ich bin die einzige Klinge, auf die Ihr zählen könnt.«
»Koboldkacke!« Hornbori konnte es nicht glauben. Warum musste es immer so sein? Warum landete er am Ende immer dort, wo man bis über beide Ohren in der Scheiße steckte? Vor sich Hunderte wütende Menschensöhne, hinter sich eine Fleisch gewordene Naturgewalt.
»Wie meint Ihr?«, fragte der Elf und klang ganz und gar nicht so, als würde er einen dämlichen Witz machen.
»Wir stürmen den Hafen!« Hornbori legte den Kopf in den Nacken und sah Nodon herausfordernd an. »Und du bist die Speerspitze des Angriffs.«
Die Augen des Drachenelfen verengten sich. »Ihr habt mir nichts zu befehlen, Heermeister. Ich kämpfe in vorderster Reihe, weil es mir so gefällt.«
Rede es dir nur schön, dachte Hornbori und beugte sich über das Luk. »Noch knapp hundert Schritt, Männer. Nicht nachlassen.« Er stieg durch das Luk. Es war besser, im Aal zu kauern, bis sie eine Mole erreichten. Vorher konnten sie ohnehin kaum etwas ausrichten.
Der Elf folgte ihm und schloss den Lukendeckel. Geduckt verharrte er auf der Leiter. Er schnitt eine Grimasse. Zugegeben, es herrschte ein etwas strenger Geruch in dem Aal. Immerhin waren hier zwei Dutzend Zwerge seit zwei Tagen auf engstem Raum eingepfercht und traten bis zur völligen Erschöpfung die Kurbelwelle des Aals. Doch dieser Nodon übertrieb! Er machte ein Gesicht, als hätte er seine Nase geradewegs in einen Misthaufen gesteckt.
Ulur hatte bisher nach Südweiser navigiert. Hornbori misstraute diesem kleinen Ding. Eine dünne Eisennadel darin wies stets nach Süden, und Ulur behauptete, dies habe nichts mit Magie zu tun. Bislang waren sie damit gut gefahren. Auch die seeerprobten Gefährten, mit denen der Kapitän sich ab und an bei den Steuerhebeln abwechselte, vertrauten dem Südweiser. Aber für die enge Einfahrt in den Hafen wollte Ulur niemand anderem die Wilde Sau überlassen. Er schob sich an Hornbori vorbei in den engen Bug des Aals und schloss die Fäuste um die Hebel, mit denen er das Tiefen- und das Seitenruder steuerte.
»Signal absetzen!«, rief er von seinem Posten, und Hornbori nahm den Hammer, mit dem sich die Boote untereinander verständigten. Er saß als Nächster hinter dem Platz des Navigators. Drei Mal schlug er kräftig auf die eine Stelle, an der die Hülle des Aals ganz und gar aus Metall bestand und nicht nur ein kupferbeschlagenes, riesiges Fass war.
Leise zählte er bis fünf und schlug noch drei Mal auf das Metall. Es war das Zeichen für die anderen Aale, dass die Einfahrt zum Grottenhafen fast erreicht war und sie tauchen sollten.
Die Fahrt unter Wasser ließ sie langsamer werden, doch die Mannschaft trat mit neuer Kraft die Kurbelwelle. Ihr Martyrium war nun fast beendet. Das rettende Ziel zum Greifen nahe.
»Gut, dass wir bei Tageslicht ankommen«, murmelte Ulur vor sich hin.
Hornbori verkniff es sich zu fragen, was der Kapitän damit meinte. Ulur mochte es nicht, angesprochen zu werden, wenn er an den Steuerhebeln lag und angespannt durch die dicken Glasfenster in die verwunschene Welt unter den Wogen blickte.
Draußen waren verzerrte Hammerschläge zu hören. Die anderen Aale gaben den Befehl weiter. Es wäre wohl besser, wenn sie alle in kurzem Abstand hintereinander in den Hafen einliefen, ging es Hornbori durch den Kopf. Sie könnten dann mit größerer Durchschlagskraft angreifen. Aber ihre kleine Flotte war mehr als eine Meile auseinandergezogen. Zweifelnd sah er zu dem Elfen auf der Leiter. Würde es genügen, ihn an die Spitze des Angriffs zu stellen?
Ein dumpfes Platschen war im Wasser zu hören, gefolgt von einem beunruhigenden, gurgelnden Geräusch.
»Schiss am Bein!«, fluchte Ulur und zerrte an den Steuerhebeln. »Los! Legt euch ins Zeug, ihr Memmen!«
Etwas traf den Schiffsrumpf, hart wie ein Hammer, der auf einen Amboss niederging.
Hornbori spürte, wie die Wilde Sau nach unten gedrückt wurde. Dann schrammte etwas Hartes über die Außenhaut.
»Strampelt!«, schrie Ulur. »Sie können unseren Schatten im Wasser sehen. Sie haben auf uns gewartet! Und hier sind überall Haie. Wir müssen …« Ein zweiter Schlag traf das Boot, und jetzt hörte Galar das Holz unter den Kupferplatten bedenklich knacken.
Der Heermeister stemmte sich mit aller Kraft in die Pedale auf der Kurbelwelle.
»Wasser!«, schrie Nyr. »Wassereinbruch!«
Jetzt sah auch Hornbori die beiden dünnen Wasserfontänen, die zwischen den Frachtnetzen an der Decke sprühten.
»Steine«, sagte der Elf mit eigentümlich beherrschter Stimme. Man mochte den Eindruck haben, als würde ihn das alles nichts angehen. Als wäre er ein Betrachter aus weiter Ferne und nicht mitten in dem Aal, der nun Wasser nahm.
Das musste er lernen, dachte Hornbori. Wenn sie hier lebend herauskamen, dann wollte er so kaltblütig werden wie dieser verfluchte Drachenelf. Bestimmt gab es einen Trick!
»Steine trifft es nicht ganz«, erklang es vom Steuerplatz. »Das sind Felsbrocken, groß wie Mühlräder, die sie ins Wasser stürzen.« Wie um seine Worte zu untermauern, hörten sie erneut ein Platschen, gefolgt von gurgelnden Geräuschen.
»Strampelt!«, schrie Ulur erneut. »Los, ihr Memmen! Strampelt um euer Leben!«
»Kapitän?« Es war das zweite Wort, das Nodon sprach, seit er ins Boot gestiegen war, und Hornbori wunderte sich, dass der arrogante Kerl sich überhaupt dazu herabließ, mit einem anderen Zwerg als ihm zu sprechen.
»Was?«
»Wäre es möglich, dieses Tauchboot rückwärts an der Mole vor Anker gehen zu lassen?«
»Warum?«, fragte Ulur verärgert. »Damit wir uns schneller wieder verpissen können?«
»Ich wüsste es zu schätzen, wenn ich den Kupferdeckel des Luks vor der Brust hätte, wenn ich aussteige, und nicht im Rücken. Ich rechne nicht mit einem freundlichen Empfang.«
Hornbori rechnete damit, dass Ulur gleich wutschnaubend aus seiner Steuermannskanzel kriechen würde. Der Elf legte es mit seinem süffisanten Ton darauf an, sich Ärger einzuhandeln. Wobei er die finsteren Blicke, die ihm die übrigen Zwerge zuwarfen, komplett ignorierte.
Immerhin, dachte Hornbori, stachelte dieser Nodon mit seiner provokanten Höflichkeit den Kampfeswillen der Besatzung an.
Es schien sogar, als würden sie jetzt kräftiger die Kurbelwelle treten.
»Ich glaubte, ihr Elfen erledigt immer alles mit Magie«, kam es nach einer Weile in genauso provozierendem Tonfall von Ulur zurück.
»Schlichtere Gemüter halten es in der Tat immer wieder für Magie, wenn man denkt, bevor man handelt.«
Hornbori stöhnte leise. Nicht das noch. Sie brauchten nicht auch noch offenen Streit untereinander. Ginnar, der ihm gegenübersaß, knirschte so laut mit den Zähnen, dass er selbst das schleifende Geräusch der Kurbelwelle übertönte. Galar sah zu dem Elfen hoch, als wollte er ihm die Kehle durchschneiden. Und Ulur … Er lachte!
»Guter Spruch. Gefällst mir. Du sollst deinen Willen haben. Mal sehen, ob es hilft. Ich möchte nicht als Erster durch dieses Luk gehen. Alle verdammten Menschenkinder in dieser Grotte werden dich umbringen wollen.«
Hornbori hatte ein Gefühl, als wollte ihm sein Herz jeden Augenblick in die Eingeweide rutschen. Er saß als Nächster an der Leiter, und er war der verdammte Anführer dieser verlorenen Schar. Alle würden von ihm erwarten, dass er als Zweiter durch das Luk stieg.
Schon malte er sich aus, wie hundert Krieger ihre Bögen spannten und auf ihn zielten.