Etwas Helles, Schlangenhaftes tanzte über ihm im Wasser. Das Seil! Der Zwerg ruderte mit den Armen. Eine Hand schloss sich um das Ende des Taus. Er spürte einen Ruck, wurde über die Wasseroberfläche gezogen und rang keuchend um Atem. Ulur holte das Seil ein und zog ihn damit auf den Hai zu. Die Bestie war keine drei Schritt mehr entfernt.
Als sie ihr Maul aufriss, schrie Hornbori, ließ das Seil los und versank augenblicklich wieder im Wasser.
Die Bestie war auf Armlänge heran, als sie eine Bewegung ausführte, als duckte sie sich unter einem plötzlichen Schlag auf den Rücken. Ihre Schnauze streifte Hornboris Beine, doch biss sie nicht zu. Verblüfft sah der Zwerg, wie sie zum schlammigen Hafenboden hinabsank.
Über ihm tanzte erneut das Seil im Wasser. Er würde leben! Mit letzter Kraft strebte er noch einmal der Wasseroberfläche entgegen, versagte sich dem Sog der Tiefe, der mit Frieden lockte. Seine Finger umklammerten das Tau. Er wurde zum Aal hingezogen, schrammte über den von Muscheln verkrusteten Rumpf des Tauchbootes. Dann lag er auf dem Bauch. Fäuste hämmerten in seinen Rücken. Er erbrach Wasser.
»Sie sind durchgebrochen!«, rief Ulur zwischen zwei Fausthieben.
Hornbori wollte etwas fragen, doch ein weiterer Schwall Hafenwasser trug seine Worte davon.
Endlich half ihm der Kapitän auf. Hornbori war so schwach, dass er nicht einmal aus eigener Kraft sitzen konnte. »Dieser verdammte Elf!« Ulur grinste breit. »Ich mag seinesgleichen nicht. Arrogante Brut. Aber dieser Kerl hat uns den Tag gerettet. Du hättest sehen sollen, wie die Menschenkinder vor ihm Reißaus genommen haben. Er hat an der Spitze unserer Männer den Hafen gestürmt, aber ich glaube, er hätte es auch ganz alleine geschafft.« Hornbori sah zum Felssims über der Hafeneinfahrt.
»Es fehlt noch die Hälfte der Aale«, erklärte Ulur, der offenbar nicht ahnte, wonach er Ausschau hielt. »Aber dieser verdammte, wandelnde Berg hat uns noch nicht erreicht. Die kommen schon noch … Wir werden es schaffen! Jetzt setzen wir erst einmal den Menschenkindern nach und kämpfen ein paar Höhlen frei, in denen wir uns verkriechen können. Und dann warten wir ab, bis dieses Ungeheuer das Weite sucht.«
Er hätte so reden sollen, dachte Hornbori. Das war die Aufgabe eines Anführers. Aber er konnte die Kreatur nicht vergessen, die er oben auf der Terrasse gesehen hatte. »Oben über der Hafeneinfahrt … äh, hast du da nicht etwas Seltsames bemerkt?«
Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Nein. Was denn?«
»Nun, einen Schatten? Etwas wie …« Hornbori zögerte. Es war klüger, nicht von dieser schlangenhaften Gestalt zu sprechen. So etwas gab es nicht! Sie würden ihn für verrückt halten. »Also einen Schatten eben. Etwas, das den Menschenkindern Angst gemacht hat.«
Ulur schnaubte. »Sie hatten Angst vor dem Elfen. Siehst du die Treppe dort hinten im Fels? Sie führt auf die Terrasse. Ich selbst war dort oben, als wir den Hafen zum ersten Mal erobert haben. Die Mistkerle sind getürmt, weil sie verstanden haben, dass sie die Nächsten auf der Todesliste sind.«
»Sie haben ihn so sehr gefürchtet, dass sie lieber in das Hafenbecken voller Haie gesprungen sind …« Hornbori konnte das nicht glauben. Er hätte es nicht getan. Und mit Furcht kannte er sich wahrlich aus.
Der Kapitän zuckte mit den Schultern. »Er ist ein Drachenelf.« Mehr sagte er nicht, als würde das alles erklären.
Hornbori betrachtete die breite Bank im Felsgestein. Sie hatten Glück gehabt. Dort lagen noch mindestens fünfzig große Felsbrocken, bereit, hinab ins Wasser gestürzt zu werden. Hatte er sich am Ende getäuscht? Oder hatten sie es mit zwei Ungeheuern zu tun?
»Komm!« Ulur streckte ihm die Hand hin. »Es ist an der Zeit, zu Tunnelwürmern zu werden. Schnell jetzt!«
»Die Verwundeten … Habt ihr sie aus den Staunetzen gehoben.«
Ulur wich seinem Blick aus. »Natürlich«, sagte er mit gepresster Stimme. »Sie sind schon weiter vorn. Und nun beeile dich!«
Zum Greifen nah
Sie flogen so dicht über dem Wasser, dass die Hufe der Pegasi fast die sanften Wellen berührten. Es war ein wunderschöner Tag. Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel, und das Meer erstrahlte in hellem Türkis. Nandalee genoss den Flug auf Sternauge. Sie stand im Fluggeschirr, spürte den Wind auf der Haut und im offenen Haar und gab sich ganz dem Augenblick hin.
Es hatte lange gedauert, hierher zu finden, obwohl Nachtatem ihr sehr genau beschrieben hatte, welchen Weg sie nehmen sollte. Sie hatten im Labyrinth des goldenen Netzes an siebenundzwanzig größeren Albensternen den rechten Weg wählen müssen, um mit ihren Pegasi schließlich durch einen Stern dicht über dem Purpurnen Meer zu fliegen. Das Delta des Sepano musste wenige Meilen vor ihnen liegen.
Sie blickte zu Eleborn. Vielleicht hätte sie ihn bei den Kindern lassen sollen. Er wirkte angespannt. Sie wusste nicht, auf wie vielen Missionen er bereits gewesen war. Über wie viel Kampferfahrung er – abgesehen von seiner Ausbildung an der Weißen Halle – verfügte. Nachtatem hatte ihr das Ungeheuer, das sie töten sollten, nur ungefähr beschreiben können. Es musste gewaltig sein. Aber Todbringer war dafür geschmiedet worden, solche Bestien zu richten. Es würde ein kurzer Kampf, wenn sie nur nahe genug an das Ungeheuer herankäme.
Ein Schwarm Möwen tanzte knapp hundert Schritt entfernt über dem Meer. Es waren ungewöhnlich viele Tiere. Eleborn schwenkte ab und rief ihr etwas zu, doch seine Worte gingen im Kreischen der Vögel unter.
Nandalee folgte ihm verärgert. Sie wichen von ihrem Ziel ab.
Die Möwen versuchten, sie beide zu verscheuchen. Sie flogen auf sie zu, spreizten unmittelbar vor ihnen die Flügel, kreischten sie an.
Sternauge scheute. Nandalee war froh, die Füße in den Lederschlaufen des Reitgeschirrs auf seinem Rücken zu haben. Der Hengst flog eine steile Kehre, gewann an Höhe, und die Möwen folgten ihnen nicht.
»Siehst du das?«, rief Eleborn, der ihr gefolgt war, und deutete hinab aufs Meer.
Die Frage war überflüssig. Das dort unten war nicht zu übersehen. Etwas hatte eine breite Schneise der Verwüstung durch die Korallenriffe im seichten Wasser gezogen und einen reich gedeckten Tisch für die Möwen hinterlassen. Tang, zerfetzte Seeanemonen, tote Krebse und Fische trieben im Wasser. Sand und Schlamm waren aufgewühlt worden und hatten sich als Schleier über jene Korallenbänke gesenkt, die unbeschädigt waren. Es sah aus, als wäre ein riesiger Pflug durch das Meer gezogen worden.
Unwillkürlich musste Nandalee an Nangog denken. Mit ihrer Hacke, mit der sie Gebirge aufgeschichtet hatte, hätte sie wohl eine solche Spur ziehen können. Doch die Riesin war nicht ganz erwacht. Noch hielt der Bann der Devanthar und der Alben sie inmitten der Welt gefangen, die sie sich erschaffen hatte. Wer also war das gewesen?
»Es ist nach Westen gezogen!«, rief Eleborn ihr zu.
Sein Bedürfnis, das Unübersehbare noch in Worte kleiden zu müssen, war ärgerlich. Sie war die Jägerin und Fährtensucherin! War diese Geschwätzigkeit ein Zeichen der Angst? Sie hatte ihm grob geschildert, was sie beide erwartete. Jetzt wäre es ihr lieber, allein auf der Jagd zu sein.
»Folgen wir der Spur!« Sie konnte ihm ansehen, dass er Fragen hatte, doch schien er gespürt zu haben, dass sie nicht antworten würde. Jetzt war nicht die Zeit zu reden. Wenn die Jagd vorüber war … Wenn sie zurück in der Alten Veste waren … Sie dachte an Meliander. Alles würde gut!
Wie sehr sie sich getäuscht hatte, begriff sie, als sie ihn zum ersten Mal sah. Sie und Eleborn waren weniger als eine Stunde geflogen, als der Fels in Sicht kam. Und das Ding, das entschlossen schien, ihn einzureißen.
Eleborn versuchte gar nicht erst, seinen Schrecken zu überspielen. »Das sollen wir töten?«