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»Findest du das nicht ein wenig melodramatisch?« Der Löwenhäuptige bleckte die Zähne. Wenn das ein Lächeln sein sollte, dann fehlte ihm jede Warmherzigkeit.

»Ich hatte dich gerufen, aber du hast mich nicht gehört.«

Der Devanthar schüttelte sein mächtiges Haupt. »Nein, Aaron. Ich habe dich gehört, aber ich bin nicht gekommen.«

»Aber du musstest kommen …«

»Du glaubst, du kannst mir, deinem Schöpfer, deinen Willen aufzwingen?« Der Löwenhäuptige machte einen Schritt auf ihn zu. »Hältst du es für weise, mich zu verärgern, wenn du etwas von mir willst?«

»Bitte, ich brauche sie …«

»Du bist eine ganze Weile ohne sie ausgekommen.« Der Devanthar trat bis ganz an die Kante des Decks und sah hinab.

Etwa eine halbe Meile unter ihnen schimmerte das Meer silbern im Licht der Zwillingsmonde.

»Du bist anstrengend, Artax. Glaubst du, mir ist entgangen, dass du den Tod suchst, seit sie fort ist. Du lieferst dir Luftkämpfe mit Daimonen. Du spielst dich noch mehr als Held auf als sonst … Tief in deinem Herzen möchtest du, dass es vorbei ist, nicht wahr?«

Artax senkte den Blick. Es war sinnlos, einen Gott belügen zu wollen. »Ohne Shaya ist mein Leben voller Schatten.«

»Phrasen! Leeres Gewäsch! Aber du glaubst daran.«

Grollend legte ihm der Devanthar seine große Hand auf die Brust. Ein kleiner Stoß von ihm, und er würde hinab ins Meer stürzen. Artax sah zu den Kriegern und Wolkenschiffern. Sie waren außer Hörweite, konnten aber gut sehen, was vor sich ging. Alle waren sie demütig niedergekniet. Nun senkten sie die Häupter, wagten es nicht, diesen zornigen, löwenhäuptigen Gott länger anzuschauen. Nur Volodi stand noch. Seine Hand lag auf dem Schwertgriff. Hoffentlich beging er keine Dummheit.

»Du hast mich oft überrascht, Artax. Du bist ein Mann von Macht geworden. Ein Mann mit Visionen.« Der Devanthar schnalzte mit der Zunge. »Die Hälfte der Zeit geht dir zwar unrealistischer Unsinn durch den Kopf, aber du hast die Gabe, andere für dich und deine verrückten Ideen zu begeistern. Du hast tatsächlich begonnen, die Geschicke dreier Welten durch deine Taten zu verändern. Es wäre sehr bedauerlich, müsste ich mich von dir trennen. Wenn du nur noch eine Stimme im Kopf irgendeines arglosen Tropfs wärst, den ich zu deinem Nachfolger mache, würde ich viel verlieren. Andererseits, wer braucht einen Diener, der versucht, seinen Herrn zu erpressen?«

»Bitte, ich tue alles, was du willst … Ich …« Die Hand des Devanthar schloss sich um Artax’ Kehle. Der Löwenhäuptige hob ihn hoch. Seine Füße baumelten nun über dem Abgrund.

»Ich spüre, wie dieser verdammte Wolkensammler darüber nachdenkt, mich anzugreifen, um dich zu retten. Und dieser dämliche Drusnier hat gerade sogar schon sein Schwert gezogen.«

Der Devanthar stieß einen langen Seufzer aus und setzte ihn wieder ab. »Wie machst du das bloß, Artax? Sogar die Bestien Nangogs mögen dich.« Er lachte leise. »Ein Gedanke von mir, und dieses Vieh wäre tot. Und ihr alle würdet mit dem Wolkenschiff ins Meer stürzen. Und das Traumeis wäre verloren … Ich bin geneigt, dich am Leben zu lassen, obwohl du mich wirklich verärgert hast.«

Das war nicht, was Artax wollte. »Ich werde …«

Der Devanthar hob gebieterisch die Hand. »Stell mir nicht schon wieder irgendein Ultimatum. Selbst meine Geduld kennt Grenzen. Ich werde Shaya retten, aber dein Preis ist, dass du von nun an ein gefügiger Diener sein wirst. Du wirst keine tollkühnen Angriffe mehr anführen. Deine Spiele mit dem Tod müssen endgültig vorbei sein.«

»Wenn Shaya lebt, habe auch ich allen Grund, mein Leben zu lieben.«

Der Devanthar sah ihn durchdringend an. »In diesem Augenblick bleiben ihr noch drei Herzschläge.«

Ohne zu zögern, trat Artax an den Rand des Flugdecks. Er war es leid, zu betteln und zu feilschen. Entschlossen tat er den Schritt in den Abgrund.

Eine Hand packte ihn im Genick, wie man einen jungen Welpen packte. »Du sollst deinen Willen bekommen, Sterblicher.«

Eisige Kälte ging von der Hand aus, die ihn hielt. Etwas hatte sich verändert. Aus den Augenwinkeln sah er Volodi. Er hatte den Mund weit aufgerissen und stürmte vorwärts. Doch nichts bewegte sich mehr. Die Wolkenschiffer und Wachen waren erstarrt. Einige Tentakel, die zur Mitte des Flugdecks hin griffen, als wollten sie den Devanthar ergreifen, verharrten reglos in der Luft.

»Ihr bleiben noch zwei Herzschläge. Das war selbst für mich knapp. Ich habe uns ein wenig Zeit verschafft. Doch nicht viel. Die Magie der Welt bäumt sich gegen uns auf. Es ist nie gut, die natürliche Ordnung zu stören. Komm jetzt!« Er ging zwischen den reglosen Gestalten auf dem Flugdeck hindurch zu Shayas Lager. Dort kniete er nieder. Seine Hand strich über die Wunde. Er zog das Traumeis heraus. »Du hast es nicht verstanden, nicht wahr?«

Artax war wie in Trance. Alles war so unwirklich. Die erstarrte Welt. Die Macht der Devanthar. Er hatte sich gegen einen Gott aufgelehnt. Das war ein Fehler, für den er bezahlen würde, da war er sich jetzt ganz sicher. »Was hab ich nicht verstanden?«

Der Löwenhäuptige hielt das Traumeis hoch. »So kann man es nicht nutzen. Da muss ein Wille sein, um zu formen. Sterbende haben dazu nicht mehr die Kraft. Jedenfalls nicht, wenn sie dem Tod schon so nahe sind wie deine Prinzessin. Verstand und Wille sind die Schlüssel. Wer diese Schlüssel nicht besitzt, für den ist das Traumeis nichts weiter als ein Kristall.« Er drückte Artax das Traumeis in die Hand. »Bewahre es für mich, Unsterblicher.«

Artax’ Hand schloss sich um den Kristall. »Aber du wirst …«

»Ich stehe zu meinem Wort!« Die goldenen Löwenaugen ruhten auf dem Unsterblichen. »Wir brauchen dich. Du bist der eine, der die sieben zusammenhält. Ich hoffe, auch du hältst dein Versprechen. Versuche nie wieder, in den Tod zu fliehen.«

Artax nickte, und der Devanthar griff mit der Rechten nach einer Hand des Sängers. Die Linke legte er auf Shayas klaffende Bauchwunde.

Etwas erglühte in der Steppenreiterin. Ein grelles weißes Licht durchdrang ihren Körper von innen heraus. So hell war es, dass ihre Knochen als Schatten zu sehen waren. Ein grässliches Stöhnen entwand sich ihrer Kehle. Ihr Kopf sackte in den Nacken, und eine Säule weißen Lichts schlug aus ihrem Mund.

Artax musste die Augen schließen, doch selbst durch die geschlossenen Lider sah er noch das Leuchten, das Shaya durchdrang. Und dann war da plötzlich Finsternis. Und der Gestank von verbranntem Fleisch.

Blinzelnd versuchte Artax, etwas zu erkennen. Seine Augen tränten und schmerzten, als wären sie von glühenden Eisen berührt worden. »Shaya«, flüsterte er.

»Ein Leben für ein Leben, Unsterblicher. Das ist der Preis für das, worum du mich gebeten hast. Ihr Gefäß war leer. Ich musste es wieder füllen …« Die Stimme verging wie ein fernes Echo. Der Devanthar war verschwunden.

Gegenwart stürzte auf Artax ein. Sein Blick war noch immer von Tränen verschleiert. Er spürte Bewegung mehr, als dass er sie sah.

»Was hast du getan?«

Das war die Stimme des alten Heilers.

»Bei den Göttern, Unsterblicher, was hast du Enak angetan?«

Artax wandte den Kopf. Jemand hielt eine Öllampe dicht vor das Gesicht des Sängers. Rauch stieg aus dem offenen Mund des jungen Mannes. Er stank nach verbranntem Fleisch. Jetzt spürte Artax die Hitze, die von dem toten Körper ausging.

»Was …«

»Schweig!«, fuhr Arcumenna den Heiler an. »Schweig und lerne. So ist es, wenn du einem Unsterblichen nahe kommst. Glaubst du, sie seien noch wie wir, Hattu? Du bist der Narr hier, denn du hast Aaron, den Herrn der Schwarzköpfe, gereizt. Nun schweig still!«

Die Schleier vor Artax’ Augen lichteten sich. Shayas Wunde hatte sich geschlossen. Sie wirkte erholt, als läge sie in tiefem Schlaf. Doch der Sänger. Er war nur noch eine ausgebrannte Hülle.

Er musste sie von hier fortbringen, dachte Artax. Sie dem Hass Hattus entziehen. Sie war unschuldig. Sie sollte nicht wissen, welchen Preis er für sie gezahlt hatte. Er beugte sich vor und schloss sie sanft in die Arme. Dann hob er sie hoch. Es tat so gut, ihren warmen Körper zu spüren. Zu sehen, wie sich ihre Brust unter regelmäßigen Atemzügen hob und senkte.