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Etwas streifte sie. Nandalee stieß sich mit den Füßen von dem riesigen Bein ab. Sie musste höher aufsteigen, musste den nächsten Nervenknoten finden und zerstören, dann brauchte sie die Tentakel des Ungeheuers nicht zu fürchten.

Selbst mit etwas Abstand fühlte sie die mächtigen Muskeln zucken. Der ganze Körper des Meerwanderers schien von Krämpfen geschüttelt zu werden. Vielleicht war die Wunde, die sie ihm zugefügt hatte, doch schwerer als erwartet.

Das verblassende Gold folgte ihr im Wasser. War es im Blut des Ungeheuers? Das vermochte Nandalee durch ihr Verborgenes Auge nicht zu erkennen. Die Welt, die sie jetzt sah, bestand nur aus Auren und Lichtsträngen.

Jetzt war nicht der Augenblick, um sich mit törichten Gewissensbissen aufzuhalten. Sie sollte weiter … Etwas rammte sie. Sie erkannte die klare, silberne Aura Eleborns. Und da war noch etwas. Ein langer Keil aus dunklem, dumpfem Rot. Das Silber. Es flackerte. Und dann begann es zu zerfließen.

Erschrocken öffnete sie die Augen. Sie sah Eleborn dicht vor sich. Sah ihn unter seinem Gallerthelm schreien. Und sie sah den Schatten, der im trüben Wasser erneut auf sie zuglitt. Sie hob ihr Schwert und richtete es wie einen Speer auf den großen Hai. Sein keilförmiger Kopf hielt genau auf sie zu. Etwas hing aus seinem Maul, das er nun endgültig verschluckte. Ein Stiefel!

Eleborn neben ihr sackte in die Tiefe. Überall war Blut im Wasser.

Nandalee stieß mit dem Schwert nach dem Hai, der mit fast höhnischer Leichtigkeit auswich. Er drehte und änderte seinen Kurs, folgte der Blutspur Eleborns.

Kalte Wut packte Nandalee. Sie wusste, dass sie dem im Meer geborenen Jäger niemals an Geschick auch nur nahekommen würde. Dies war sein Revier, und er würde sich seine Beute holen. Eleborn! Und schon waren da andere Schatten im Wasser. Das Blut lockte sie.

Nandalee rief ein Wort der Macht. Ein Wort, das sie fürchtete. Das eine Wort, das Bidayns Leben verändert hatte. Der Fluss der Zeit verlangsamte sich. Die Blutwolken im Wasser bewegten sich schwerfälliger, fast wie Nebel, der an einem Herbstmorgen an einem Flussufer hinaufkroch. Die Schatten waberten träge durch die trübe See. Nur sie war nicht langsam. Sie beherrschte alles um sie herum. Und sie spürte, wie das magische Netz sofort auf sie reagierte. Auf die Anomalie inmitten der magischen Welt. Es würde versuchen, sie zu vernichten. Kurz hatte Nandalee Bidayn vor Augen.

Mit kräftigen Stößen tauchte die Elfe hinab. Folgte dem Hai, der Eleborn schon fast eingeholt hatte. Es war ein mächtiger, fünf Schritt langer Räuber. Ein König in diesen Gewässern. Todbringer schlitzte seinen Leib auf ganzer Länge auf, als sie unter ihm hinwegschwamm und mit der freien Hand nach Eleborn griff.

Hastig strebte sie dem Riff entgegen, das sie bei ihrem Flug nahe dem Eingang zum Grottenhafen gesehen hatte. Dem Riff, auf dem der Drachenkadaver lag. Dort würde sie leicht aus dem Wasser steigen können. Überall sonst gab es nur steile Felsen. Sie musste die Wunde Eleborns schnell versorgen.

Als ihr Kopf durch die Wasseroberfläche stieß, zerfiel der Gallerthelm, den sie trug. Mit einem Arm hielt sie Eleborn umschlungen, in der freien Hand hatte sie das Schwert. Sie schwamm nur mit der Kraft ihrer Beine. Es war ein Kampf. Und ein Wettlauf gegen die Zeit. Nandalee wagte es nicht, ihr Verborgenes Auge zu öffnen. Sie wollte nicht sehen, wie die magische Welt gegen ihren Frevel, den Gesetzen zu trotzen, aufbegehrte. Sie konnte es ohnehin schon spüren. Das Brennen auf der Haut. Ihr blieben nur noch Augenblicke, bis das Netz sich, wie aus glühenden Stahlfäden gewoben, um sie schließen würde.

Sie kämpfte gegen die Distanz. Kämpfte dagegen, dass sie sich nicht richtig bewegen konnte. Sie würde nicht alles auf das Riff retten. Nandalee ließ das Schwert los. Todbringer versank in die Tiefe.

Nur ein paar Schwimmzüge noch. Die Hitze, die sie einschloss, wurde immer unerträglicher. Erst würde das sich zusammenziehende Netz aus Kraftlinien ihr ein unauslöschliches Rautenmuster auf den Leib brennen, und schon im nächsten Augenblick würde ihr Fleisch in Hunderte Würfel zerschnitten.

Ihre Finger berührten den Fels der Klippe. War da Rauch? Sie schrie das Wort der Macht, das diesen Zauber beendete. Sofort schwand die Hitze.

Ihre Finger krallten sich in einen Felsspalt. Sie zog Eleborn neben sich auf den flachen Felsen. Die blutigen Augenhöhlen eines großen Drachen starrten sie an. Der Herrscher an den Himmeln Albenmarks war zum Fraß der Möwen geworden.

Nandalee richtete sich auf und zog Eleborn ganz aus dem Wasser. Schon kreisten große Rückenfinnen vor dem Riff, angelockt vom Blut im Wasser.

Eleborn war ohnmächtig. Sein linkes Bein mitten in der Wade durchtrennt. Aus den zerfetzten Muskeln ragten zwei bleiche Knochen. Blut strömte über den Fels.

Die Elfe schnallte den breiten Waffengurt von ihrem Rücken und schlang das Leder dicht über dem Knie um den Oberschenkel. Sie zog und zerrte mit all ihrer Kraft, verfluchte die Welt, die sich gegen sie verschworen hatte. Dann biss sie nur noch die Zähne zusammen. Sie stellte einen Fuß auf den Brustkorb Eleborns und zerrte mit beiden Händen am Gürtel. Endlich versiegte der Blutstrom der Wunde.

Tränen der Wut standen ihr in den Augen. Eleborn hatte helfen wollen. Er hatte Mitleid mit Meliander gehabt, und nun war er genauso verstümmelt wie ihr Sohn.

Klirrend landete ihr Schwert neben ihr auf dem Riff. Nodon stieg aus dem Wasser. »Du gehst leichtfertig mit den Geschenken der …« Er verstummte, als er Eleborn sah.

»Du musst bei ihm bleiben«, sagte Nandalee entschlossen.

»Und du?«

Sie deutete hinauf zum Wolkenschiff. Amphoren schwebten an Seilen dem Ladeschacht des Schiffes entgegen. Dabei verhielt sich der Meerwanderer erstaunlich ruhig. Nur wenige seiner Tentakel bewegten sich noch. »Die Menschenkinder haben das Traumeis gefunden. Wir haben das Rennen verloren.«

Nodon nickte. Es ärgerte Nandalee, wie emotionslos und gefasst er wirkte. Sie würde diese Niederlage nicht hinnehmen!

»Wir sollten uns unter den Schutz der Drachenflügel zurückziehen«, sagte der Schwertmeister. »Dort liegt Eleborn im Schatten. Bei Nacht können wir vielleicht fliehen.«

»Ich werde dann nicht mehr hier sein.«

Er bedachte sie mit einem strengen Blick. »Nicht?«

Nandalee riss sich den bestickten Kragen ihres weißen Kleids ab. Dann machte sie sich an den Stickereien an den kurzen Ärmeln zu schaffen.

»Was tust du da?«

»Ich kann nicht aufgeben! Das hieße, Meliander aufzugeben.«

»Wir kämpfen an einem anderen Tag …«

»An welchem denn?«, fuhr sie ihn an. »Wenn dieser Schatz geborgen ist, dann werden die Devanthar ihn sich nehmen. Dort, wo sie ihn hinbringen, werden wir ihn niemals mehr erreichen. Entweder ich hole mir jetzt zumindest einige der Kristalle oder ich lasse die Hoffnung für immer fahren. Jetzt entscheidet sich, ob Meliander ein Leben mit Krücke führen muss. An diesem Tag. Vielleicht sogar in dieser Stunde.«

»Und was willst du tun?«

Sie riss sich die Stickereien von der Knopfleiste an der Brust des Kleides. Das gelang nicht gut. Der Stoff franste aus. Zwei der Knöpfe rissen ab. Was blieb, war ein allzu freizügiges Dekolleté.

Nodon zog ein Messer aus seinem Gürtel. »Nimm das, damit wirst du weniger Verwüstung anrichten.«

Überrascht griff sie nach der Waffe. »Du willst mich nicht aufhalten?«

»Könnte ich das?« Er sah sie durchdringend mit seinen schwarzen Augen an.

Nandalee kniete sich hin und machte sich an den Goldborten zu schaffen, die die Seitenschlitze des Kleides säumten. »Ich muss es tun, Nodon. Ich würde mir niemals verzeihen können, wenn ich es nicht zumindest versucht hätte.«

»Ich weiß.«

Sie war überrascht, wie warmherzig er plötzlich klang.

»Du solltest mein Messer mitnehmen. Es ist kein Zauber in die Klinge gewoben. Sie wird dich nicht verraten, aber …«

Nandalee wusste, was er unausgesprochen ließ. Sollte sie in die Nähe der Devanthar kommen, war sie so gut wie tot. Ein Blick auf ihre Aura würde verraten, was sie war. Vielleicht vermochten sogar die Silberlöwen sie zu erkennen.