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»Letzter Wunsch, Papperlapapp. Blanker Unsinn.«

»Dem du zugestimmt hast«, erinnerte ihn die jüngere der beiden Frauen.

»Natürlich widerspricht man einer Sterbenden nicht. Aber bei allen Göttern, man setzt den Unsinn doch nicht in die Tat um, den sich eine Sterbende auf dem Totenbett zusammenbrabbelt.« Er wandte sich wieder an Ilmari. »Ich war nur ein paar Tage außer Haus. Dringende Geschäfte … Als ich wiederkomme, höre ich, dass meine Mutter tot ist und du schon da warst, Totenträger. Den Rest der Geschichte kennst du. Ich habe meinen Sohn losgeschickt, der ein ausdauernder Läufer ist, damit er verhindert, dass unsere Mutter das letzte Stück des letzten Weges geht. Ich bin ihm mit diesen beiden nichtsnutzigen Weibern gefolgt, so schnell uns unsere Beine getragen haben.«

Der dunkelhaarige Junge, der am Morgen völlig außer Atem im Totenhaus erschienen war, war nicht mehr zugegen. Ilmari ahnte, wo er steckte. Der Junge hatte ihn darum gebeten, seine Großmutter noch nicht dem Weißen Schlund zu übergeben. Allerdings hatte er behauptet, dass der Sohn der Toten kommen wolle, um von ihr Abschied zu nehmen. Von der Kette war nicht die Rede gewesen.

»Ich könnte das Leichentuch aufschneiden«, bot Ilmari an. »Vielleicht hat sich die Kette vom Hals der Toten gelöst und ist …«

»Da wirst du nichts finden«, unterbrach ihn der Wolkenschiffer barsch. »Ich habe sie schon ganz abgetastet. Außer meiner Mutter steckt nichts in diesem Leichentuch.« Er hob drohend eine Faust in Richtung der Wäscherin. »Ich bin mir ganz sicher, dass die weiß, wo das Schmuckstück steckt. Und wenn sie damit nicht herausrückt, dann nähe ich sie in das Leichentuch meiner Mutter, und sie kann mit ihr zusammen die Reise in den Weißen Schlund antreten.«

Ilmari sah auf die kleine und zierliche Wäscherin, die immer noch am Boden kauerte und ihre Arme halb erhoben hatte, um sich vor weiteren Schlägen zu schützen. Ihr dunkles Haar hatte sich gelöst. Der langstielige Löffel, mit dem sie ihr Haar normalerweise zu einem Knoten hochsteckte, hing schief herab. Sie wirkte so zerbrechlich, so ausgeliefert. Sie hatte ganz gewiss nichts gestohlen!

»Deine Mutter hat hier viele Stunden lang aufgebahrt gelegen. Jeder aus dem Dorf hätte Gelegenheit gehabt, hierherzukommen und die Kette zu nehmen. Ich verbürge mich für die Wäscherin. Hier im Totenhaus gibt es keine Diebe!«

»Worte sind billig, Totenträger.« Der Wolkenschiffer blickte verächtlich auf ihn herab. »Die Halskette wird wiedergefunden. Mir ist egal, wie ihr das anstellt. Und es wird einen Schuldigen geben, der vor meinen Augen seine Strafe erhält.«

»Mir ist nicht egal, auf welche Weise in meiner Stadt Recht gesprochen wird!«, ertönte eine laute Stimme. Alle blickten zum großen Eingangstor des Totenhauses, wo Solomon, der Hüter des Lichtes, mit seinem Gefolge eintrat.

Ilmari mochte den selbstgefälligen Priester eigentlich nicht, aber heute war er froh, ihn zu sehen. An Solomons Seite stand der dunkelhaarige Junge, der am Morgen den Wunsch von Rufus vorgetragen hatte, seine Mutter noch einmal zu sehen.

»Ilmari?«

Das salbungsvolle Getue des kahlköpfigen Priesters ärgerte den Totenträger. »Ja, Herr«, entgegnete er leicht gereizt.

Solomon bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Kannst du mir schwören, dass du die Kette der Toten nicht angerührt hast?«

»Nein!«, entgegnete Ilmari entschieden. Er wusste, dass das dumm war, aber er konnte nicht anders. Vor diesem eingebildeten Schwätzer würde er nicht buckeln.

»Du hast …« Rufus schoss das Blut ins Gesicht.

»Ich habe deine Mutter getragen. Natürlich habe ich dabei die Kette berührt. Ich habe nichts gestohlen. Mir sind Worte nicht billig, Rufus. Ich sage die Wahrheit. Immer.«

Solomon presste die Lippen zusammen und versuchte, seinen Ärger zu überspielen. »Meine Männer werden das Totenhaus durchsuchen. Wenn die Halskette hier ist, dann werden sie sie finden. Bis dahin möchte ich euch alle hinausbitten.«

Wenig später saß Ilmari auf einem der großen Steine am Ufer des Schwarzgürtels und blickte auf die träge fließenden, dunklen Fluten. Die Wäscherin hielt sich in seiner Nähe, während der Hüter des Lichtes leise mit Rufus sprach.

Es dauerte lange, bis die kahlköpfigen Priester durch das Tor des Totenhauses traten. Sie hatten nichts gefunden.

»Und das war es jetzt?«, rief Rufus wutentbrannt. »Es tut euch leid? Ich werde zu Tarkon gehen und ihm sagen, was für eine Bande diebischer Elstern sich in Tiefwasser eingenistet hat.«

Solomon sah ihn lange an. »Nun, wenn Menschen die Wahrheit nicht zu ergründen vermögen, dann können die Götter uns manchmal einen Fingerzeig geben. Ich schlage ein Gottesurteil vor. Du sagst, die Wäscherin sei die Diebin und forderst ihre Bestrafung. Lassen wir zwei Kämpfer gegeneinander antreten. Willst du für deine Mutter streiten? Willst du mit deinem Leib dafür einstehen, dass deine Anschuldigungen rechtens sind, Rufus?«

»Mit Vergnügen.« Der Wolkenschiffer ließ seine Faust in die offene Linke klatschen. »Ich fordere einen Faustkampf. Einen Kampf, wie man ihn in den Arenen von Luwien und Aram sieht.«

Solomon wirkte nicht sonderlich begeistert. Diese Kämpfe waren berüchtigt dafür, dass es immer wieder Tote gab. »Und wer will für die Wäscherin eintreten?« Er blickte zu seinen Priestern, die geflissentlich zu Boden sahen.

»Nun«, sagte Solomon lächelnd. »Wenn es niemanden gibt, der für die Wäscherin eintritt, dann steht sie nicht in der Gnade der Götter. Ihre Schuld ist also bewiesen. Sie gehört dir, Rufus. Du kannst …«

»Ich werde für sie kämpfen!«, sagte Ilmari mit fester Stimme und erhob sich von seinem Stein. Er war überzeugt, dass sich Rufus und Solomon auf diese Möglichkeit, den Streit beizulegen, geeinigt hatten, als sie vorhin miteinander gesprochen hatten. Diese Heimtücke passte zum Hüter des Lichtes.

Rufus schüttelte ärgerlich den Kopf. »Nicht du, Totenträger. Ich habe keinen Streit mit dir.«

»Ich glaube nicht, dass ich in Gefahr bin, Wolkenschiffer. Ich bin von der Unschuld der Wäscherin überzeugt. Also sollten die Götter mich doch beschützen.«

Er sah die Angst in den Augen der stummen Frau und war gerührt. Vielleicht war es das erste Mal, dass sie erlebte, dass jemand für sie eintrat. Er wusste, dass er sie eigentlich ihrem Schicksal überlassen sollte. Er war hier, um im Dienste des Unsterblichen Aaron die verborgenen Städte auszukundschaften. Aber wenn er diese zerbrechliche, wehrlose Frau sah, konnte er nicht anders. Er hatte so oft in seinem Leben aus den falschen Gründen gekämpft. Es war an der Zeit, zumindest einmal für die Gerechtigkeit einzutreten.

Solomon wirkte nicht unzufrieden mit dieser Wendung. »Dann sollen die Götter entscheiden, wann gekämpft wird. Sobald der Marktplatz der Stadt das nächste Mal in hellem Licht liegt, ist die Stunde eures Zweikampfes gekommen.«

Das Gottesurteil

Ilmari prüfte den Sitz der messingbeschlagenen Lederbänder. Sie waren um seine Fingerknöchel, die Handrücken, die Handgelenke und die Unterarme gewickelt. Die Bänder bildeten ein netzförmiges Muster. Zwei der Messingplättchen auf dem Leder waren mit dicken, angeschliffenen Wülsten versehen. Sie würden Wunden reißen, wenn man die Schläge richtig setzte.

Ilmari war ein wenig mulmig. Er hatte Dutzende Faustkämpfe bestanden, aber nie einen, bei dem diese verdammten Lederriemen zum Einsatz gekommen waren. Er blickte zu Rufus, der am anderen Ende des Marktplatzes auf einem Marmorblock saß. Der Wolkenschiffer wirkte entspannt. Seine beiden Söhne standen an seiner Seite. Rufus hob eine Hand und grüßte Ilmari.

Der Wolkenschiffer hatte ihm schon an dem Tag, an dem das Gottesurteil beschlossen worden war, reinen Wein eingeschenkt. Er hatte einige Erfahrung in dieser Form des Faustkampfes. Er war in Arenen aufgetreten und hätte vielleicht sogar berühmt werden können, wäre er nicht eines Tages von einem goldhaarigen Drusnier in einem Faustkampf derart zusammengeschlagen worden, dass zwei Monde verstrichen waren, bis er sich wieder vom Krankenlager erhoben hatte.