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Sie wippte mit der Lanzenspitze in Richtung des Unsterblichen. Er erwiderte ihren Gruß. Sollte er nur denken, sie hätte sich ihn zum Gegner gewählt. Er wurde von zwei Kriegern begleitet, die dicht an seiner Seite flogen.

Ohne langsamer zu werden, ließ sie Sternauge den dreien entgegenfliegen. Die Menschenkinder richteten ihre Lanzen auf sie aus. Und zum ersten Mal beschlich sie ein beklemmendes Gefühl. Auf festem Boden würde sie die drei mit Leichtigkeit besiegen, doch hier am Himmel gab es zu viele Unwägbarkeiten.

Eleborn wich jedem Kampf aus. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er mit tolldreisten Flugmanövern den Lanzen der Menschenkinder entging und seinerseits gar nicht erst versuchte, einen seiner Gegner aus dem Sattel zu holen.

Nandalee starrte auf den Mann mit dem Löwenhelm. Sie wusste, wie wichtig er für die Sache der Menschenkinder war. Wenn er starb, würde sie den Sieben Reichen einen schweren Schlag versetzen. Sie hielt unbeirrt auf den Unsterblichen zu.

Auch Aaron machte keine Anstalten auszuweichen. Seine Lanzenspitze deutete auf ihre Brust. Noch zehn Schritt. Sieben … Sie schwenkte die Lanze und duckte sich. Die eiserne Spitze traf den Krieger links von Aaron mitten in den offenen Helm. Nandalee hielt die Lanze fest umklammert, spürte, wie das Stichblatt den Kopf des Kriegers durchbohrte und hart in die Rückenlehne des Sattels traf. Die Wucht des Treffers wurde auf die Lanze übertragen, die sich leicht durchbog. Nandalee wurde von den Beinen gerissen und stürzte seitlich vom Pegasus. Aarons Lanzenspitze stach knapp über sie hinweg, als sie aus dem Stehsattel stürzte. Wie jeder Pegasusreiter trug sie eine Fangleine, die mit dem Sattel verbunden war. Ihr Sturz endete mit einem schmerzhaften Ruck. Die Löwen waren an ihr vorübergeflogen.

Nandalee hing im Seil etwa zwei Schritt unter Sternauges Hufen. Der Pegasus warf ihr einen kurzen Blick zu, achtete dann aber wieder darauf, den erneut angreifenden fliegenden Löwen auszuweichen. Sie bewegten sich geschickter als die Bären. Die Elfe sah einen rotbärtigen Reiter mit dem Bogen auf sie anlegen. Nandalee beeilte sich, nach dem Seil zu greifen und sich wieder hinauf in den Sattel zu ziehen.

Der Bärtige blieb an ihr dran. Er benutzte nicht einmal Zügel. Es schien, als wisse der Löwe einfach, wie er fliegen sollte. Ihr Verfolger ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Sie wusste, er würde treffen. Erneut ließ sich Nandalee fallen. Diesmal erwischte sie jedoch eine der Lederschlaufen ihres Sattels. Das Geschoss verfehlte sie knapp. Aber dieser Kerl war gut. Sie hatte nicht erwartet, dass es unter Menschenkindern einen solchen Schützen geben konnte. Er saß auf einem fliegenden Löwen und versuchte, ein zweites fliegendes Ziel zu treffen. Das wäre selbst für sie ein schwerer Schuss.

Nandalee zog sich über den Sattel bis zu Sternauges Mähne. »Bring mich zu dem Monster! Wir müssen es schaffen!«

Sie schuldete Meliander ein Leben, in dem er kein Krüppel war. Sie hatte sich nie erklären können, was in ihrem Leib mit ihm geschehen war, aber es war ihre Schuld. Dieses Gefühl vermochte sie einfach nicht in sich abzutöten. Sie würde diese Schuld tilgen. Heute!

Der Pegasus stieg hoch in den Himmel hinauf. Er ließ all seine Verfolger hinter sich zurück. Jedoch nicht sehr weit. So grotesk die geflügelten Löwen und Bären auch aussahen, die Devanthar hatten machtvolle Zauber in die Leiber aus Metall gebunden. Nandalee hatte den Eindruck, dass diese Geschöpfe lernten. Dass sie das Verhalten des Pegasus abschauten und ihre eigenen Flugeigenschaften anpassten und verbesserten. Wenn das stimmte, dann würden sie bald besser sein als fliegende Pferde und die Adler vom Albenhaupt.

Also mussten möglichst viele dieser Dinger zerstört werden.

Der Meerwanderer tief unter ihr kämpfte weniger verbissen gegen die Steilklippe an. Einige seiner Tentakel wandten sich in ihre Richtung. Es waren bleiche, nur armdicke Stränge, auf denen jeweils ein Auge, groß wie ein Kinderkopf, saß. Nandalee überlegte fieberhaft, wie sie an die Amphoren gelangen könnte.

Das schrille Zirpen erstarb. Die Bestie war stumm. Mehrere Augen sahen in Richtung des merkwürdigen Wolkensammlers. Nandalee bemerkte, dass die Löwen und Bären aufgeschlossen hatten. Sie flogen erstaunlich schnell und würden sie jeden Moment einholen.

»Was sollen wir tun?«, rief Eleborn. Er stieg dicht neben ihr aus der Tiefe auf. »Das sind zu viele! Gegen die kommen wir nicht an!«

»Wir haben die Bestie bald erreicht. Flieg näher an ihren Rücken heran. Und lass dich von keinem Tentakel erwischen.«

Eleborn war anzusehen, wie wenig er von diesem Befehl hielt. Dennoch blieb er an ihrer Seite, als Sternauge in den Sturzflug ging.

»Hol mich da runter, wenn ich es nicht alleine schaffe!«

»Was?«

Nandalee richtete sich wieder auf dem Sattel auf. Doch diesmal schob sie ihre Füße nicht in die Lederschlaufen. Sie würde springen.

Ein Zittern lief über den Rücken des Meerwanderers, als plagten ihn Krämpfe. Das Ungeheuer war nun keine zwanzig Schritt unter ihr. Es bewegte sich mit bedächtiger Behäbigkeit, soweit sie das bisher gesehen hatte. Schnelle Reaktionen waren nicht seine Sache. Vielleicht konnte sie wirklich über seinen Rücken laufen und eine der Amphoren stehlen, bevor die Tentakel sie in Stücke rissen.

Ein Pfeil flog dicht an ihrer Hüfte vorbei. Dieser rotbärtige Bogenschütze hatte aufgeholt. Mit ihm waren nun auch etliche andere Löwenreiter über dem Meerwanderer.

Plötzlich erklang ein Zischen wie von einem Kessel voll kochendem Wasser, dessen Deckel dem Druck nachgab. Schlagartig war die Luft rings herum erfüllt von unterarmlangen Hornsplittern. Sternauge zuckte auf. Aus dem Augenwinkel sah Nandalee, dass Eleborns Pegasus von drei der Splitter in die Brust getroffen wurde. Weitere hatten ihm die Flügel durchschlagen. Klirrend schlugen die Hornsplitter gegen die silbernen Schwingen ihrer Verfolger. Einer der Reiter sackte nach vorn. Ein Splitter hatte ihm die Kehle durchbohrt.

Eleborn stieß einen gellenden Schrei aus, als sein Pegasus dem Meer entgegenstürzte. Im letzten Augenblick schaffte es der Drachenelf, seine Stiefel aus den Sattelschlaufen zu befreien und in die aufgewühlte See zu springen. Er verschwand zwischen Tentakeln, die das Wasser zu sprühender Gischt aufwühlten.

Ohne zu zögern, sprang Nandalee ihm nach. Eleborn war bereit gewesen, sein Leben für sie und damit Meliander zu wagen. Sie musste ihn dort herausholen!

Wie ein Blatt im Herbststurm

Eine Stunde zuvor …

Nodon stürmte die Treppe zur Terrasse über der Hafeneinfahrt. Die wenigen Menschenkinder, die ihm entgegenkamen, drückten sich gegen die Felswand, wenn er vorüberhastete. Dann rannten sie weiter.

Die Zwerge hatten sich einen der Aufgänge ins Höhlensystem freigekämpft. Sie begannen bereits den Hafen zu verlassen, obwohl immer noch Aale einliefen. Jene, die jetzt aus den Booten stiegen, waren weit weniger kämpferisch als Hornboris Mannschaft. Die Krieger waren blass und vermochten sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen zu halten.

Aber er würde ihnen nicht helfen. Das war nicht sein Kampf. Er war der Leibwächter Solaiyns. Ihm allein schuldete er Treue. Und er musste hier auf der Terrasse sein. Aloki hätte sich niemals weiter als ein paar Schritt von ihm entfernt. Er begriff nicht, was ihr der Fürst bedeutete. War sie in ihn verliebt? Hatte sie ihm einen Treueeid geschworen? Oder erpresste er sie gar? Doch was zählte das? Sie war dem Fürsten gegenüber bedingungslos loyal, einzig das war von Bedeutung. Und ihm war von den Himmelsschlangen aufgetragen worden, Solaiyns Leben zu schützen. Er hatte bislang jede seiner Missionen erfüllt.