Выбрать главу

Sie gingen nur ein kurzes Stück Weg. Schmale Stufen führten sie an der Flanke der Klippe hinab zu einem Pavillon, der in den Fels geschlagen war. Ein Busch mit sternförmigen roten Blüten wucherte dort. Shaya lag auf einem Lager aus Decken. Ihre Lider waren geschlossen. Neben ihr kauerte Enak. Tränen rannen dem jungen Heiler über die Wangen.

Blutige Verbände waren um Shayas Bauch geschlungen. Neben ihrem Lager standen verschiedene Töpfe und Tiegel. Arcumenna erkannte nur den schlanken schwarzen Flakon. In solchen Gefäßen wurde besonders reiner Schlafmohn gehandelt. Eine Droge, die friedlichen Nachtschlaf oder immerwährende Ruhe schenkte, wenn man zu viel von ihr nahm. Sieben Tropfen genügten für einen Schlaf, aus dem es kein Erwachen mehr gab. Der Fürst sah den kleinen Bronzepokal, gefüllt mit Wein. Und er sah, dass das Siegel des schwarzen Flakons zerbrochen war.

»Du willst sie vergiften?«, fuhr er den Heiler an.

»Sie hat starke Schmerzen.«

»Ich …« Arcumenna hielt inne. Er hatte genug Männer sterben sehen, denen in der Schlacht die Eingeweide zerschnitten worden waren. Entweder starb man schnell, oder der Tod zog sich über viele, schmerzhafte Stunden. Aber vielleicht …

»Ist es nur ein Schnitt?«

Der junge Heiler schüttelte den Kopf. »Ihre Eingeweide sind zerfetzt. Shaya ist nur deshalb noch nicht tot, weil sie zu dickköpfig ist zu sterben. Doch diesen Kampf kann sie nicht gewinnen. Sie wird den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr erleben.«

Koljas Schatz

Artax blickte hinab auf das Ungeheuer. Es war verrückt, das hier zu tun! Er hob den Arm und gab Volodi damit das vereinbarte Zeichen. Augenblicklich sackte ihr Wolkensammler noch ein Stück tiefer. Die überraschende Bewegung riss Ashot von den Beinen. Er stürzte durch den Schacht, doch das Fluggeschirr, das er angelegt hatte, verhinderte seinen Sturz in die Tiefe.

Auf dem Flugdeck kamen einige der gelandeten Löwen und Bären ins Schlingern. Ein Fass rollte über Deck und zerschellte krachend an der Reling. Überall gingen Wolkenschiffer und Krieger zu Boden.

Artax umklammerte das Seil, das sein Fluggeschirr mit dem Lastkran verband. Er hatte das Gefühl, sein Magen wollte ihm die Kehle hinaufspringen. Etliche Tentakel ihres Wolkensammlers stießen auf den Meerwanderer hinab. Der Unsterbliche sah, wie bläuliche Blitze aufflackerten, wo sie das Meeresungeheuer berührten. Und dann das Unglaubliche. Die Fangarme, die gerade noch in den Himmel hinaufgegriffen hatten, sackten kraftlos herab. Nur wenige Tentakel vermochten sich noch zu rühren.

»Abwärts!«, rief Artax mit fester Stimme und trat durch die offene Bodenluke. Sirrend glitt das Seil über die Kranwinden. Er stürzte dem Rücken des Meerwanderers entgegen. Erst wenige Schritt über dem bebenden Fleisch verlangsamte sich sein Fall. Er federte in die Knie, als er aufschlug. Ein Griff genügte, um das Fluggeschirr vom Seil zu lösen. Artax zog sein Geisterschwert.

Der Boden unter ihm hob und senkte sich. Doch kein Fangarm streckte sich nach ihm. Sie lagen in haushohen Knäueln durcheinander. Ein kopfgroßes Auge starrte ihn an. Die Pupille verengte sich, als er näher trat. Er war sich sicher, dass das Ungeheuer ihn bewusst wahrnahm, ganz gleich, was Volodi ihm über den Angriff auch erzählt hatte. Wind vor regenschwerem Horizont hatte behauptet, dass der Meerwanderer mehrere Gehirne besäße. Der Wolkensammler wollte sie durch Schläge mit diesem bläulichen Licht lähmen. Artax hatte nicht ganz verstanden, was da vor sich gehen sollte, und so chaotisch, wie Volodi es erzählt hatte, war er sich ziemlich sicher, dass der Drusnier auch nicht verstanden hatte, was sein Wolkensammler genau beabsichtigt hatte. Doch dies war nun nebensächlich. Der Plan ging auf. Der Meerwanderer war gelähmt, zumindest größtenteils. Sie hatten mindestens eine Stunde Zeit, um das Traumeis zu holen und die Überlebenden Asugars zu retten.

Artax kletterte durch das Labyrinth der Tentakel. Es stank erbärmlich. Schon hatten sich erste Möwen auf dem Meerwanderer niedergelassen. Gierig pickten sie in das lebende Fleisch, rissen Fetzen heraus und sprühten Blutspritzer über ihr schneeweißes Gefieder.

Da endlich sah er sie. Weiße Krater im Rücken der Bestie. Seepocken, groß wie Fässer, hatten sich in das Fleisch des Ungeheuers gegraben. Einige der Kalkwülste waren durchstoßen. Mit Pech verklebte Netze hingen über den Öffnungen der Parasiten, die sich ins Fleisch des Ungeheuers gegraben hatten.

»Das ist es sich!«, rief Volodi begeistert, der hinter Artax durch das Gewühl sich windenden Fleischs gestiegen war. Ihm folgten Ashot und Ormu. »Verdammt, wir haben es uns geschafft. Und wir müssen uns dieses verdammte Vieh nicht einmal sich umbringen.«

»Ich würde eher sagen, wir können es nicht«, mischte sich Ashot ein. »Bringen wir das hinter uns! Ich möchte dem Biest nicht mehr auf dem Rücken stehen, wenn es aufwacht.«

Artax kniete neben einer der Seepocken nieder. Er zog sein Messer und zertrennte die zähen Seile. Dann griff er hinab in die Öffnung und zog eine schlanke, mit geflochtenem Stroh umhüllte Amphore heraus. Ihr Mund war mit einem Klumpen aus klebrigem Pech verschlossen. Voller Ungeduld hebelte er den Pfropfen herunter, musste noch ein Korkstück aufspießen, und dann endlich war sie offen. Vorsichtig kippte Artax die Amphore zur Seite. Etwas Bleiches fiel heraus.

Artax biss sich auf die Lippen. Das war kein Kristall! Das war Wachs!

Der Unsterbliche hob die Amphore an. Weitere längliche Wachsstangen fielen durch die Öffnung.

Hatte Kolja sie hereingelegt?

»Dieser verdammte Bastard!«, fluchte Volodi. Auch er hatte eine Amphore hervorgeholt. Statt sie umständlich zu öffnen, hatte er den schlanken Hals des Gefäßes eingeschlagen. Zwischen den Scherben lagen ebenfalls Stangen. »Was ist sich das? Haben sich diese Kerzen nicht einmal einen Docht. Sind sich völlig nutzlos. Ich könnte mich Kolja …«

Artax hob eine der Wachsrollen auf und hielt sie gegen die Sonne. Da war etwas in ihrem Inneren. Etwas Dunkles, das gänzlich vom Wachs umhüllt war.

Er nahm sein Messer und schnitt vorsichtig dicke Späne von der schlecht gezogenen Kerze, die keinen Docht hatte. Das eiserne Messer stieß knirschend auf etwas Hartes. Vorsichtig schob Artax letzte Wachsreste zur Seite, und ein grüner Kristall funkelte im hellen Mittagslicht. »Er hat sie in Wachs gebettet, damit sie nicht zerbrechen«, sagte er erstaunt. So viel Umsicht hätte er dem derben Faustkämpfer nicht zugetraut. »Wir haben Koljas Schatz!« Triumphierend hielt er den Kristall hoch. »Nun werden wir die Welt verändern und diesen verfluchten Krieg beenden!«

Blutspur

Durch ihr Verborgenes Auge sah Nandalee das Hirn, das sich unter dem Wulst verbarg, als einen Knoten aus pulsierendem, goldenem Licht. Ein Muster feiner, silberner Linien behinderte ihre Sicht. Es war die Matrix jenes Zaubers, mit dem Eleborn den Helm aus Gallert erschaffen hatte, der ihren Kopf umschloss und ihr erlaubte, unter Wasser zu atmen. Umständlich zog die Elfe das lange Schwert aus der Scheide auf ihrem Rücken. Sie ruderte dabei mit den Füßen, um nicht in die Tiefe zu sinken. Sie hätte besser ein Messer mitgenommen. Die große Waffe lag schwer in ihren Händen.

Sie paddelte, bis sie sich oberhalb des Lichtknotens befand, und setzte die Spitze Todbringers auf das Fleisch. Die Klinge war von dunkellila Licht umspielt. Sie hatte keine Ahnung, welche Zauber die Himmelsschlangen in den Stahl gebunden hatten, doch zweifellos entstammten sie den dunkleren Spielarten der Magie.

Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen den Schwertknauf. Todbringer drang durch Fleisch und Knochen. Einen Herzschlag lang erstrahlte das Licht des Knotens noch heller. Dann lief es aus, rann ins Meerwasser und umtanzte sie in blasser werdenden Schlieren.

Die goldenen Lichtbahnen, die von dem Knoten ausgegangen waren, erloschen. Nandalee sah das Fleisch des Meerwanderers in Krämpfen zucken. Sie fühlte sich schlecht. Diese Bestie war nicht böse. Sie war es, die dunkle Taten beging.